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Sergej Magnizki ist auch lange nach seinem Tod noch ein weltweites Politikum.

Foto: AP / Alexander Zemlianichenko

Der Name Sergej Magnizki (Magnitsky in der englischen Schreibweise) polarisiert auch neun Jahre nach dessen Tod. Mehrere EU-Abgeordnete sowie Abgeordnete nationaler Parlamente in Europa fordern derzeit in einem offenen Brief die Beibehaltung des Namen Magnitsky in einem etwaigen Gesetz zur Sanktionierung von Menschenrechtsverletzern in aller Welt.

Ein solches Gesetz wird in der EU seit 2014 debattiert, eine breite Unterstützung für eine entsprechende Liste, die die schwersten Menschenrechtsverletzer weltweit gezielt sanktioniert, ist eigentlich vorhanden. Der Titel des entsprechenden Gesetzes – im Grunde geht es um die Nennung von Magnizkis Namen – wird aber kontrovers diskutiert. Bei einem Gipfeltreffen der EU-Staaten in der kommenden Woche soll über das weitere Vorgehen beraten werden.

"Magnitsky-Act" sanktionierte Russland

Zur Einordnung: Der russische Wirtschaftsprüfer und Anwalt Magnizki starb im Jahr 2009, Todesursache waren die verschärften Haftbedingungen in einem Moskauer Gefängnis. Man geht davon aus, dass er zu Tode geprügelt wurde. Nachdem Magnizki zuvor für seinen Klienten Bill Browder illegale Steuerrückerstattungen in der Höhe von rund 180 Millionen Euro zugunsten korrupter russischer Beamter untersucht hatte, wurde er 2008 selbst der Mittäterschaft beschuldigt und festgenommen.

Magnizkis Tod löste bilaterale Verstimmungen zwischen Russland und den USA aus, die 2012 in der Verabschiedung des "Magnitsky-Act" gipfelten. Magnizki ist seither eines der vielen tragischen Aushängeschilder, wenn es um Opfer von Menschenrechtsverletzungen geht. Das vom US-Kongress verabschiedete Gesetz beinhaltete Einreiseverbote und Konto-Einfrierungen für zahlreiche Russen, die mit Magnizkis Tod in Verbindung gebracht wurden.

Niederlande wollen Magnizki aus Gesetzestitel streichen

2016 weiteten die USA das Gesetz aus, wodurch nun Menschenrechtsverletzer in aller Welt auf dieser Grundlage sanktioniert werden konnten. Auch im Zusammenhang mit der Ermordung des Journalisten Jamal Khashogghi durch saudische Eliteeinheiten im Istanbuler Konsulat von Saudi-Arabien wurden immer wieder Forderungen nach Sanktionen auf Basis des "Magnitsky-Act" laut.

Neben den USA verabschiedeten mit Großbritannien und Kanada sowie Estland, Lettland und Litauen fünf weitere Staaten auf nationaler Ebene ähnliche Gesetze. Die Niederlande hingegen verzögerten den Beschluss. Und sorgen jetzt mit dem Wunsch, Magnizkis Namen aus dem Titel eines möglichen EU-Gesetzes zu streichen, innerhalb der Union für Irritationen und Debatten. Auch Deutschland und Frankreich sollen Sympathie für den niederländischen Vorschlag gezeigt haben.

Kritiker sehen Kapitulation vor Putin

Kritiker werfen den Niederlanden eine Appeasement-Politik gegenüber Russland vor. Ein Einknicken vor dem russischen Präsidenten Wladimir Putin wäre "unmoralisch und unfair", sagt Bill Browder, der den Kampf für einen globalen "Magnitsky-Act" auch als persönliche Pflicht gegenüber seinem verstorbenen Freund ansieht.

Auch die ehemalige estnische Außenministerin und nunmehrige liberale Europaabgeordnete Kristiina Ojuland sieht in einer Streichung des Namens Magnitsky eine Kapitulation vor Putin, die diesem einen "kolossalen Erfolg" einbringen würde.

Bei seinem Treffen mit US-Präsident Donald Trump in Helsinki im Juli stellte Putin Trump sogar Hilfe bei der Untersuchung einer möglichen russischen Beeinflussung von US-Wahlen in Aussicht – sofern man Bill Browder an Russland ausliefert. Auch die berüchtigte russische Anwältin Natalja Weselnizkaja, die sich mit Donald Trump junior im Trump-Tower getroffen hat, um Trumps Wahlkampfteam belastendes Material über die demokratische Kandidatin Hillary Clinton zu übergeben, lobbyierte immer wieder für eine Abschaffung des Magnizki-Gesetzes.

EU-Gesetz gäbe mehr Handlungsspielraum

In der EU gibt es bereits seit 2014 Bestrebungen für ein unionsweites Magnizki-Gesetz. Kommission und Rat verhinderten es allerdings bislang. Mit Ausnahme von Personen, die auf die EU-Terrorliste gesetzt wurden, können Personen bisher nur dann sanktioniert werden, wenn sich auch ihr Herkunftsland auf einer EU-Sanktionsliste befindet. Das geschieht meist nur im Zusammenhang mit bestimmten Vorkommnissen oder Ereignissen in einem Land, etwa einem Völkermord.

Das schränkt den Handlungsspielraum der EU deutlich ein, will man doch nicht immer gleich die gesamte Bevölkerung eines Staates treffen. Eine auf dem "Magnitsky-Act" aufbauende Liste mit den schwersten Menschenrechtsverbrechern könnte dieses Dilemma beseitigen. Auch Maßnahmen gegen Korruption könnten dadurch einfacher und zielgerichteter gesetzt werden. Es könnte jedoch auch neue Probleme schaffen.

Vergeltungssanktionen drohen

Bereits jetzt sind Beschwerden gegen Sanktionen der zweithäufigste Grund für Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof. Durch ein EU-weites Magnizki-Gesetz könnten diese noch viel zahlreicher werden. Beschränkt man sich bei Sanktionen hingegen auf Einreiseverbote und verzichtet auf das Einfrieren von Vermögenswerten, würde die Zahl dieser Klagen wohl überschaubar bleiben.

Vergeltungssanktionen von Staaten, insbesondere Russland, wären ebenfalls zu erwarten. Und auch der größte Vorteil gezielter Sanktionen – ihre Flexibilität – birgt Risiken für die EU-Staaten. So bedarf es klar und eng formulierter Richtlinien, die auch stringent eingehalten und angewendet werden, um sich nicht dem Vorwurf einer Doppelmoral auszusetzen, wenn man unterschiedlich hart bestraft. Sobald man nämlich das Sanktionsregime davon befreit, dass es im Rahmen einer großen Menschenrechtsverletzungsaktion eines Staates stattfand, ergibt sich weltweit eine lange Liste potenziell zu sanktionierender Personen.

Anfragen des STANDARD zu Österreichs offizieller Position blieben vorerst unbeantwortet. (Fabian Sommavilla, 6.12.2018)