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Der Befund bezüglich Abschottungsmauern wie jener zwischen den USA und Mexiko: "Wer eine hochmilitarisierte Grenzbefestigung errichtet, der – und das ist ja die Volte dabei – mauert sich selbst ein."

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Mauern haben immer schon getrennt. Arm von Reich. Innen von außen. Eigenes von Fremdem und Angsterzeugendem. Mächtige von Ohnmächtigen. Privilegierte von Nichtprivilegierten. "Uns" von den "Barbaren".

Zwischen den Sätzen "Reißen Sie diese Mauer ab, Mr. Gorbatschow" und "Wir werden eine Mauer bauen, eine wunderschöne und fantastische Mauer", von Reagan und Trump liegt eine Generation. Doch in diesen 30 Jahren wurden, rechnet der 1971 geborene, deutsche Reporter Marc Engelhardt in Ausgeschlossen vor, weltweit 60 neue Grenzzäune errichtet. Auf 41.000 Kilometer summieren sich heute weltweit Grenzmauern. Und es dürften mehr werden.

Der Auslandskorrespondent, erst von Nairobi aus in Kenia tätig, inzwischen von Genf aus, war fünf Jahre lang Vorsitzender des Korrespondentennetzwerks Weltreporter und hat nun mit mehr als zwei Dutzend anderer Weltreporterinnen und Kollegen einen Sammelband über die Ära der Mauern geschrieben.

Selbsteinmauerung

Wer eine architektonische, in der Regel hochmilitarisierte Grenzbefestigung errichtet, der – und das ist ja die Volte dabei – mauert sich selbst ein. Der will zur Festung werden, ob nun in rassischer und rassistischer Hinsicht, in ideologisch exaltierter oder religiös motivierter. Letzteres gilt noch heute in Nordirland. In Belfast trennen Mauern noch immer die protestantischen von den katholischen Bezirken.

Aber die 27 in der Regel zehn- bis höchstens zwanzigseitigen Beiträge in Ausgeschlossen befassen sich nicht nur mit den bekannten Hotspots, sondern auch mit Neuseeland, mit Transnistrien, Armenien und Aserbaidschan und den in Karabach buchstäblich eingemauerten Bewohnerinnen und Bewohnern, mit Gated Communitys – auch dies sind ja trennende Mauern – in Brasilien, mit Mauern in Tunesien, im Libanon und Australien. Besonders interessant: Die klimatechnisch innovativen Flutmauern in den Niederlanden gelten inzwischen weltweit als nachgefragtes Know-how. Insgesamt ist dieser verständlich geschriebene Band lehrreich, erhellend, nicht selten augenöffnend über die Vergeblichkeit, die Verblendung und den antidemokratischen Starrsinn demokratisch gewählter Amtsinhaber.

Ähnlich ist Tim Marshalls Buch. Auch der englische TV-Reporter reiste um die Welt, nahm Mauern und Grenzzäune in Augenschein. In China und Indien. In Europa, in Afrika, im Nahen Osten, in Israel und in den USA. Leicht lesen sich seine Berichte, kundig und eindringlich seine Schilderungen. Die längste Grenzbefestigung, lernt man, verläuft zwischen Indien und Pakistan. Die so gern politisch behauptete Stabilität, zieht der oft nobel urteilende Brite ein Fazit, garantiert aber kein einziges Abschottungsbauwerk. Viele sind nur Blendwerk. Instabiler hingegen muten Marshalls Exkurse in die Psychologie an. Wenn er über die "Mauer in den Köpfen" schreibt, ist er nicht so überzeugend wie als Augenzeuge.

Die Hoffnung, dass jemals etwas aus Trumps Mauer an der Südgrenze zu Mexiko werden wird, demontiert Marshall rasch mit einer Fülle an pragmatischen Einwänden. Er zeigt nüchtern auf, dass es sich dabei um kaum etwas anderes denn ein letztes Gefecht weißer alter Männer und ihrer althergebrachten fiktiven Mythen und selbstberauschender nationaler Mythologien handelt, die sich mit dem demografischen Wandel nicht abfinden wollen. Und nichts Positives daran erkennen, sondern nur Apokalyptisches daraus abzuleiten in der Lage sind.

Wie ist aber nun faktisch das Leben an der US-mexikanischen Grenze? Darüber hat Francisco Cantú ein nicht übermäßig umfangreiches, aber brillantes Buch geschrieben. Vier Jahre lang, von 2008 bis 2012, war er, zweisprachig, da familiär auch in Mexiko verwurzelt, nach dem Studium der Internationalen Beziehungen in Washington D.C. bei der US Border Patrol an der texanisch-mexikanischen Grenze angestellt. Dann ging er wieder an die Universität zurück, an jene von Arizona in Tucson, wo er Creative Writing inskribierte.

Illegale Grenzübertritte

Er schildert dramaturgisch klug, oft spannend in diesem Memoir, diesem Genre des persönlich orientierten erzählerischen Langessays, seine Anfänge im Dienst, die Kollegen, seine Erlebnisse, die illegalen Grenzübertritte, die einzelnen, unterschiedlichen Schicksale. Ihm gelingen faszinierende Vignetten: "In der Station bereitete ich seine Deportationspapiere vor. Nachdem ich seine Fingerabdrücke genommen hatte, fragte er, ob es in der Station Arbeit für ihn gebe. Sie haben nicht verstanden, sagte ich, Sie müssen hier warten, bis der Bus kommt. Der wird Sie ins Hauptquartier bringen und weiter zur Grenze. Bald sind Sie wieder in Mexiko. Ich verstehe, antwortete der Mann, ich will nur wissen, ob es etwas zu tun gibt, solange ich hier warten muss, ob ich mich nützlich machen kann. Ich könnte den Müll rausbringen oder in den Zellen sauber machen. Sie sollen wissen, dass ich arbeiten will, ich bin kein schlechter Mensch. Ich bin kein Drogenschmuggler. Ich habe keine illegalen Sachen vor. Ich will arbeiten. Ich sah ihn an. Das weiß ich, sagte ich."

Cantú stößt auch auf Verdurstete, auf Tote, die von ihren kostspieligen Schleppern zurückgelassen wurden, die dehydriert orientierungslos umhergeirrt waren. Er schildert seine wachsenden Vorbehalte und die seiner nächsten Umgebung und realisiert, wie er sich verändert, seelisch und emotional. Auch, dass diese Praxisjahre eine essenzielle Ergänzung seiner akademischen Studien waren. Am Ende erzählt er, da hatte er schon gekündigt, wie ein guter Bekannter, ein seit mehr als 30 Jahren in den USA lebender und ununterbrochen arbeitender "Illegaler" – in der Regel zwei Jobs gleichzeitig -, verheiratet, drei Kinder, zur sterbenden Mutter nach Oaxaca reist, beim illegalen Grenzübertritt geschnappt wird und sich in der Abschiebungsbürokratie heillos verheddert. Und wie die Familie getrennt wird. Großartige Prosa ist das, geschmeidig, klug, eindringlich, berührend. Autobiografisch, aber mit Dezenz und Diskretion. Poetisch und bewegend. Kein Wunder, dass dieser Debütband in den USA gleich den renommierten Whiting Award erhielt.

Im Jahr 2017 reiste die in Potsdam bei Berlin lebende promovierte Ethnologin, Filmemacherin und Reporterin Jeanette Erazo Heufelder, die 2011 schon ein Buch über den Drogenkorridor Mexiko veröffentlicht hatte, die amerikanisch-mexikanische Grenze entlang. Schon beim Auftaktsatz von Welcome to Borderland ist man auf der Hut: "Die Geografie des Rio-Grande-Tals ist ein wenig verwirrend." Denn Heufelders Darstellung ist überdicht ausgefallen und somit selbst ein wenig verwirrend. Einen Teil, und zwar keinen kleinen, nimmt die Historie ein, die im Hin und Her über Ansiedlungen, Aufstände, Kriege und Grenzvermessung nicht ganz einsichtig geschildert wird. Einen zweiten Teil nimmt die Explosion von Gewalt, Drogen und Kartellen seit den 1990er-Jahren ein.

Dass sie nicht übermäßig atmosphärisch zu schreiben vermag, das weiß man schon aus ihrem Porträt von Felix Weil, dem Mäzen der Frankfurter Schule. Hier von einer Reportage – auch wenn auf der letzten Abbildung sie selbst im Gespräch mit einem US-Grenzschützer zu sehen ist – zu sprechen fällt schwer. Im Großen und Ganzen ist dies eine informative, wenn auch etwas schwergängige Darstellung. Die lange Literaturliste eignet sich aber gut zur Themavertiefung.

Ich und, ach, Mexiko

Ärgerlich hingegen ist das Mexiko-Buch des in Paris lebenden Reisereporters Andreas Altmann. Mit autobiografischen Büchern über seine Kindheit und Jugend im erzkatholischen Altötting hatte er in den vergangenen Jahren Bestsellererfolge. Nun, nach Bänden über die USA, Afrika, Thailand, Australien, Indien, zuletzt Palästina und einer Gebrauchsanweisung für das Leben, also Mexiko, wo der Mittsechziger vor mehr als dreißig Jahren einmal längere Zeit lebte.

Das Resultat ist, um es gleich zu sagen, kümmerlich. Nicht selten peinigend. Für Landschaft und Natur besitzt der Selbstverliebte keine Sprache. Die Städte hingegen bleiben allesamt diffus. Weil Altmann seine aus früheren Bänden altbekannte Manier, die inzwischen zur manieristischen Methode geronnen ist, anwendet: mit Zufallsbekanntschaften reden. Kuriosa beobachten und spontan notieren. In die Zeitung schauen. Und daraus ableiten, wie ein Land ist. Zuvor etwas lesen, sich kundig machen – überflüssig. Und störend. Und: wieso sich vertraut machen, wie andere "travel writers" schreiben, wie sie Sprache verwenden, wie sie dramaturgisch vorgehen? Wieso auch. Wenn. Man. Kurze. Sätze. Schreibt. Die keinen Inhalt haben. Außer sich selbst.

Wie will man das nahezu permanente Reden über die eigene demonstrative Uneitelkeit nennen denn – überbordende Eitelkeit? Altmann hat seit Jahren nicht mehr so ausdauernd wie in In Mexiko über sich selbst geschrieben, nicht so notorisch selbstbespiegelnd und narzisstisch. Sein "Ich Ich Ich" steht die ganze Zeit dem Lesenden im Weg. Man weiß um seinen aggressiven Atheismus, um seine Suada wider Kommunikationselektronik, man weiß um seine Anklage von Esoterik. Und doch ist er ebendas: ein verschwurbelter Küchenpsychologe. Da ist von "Wachsen" die Rede, von "Bereicherung", von "weltwach" sein (was auch immer das ist) und anderen Ego-Anlagerungen. Ein Reporter ist er, legt man Engelhardts Sammelband daneben, nicht. Ein wirklich wortmächtiger, einfallsreicher Schriftsteller ist er, vergleicht man seinen Bericht mit Cantús Prosa, erst recht nicht. Vielleicht sollte er sich künftig ganz auf sein ausdauernd erwähntes Tagebuch beschränken. (Alexander Kluy, 8.12.2018)