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Eine Gelbwestenfigur "droht" an einem Kreisverkehr in der Normandie.

Foto: REUTERS/Philippe Wojazer

Ein Schritt zurück – und dann noch einen. Nachdem Premierminister Édouard Philippe die umstrittene Steuererhöhung auf Benzin und Diesel für sechs Monate suspendiert hatte, doppelte Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron am Mittwochabend nach: Er ließ verlauten, die Steuer werde 2019 nicht in Kraft treten. Das klingt nicht mehr nach Aussetzung, sondern nach Annullierung.

An den Verkehrssperren im ganzen Land herrschte am Donnerstag indes Einigkeit: Die Proteste, die mittlerweile auch Forderungen wie die Wiedereinführung der Reichensteuer betreffen, gehen weiter. Sie dehnen sich sogar noch aus, wurden doch mehrere Steuerzentren im ganzen Land attackiert. Nach Hunderten von Mittelschulen sind auch einzelne Universitäten blockiert. Landwirte und – ab Sonntagabend – auch Fernfahrer wollen die Verkehrswege blockieren. Drei große Gewerkschaften haben sich den Gelbwesten angeschlossen und rufen zum Teil auch die Eisenbahner auf, die Arbeit niederzulegen.

DER STANDARD

Kein Zweifel, die Steuerrevolte wird zur Lawine. Zugleich wächst die Angst. "In Frankreich herrscht ein äußerst eruptives Klima", warnt die Macron-Abgeordnete Annie Genevard. Laurent Nuñez, Staatssekretär für Polizeifragen, teilte mit, die Berichte der Nachrichtendienste aus dem Land seien "extrem beunruhigend". Zwar distanzieren sich die meisten Gelbwesten von den Krawallen in Paris; viele wollten deshalb am Samstag gar nicht Richtung Hauptstadt aufbrechen, um dort zu demonstrieren. Ohne die mäßigende Masse friedlicher Demonstranten werden die radikalen Aktivisten aber erneut den Ton angeben.

Der Geheimdienst DGSI verzeichnete sogar Aufrufe, am Samstag nach Paris zu gehen, um Polizisten zu "schlagen und töten". Bei den jüngsten Krawallen hatten Vermummte auf ausgebrannte Autos Slogans des anarchistischen Schwarzen Blocks wie "ACAB" (all cops are bastards) gesprayt. Das Hauptaugenmerk der Polizeibehörden liegt indessen auf den rechten Unruhestiftern. Einzelne Anführer traten bei den Pariser Samstagsprotesten in Aktion.

Aufruf zum Staatsstreich

Laut dem Magazin Le point erfasste der Geheimdienst etwa Hervé Ryssen, einen notorischen Rassisten und Antisemiten, der einen militärischen Staatsstreich propagiert, und den ehemaligen Fallschirmjäger Victor Lenta. Mit Gelbwesten und Gasmasken versehen, schufen die beiden nahe den Champs-Élysées zusammen mit Ultralinken Betonblöcke auf die Straße, um den Vormarsch der Wasserwerfer zu stoppen. Identifiziert wurde auch Denis Collinet von der rechten Splittergruppe Barjols. Einer ihrer Vertreter wurde kürzlich verhaftet, weil er Macron mit einem Messer angreifen wollte. Collinet ruft seinerseits zur Blockade von Steuerzentren und zu einem Steuerboykott auf und leitete in Lothringen anfänglich eine Gelbwestengruppe.

Premier Philippe appellierte vor der Nationalversammlung an alle Parteien, kein Öl ins Feuer zu gießen und stattdessen zu einer ruhigen Kundgebung aufzurufen. Die Sozialisten, Kommunisten und das "Unbeugsame Frankreich" von Jean-Luc Mélenchon lehnen das als politisches Manöver ab und wollen nächste Woche einen Misstrauensantrag gegen die Regierung einbringen. (Stefan Brändle aus Paris, 6.12.2018)