In Hans Kammerlanders Leben kommt häufig der Tod vor. In vier Jahrzehnten Bergsteigen ist auch viel Platz für den Tod, man muss es als Erfolg sehen, nicht als Randnotiz in der Biografie eines anderen Alpinisten zu enden. Kammerlander verlor in den Bergen zahllose Weggefährten, darunter zwei enge Freunde bei einer gemeinsamen Expedition 1991 auf den Achttausender Manaslu in Nepal. Die späte Rückkehr zu seinem "Schicksalsberg" und das Leben des 62-Jährigen behandelt der am 14. Dezember anlaufende Film "Manaslu – Berg der Seelen", der auch Kammerlanders Tiefpunkt nicht ausspart: Seinen Autounfall 2013, als er alkoholisiert den Tod eines 21-Jährigen verursachte. DER STANDARD traf den Südtiroler Bergsteiger zum Interview.

STANDARD: Sie sind 1996 mit Skiern vom Gipfel des Mount Everest abgefahren. Eine gute Idee?

Kammerlander: Für mich war es sehr emotional, die Steigeisen abzulegen. Sie waren über viele Stunden meine Freunde, weil sie mir Halt gaben. Der Kontrast von Steigeisen zu rutschigen Skiern ist gewaltig. Als ich dann in die schattige Nordwand hinunterschaute, hat mich die Tiefe beunruhigt, obwohl sie mir normal nichts ausmacht. Ich hatte das Gefühl, sie zieht mich förmlich nach unten. Wenn du einen Fehler machst, landest du nicht im Fangnetz wie auf der Streif – dann hast du keine Zahnschmerzen mehr.

Hans Kammerlander beim Interview-Termin.
Foto: Thimfilm / Roland Ferrigato

STANDARD: War es auch eine Option, runterzugehen?

Kammerlander: Diese Überlegung gab's auf dem Gipfel. Ich habe den Aufstieg vom vorgeschobenen Basislager über die Nordseite bis auf den Gipfel in bis heute gültiger Rekordzeit bewältigt, obwohl ich auch Skier dabei hatte und nicht weiß Gott wie schnell nach oben laufen konnte. Das war ja auch schon zufriedenstellend. Aber wenn du die Abfahrt nicht probierst, dann wirst du im Basislager nicht glücklich sein – du hast ja jahrelang davon geträumt.

STANDARD: Sie setzten auf Schnelligkeit und reduzierten Ihre Ausrüstung auf das Allernötigste. Bedeutet das nicht auch mehr Risiko?

Kammerlander: Ich sehe das nicht als Gefahr. Mit leichtem Rucksack ist man schneller und geht viel sicherer. Wichtig ist eine sehr gute Ausrüstung an den Füßen: Schuhe, Steigeisen und ein sicheres Eisgerät. Das ist entscheidend, der Rest wird teilweise überbewertet. Sicherheit kann man nicht im Sportgeschäft kaufen. Man muss aber bereit sein, zurückzugehen, wenn es nicht mehr ganz passt.

STANDARD: Sparten Sie dann auch beim Proviant?

Kammerlander: Ich hatte für den Anstieg zum Gipfel nur einen Liter Tee mit, nichts zu essen, nicht einmal ein Stück Schokolade. Das war ein kleiner Fehler – ich wollte eigentlich eine Hand voll Studentenfutter mitnehmen, habe es aber vergessen. Ich hatte aber ohnehin kein Verlangen, etwas zu essen. Ich hätte aber ein Kilogramm mehr in Form von Flüssigkeit in Kauf nehmen sollen, das hätte mir viel Kraft gegeben.

Die Rückkehr zum Manaslu 2017: Das Team beim Aufstieg zwischen Lager I und II.
Foto: Thimfilm/Robert_Neumeyer_Planet_Watch

STANDARD: Bis wie knapp vor dem Gipfel kann man umdrehen?

Kammerlander: Bei meinem ersten Versuch am K2 haben wir um zehn Uhr rund 160 Meter vor dem Gipfel umgedreht, weil wir der Meinung waren, dass die Gipfelflanke wegen unberechenbaren Triebschnees zu gefährlich wäre und wir uns nicht sichern könnten. Das war schwer, weil der Gipfel so nah war und noch der ganze Tag vor uns lag. Man muss das Umdrehen aber lernen. Als ich jung war, konnte ich das nicht, bin immer wieder in blöde Situationen gekommen.

STANDARD: Nehmen Sie das Umdrehen im richtigen Moment als Erfolg wahr?

Kammerlander: Wenn du umdrehst und zu der Entscheidung stehst, dann hast du viel Erfahrung gesammelt und beim nächsten Mal auf diesem Berg einen Riesenvorteil. Das Ziel verliert man nicht aus den Augen, man kommt wieder, wahrscheinlich mit besseren Chancen. Je mühsamer der Weg, desto stärker ist der Moment, wenn man ins Ziel kommt. Geht alles glatt, ist es bald vergessen.

STANDARD: Sie sagen im Film: "Der Tod ist das geringere Übel."

Kammerlander: Wenn jemand am Berg verunglückt, dann ist das für den Betreffenden keine Tragödie. Ich habe es selbst gespürt, es ist harmlos. Du hast einen Schock, stellst fest, das war's jetzt. Ich war mit einem Franzosen am Fuß einer Wand des K2, als uns eine Eislawine entgegenkam. Mir war klar, dass wir nicht mehr abhauen können. Die Lawine aber drehte sich vorbei. Dann war alles ruhig, und wir waren noch da. Und dann denkst du: Schau an, ich hatte das immer für so fürchterlich gehalten. Es ist ein befreiender Gedanke, wenn man vor dem Tod keine so große Angst hat, aber trotzdem richtig gern lebt. Manche Leute haben immer nur Angst und versauen sich so das ganze Leben.

Der Manaslu (8.163 Meter) ist der achthöchste Berg der Welt.
Foto: Thimfilm/iStock_Planet_Watch

STANDARD: Geht man nach dieser Erkenntnis mehr Risiko ein?

Kammerlander: Wenn du wie beim Klettern oder Skifahren exponiert bist, dann wird dir der Wert des Lebens richtig bewusst. Das ist etwas Schönes. Außerdem ist das Klettern, angepasst an das Können, eine schöne Tätigkeit. Die Bewegung, die Natur und die Spannung, weil man unter sich Luft hat. Wenn man gut gesichert ist, das Seil nicht nur Dekoration ist, hält sich das Risiko in Grenzen.

Kammerlander steht 26 Jahre nach der Tragödie wieder vor seinem Schicksalsberg.
Foto: Thimfilm/Jochen_Hemmleb_Planet_Watch

STANDARD: Sie haben mit Reinhold Messner die letzten sieben seiner 14 Achttausender ohne Flaschensauerstoff bestiegen. Wie kamen Sie miteinander zurecht?

Kammerlander: Für mich war es damals ein Riesenvorteil, an seiner Seite aufbrechen zu dürfen. Er hat mich eingeführt in das Höhenbergsteigen. Gleichzeitig hat er mir die Last der Finanzierung genommen, ich hatte damals ja überhaupt kein Geld. Ihn als Lehrmeister zu haben, war schon wertvoll. Nur war ich an seiner Seite sehr schnell in einem Wettlauf drin, das wollte ich am Anfang gar nicht. Aber wir haben uns gut ergänzt, ich war der Kletterer, er der Taktiker. Wir waren ein sehr starkes Team. Im Tal ist jeder seinen Weg gegangen. Er hat die Kameras gesucht, ich habe sie gemieden.

STANDARD: Sprechen wir über Moral. Im Film gibt es eine Szene, in der ein japanisches Bergsteigerteam zum Gipfel weitergeht, anstatt sterbenden Indern zu helfen. Das ist lebensverachtend.

Kammerlander: Damit ist eigentlich alles gesagt. Das ist so was von verachtend, Hilfe sollte selbstverständlich sein. Einer der Japaner sagte, dass es über 8.000 Meter keine Moral mehr gibt. Dieser Satz ist ein kompletter Schock. Solche Leute haben am Berg nichts zu suchen. Wie willst du denn mit so einem Erfolg glücklich sein?

Regisseur Gerald Salmina (links), Werner Herzog, der im Film Kammerlander unter anderem auch zu seinem folgenschweren Autounfall 2013 befragte.
Foto: Thimfilm/Planet_Watch

STANDARD: Zu Ihrem Autounfall wird im Film fast alles gesagt. Nur eine Frage: Wenn man auf dem Berg fast unbezwingbar ist – verleitet das dazu, sich auch im Tal so zu fühlen?

Kammerlander: Der Berg trägt sicher viel dazu bei, dass man im Tal nicht so leicht steuerbar ist. Wenn du oft monatelang am Berg unterwegs bist, musst du immer Eigenverantwortung tragen – da darfst du keine Fehler machen. Kaum kommst du zurück ins Tal, siehst du nur Stopp und Vorsicht und diesen ganzen Käse, überall 50, 40 und 30. Das kann doch nicht sein, du wirst nur gesteuert. Da wird man oft einmal ein bisschen ungehobelt, denkt: Hört doch auf mit dem Vorsicht dies, Vorsicht das!

STANDARD: Also der Unfall.

Kammerlander: Es war ein Geburtstag und fröhlich. Und dann denkst du gar nicht daran, dass du nicht mehr fahren darfst, weil du die Gefahr nicht siehst. Diesen Fehler darf man nicht machen. Ich aber habe ihn gemacht, bin mit 1,4 Promille ins Auto gestiegen. Es ist meine Schuld, das tut mir leid. (Thomas Hirner, Martin Schauhuber, 6.12.2018)

Trailer zum Film "Manaslu – Berg der Seelen".
Thimfilm Filmverleih