Religiöse Bekenntnisse spielten im Litchfield-Frauengefängnis nie eine sonderlich große Rolle. Die Damen, die hier aufgrund großer und kleinerer Verbrechen ihre Haftstrafe absitzen, sind selten gläubig. Umso überraschter war das Wachpersonal, als es plötzlich zu einem rasanten Anstieg der Anzahl jener Frauen kam, die unbedingt und sehr dringend zum Judentum konvertieren wollten. Schwarze, Weiße, Hispanics – allen war plötzlich nach Bar-Mizwa und Chanukka. Die Wächter grübelten. Ein Guru unter den Häftlingen? Aufsässige Missionarinnen, die den Umsturz planen? Rebellion, Randale, Chaos, Massenflucht?

Wie so oft, war auch diese Realität banaler. Die wundersame Anziehungskraft des Judentums auf die Insassinnen des Litchfield-Gefängnisses war einzig und allein der Tatsache geschuldet, dass die Anstaltsköche ihnen zu der Zeit einen unglaublich ekelhaften Fraß vorsetzten, dem sie nur entkamen, wenn sie koscheres Essen bestellten, das sehr viel schmackhafter war.

Mit Hunger nach jüdischer Kost ließe sich salopp jene Entwicklung umschreiben, die auf dem übersättigungsgefährdeten Serienspeiseplan seit geraumer Zeit für bekömmliche Abwechslung sorgt. Versuch einer Einordnung in Typen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit, dafür mit der Option auf Erweiterung.

1. DIE ENTSCHLOSSENE

Noch einmal zurück nach Litchfield: Die Vorzüge koscheren Essens schätzte in der Serie Orange Is The New Black zuerst Cindy Hayes (Adrienne C. Moore). Zumindest vorerst wollte die Insassin mehr vom Guten. Als Zweifel über ihre Zugehörigkeit zum Judentum aufkamen, reagierte sie adäquat, nämlich mit einem Tobsuchtsanfall: "You think you know my life? Shabbat Shalom, bitch!" Weiteres Highlight der Staffel war der danach herbeigeholte Rabbi, der sowohl Cindys ernste Absichten als auch die ihrer um Konvertierung bemühten, hungrigen Mitgefangenen einer strengen Prüfung unterziehen sollte, woraufhin Cindy zu einer wortreichen und wohl auch sehr berührenden Nacherzählung von Woody Allens Annie Hall und Isaac Bashevis Singers Jentl anhob.

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Cindy Hayes war Wahljüdin in "Orange Is The New Black" – des Menüs wegen.
Foto: Matt Sayles/Invision/AP

Verantwortlich für solche Perlen jüdischer Identitätsfindung ist Serienerfinderin Jenji Kohan. Jüdische Kultur spielte in der Serie immer wieder eine Rolle, und auch Cindy Hayes nahm die Sache mit dem jüdischen Glauben schließlich sehr ernst, was Zuschauern ein Eintauchen in jüdisches Leben aus der Perspektive der interessierten Nichtkennerin ermöglichte.

2. DIE/DER AUSGESTOSSENE

Lachen und Weinen liegen sehr nah beieinander im Leben der ehrwürdigen Maura, vormals Mort Pfefferman aus der Amazon-Serie Transparent. Der Politologieprofessor gesteht in Folge eins Ex-Frau und Kindern, seinem lebenslangen Begehren nachzugeben und künftig in Frauenkleidern das andere Geschlecht zu leben. Die komplizierte Normalität des Familienlebens holt Maura trotzdem oder gerade deshalb immer wieder ein. An dieser Spannung zwischen antizipierter Verpflichtung und unverhandelbarer Neigung konnte man sich drei Staffeln lang nicht sattsehen. Als im Zuge der #MeToo-Debatte bekannt wurde, dass Maura-Darsteller Jeffrey Tambor sich am Set Frauen gegenüber unangemessen verhalten haben soll, zog dieser die Konsequenzen. Ob es mehr von Transparent geben soll, lässt Amazon bis dato offen.

Maura Pfefferman war in "Transparent" ein Hit, Jeffrey Tambor eher nicht.
Foto: AMAZON/Beth Dubber

3. DIE ORTHODOXEN

Die Kippa auf dem Boden, das Date ein Flop: Orthodoxe Juden sah man bisher selbst im israelischen Fernsehen selten. Leah Gottfried öffnet mit der Webserie Soon By You diese Tür einen Spaltbreit und macht sich über Sackgassen lustig, in die der Glaube mitunter führen kann. In dieselbe Kerbe schlägt Srugim und Shtisel. Zu Letzterem entwirft Friends-Miterfinderin Marta Kauffman für Amazon ein amerikanisches Pendant mit dem Titel Emmi, das in Brooklyn statt in Jerusalem spielen soll. Natalie Portman ist für die Hauptrolle vorgesehen.

4. ALTER, WEISSER MANN

Die Stunde null der jüdischen Komödie im TV schlug am 5. Juli 1989 auf NBC, als Jerry Seinfeld die Spaßkarten neu mischte und Humorblaupausen für nachfolgende Generationen von The Nanny bis Monk und Girls schuf, die allesamt nach dem Seinfeld'schen Prinzip der Sinnlosigkeit des Daseins funktionierten, über die man nur lachen kann. Seinfelds Co-Kreateur war Larry David, der zehn Jahre später in Curb Your Enthusiasm in der Rolle seines Lebens das ihm eigene Schlamassel wirkkräftig in Szene setzen konnte. Das Ganze ist – Zitat Larry – "pretty, pretty good".

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"Pretty, pretty good": Grant ist Larry Davids zweiter Vorname.
Foto: AP

5. DIE SCHAMLOSEN

Jüdischer Humor funktioniert sehr oft in Verbindung mit Entblößung – wahlweise des Selbst, des anderen oder des Systems. Zwei, die dieses Handwerk exzellent verstehen, sind Sol und Frankie Bergstein aus der Netflix-Serie Grace and Frankie. Als Spät-Geouteter legt Sol (Sam Waterston) verkrustete Konventionen frei, als spätgeschiedene Fabrikantin von eigens für Seniorinnen entworfenen Vibratoren erfindet sich Frankie (Lili Tomlin) lustvoll neu. Für den wahren Akt der Selbstentblößung sorgte freilich Frankies Zweckpartnerin in der Senioren-WG. Die aparte Grace Hanson (Jane Fonda) nahm angesichts bevorstehenden Alterssexes sämtliche künstliche Verschönerungsteile zwischen Wimpern und Mieder ab, bis nur mehr das Echte, Ungeschönte stand. Das jüngere Gegenüber war beeindruckt – und ergriff nicht die Flucht.

Die jüdische Frankie gibt der Ami-Lady Grace ständig neue Aufgaben auf. Wenn es aber hart auf hart geht, schützt die eine die andere – mit allen passenden Mitteln.
Foto: Melissa Moseley / Netflix

6. DIE ALLESKÖNNER

Ein jüngeres Produkt israelischer Schaffenskraft ist Fauda, das als Mischung aus Sopranos und The Wire gepriesen wird und private und berufliche Verwerfungen einer Undercover-Eliteeinheit des Militärs im Westjordanland behandelt. In Sachen Serienproduktion ist der jüdische Staat kreative Hochburg und Vorbild: Serien wie Homeland und In Treatment stammen ursprünglich aus Israel.

7. DIE LUSTIGERE

1978 konstatierte das Time Magazine, dass 80 Prozent aller amerikanischen Stand-up-Comedians Juden waren. Über das Geschlechterverhältnis ist weiter nichts bekannt, der Frauenanteil dürfte eher gering gewesen sein. Zumindest im Seriengefäß von The Marvelous Mrs. Maisel setzt besagte Frau Maisel einen signifikanten Kontrapunkt. Ihr Gatte Joel ist in seiner Freizeit Stand-up-Comedian in New Yorker Clubs und nicht lustig. Gilmore Girls-Erfinderin Amy Sherman-Palladino wurde nicht zuletzt mit dieser Serie und derzeit in Hollywood zur höchst gehandelten Spaßmacherin. Die Hauptrolle spielt Rachel Brosnahan, Tony Shaloub hat als monkig-patriarchaler Dad eine Spezialrolle, und spätestens nach 40 Minuten ist das alles nur noch ziemlich göttlich.

8. DIE SKRUPELLOSE

Für zumindest drei Staffeln ringt die Produzentin der Realityshow Everlasting mit ihrem Gewissen. Rachel Goldberg (Shiri Appleby) fühlt sich nicht gut, wenn sie die nach Liebesabenteuern gierenden Kandidatinnen auf den einzig verfügbaren Kandidaten loslässt und dabei manipuliert und intrigiert, um die Quote hochzudreschen. Aber sie tut es doch, weil es das ist, was sie am besten kann. Macht verdirbt den Charakter, das kann man an keiner anderen Serie so gut ablesen wie an UnReal. Gertrude Shapiro, eine der Schöpferinnen, war Produzentin für die Kuppelshow The Bachelor, sie weiß, wovon sie spricht. Stichwort: Entblößung. Eine, die richtig wehtut.

9. DER MANISCHE

In manisch-futuristischem Setting lässt sich das Schicksal von Owen Milgrim, gespielt von Jonah Hill, in Maniac erleben. Die Serie spielt in einer komischen Zwischenzeit und stellt allein dadurch ein Fest für alle Sinne dar. Die New Yorker U-Bahn rattert wie die New Yorker U-Bahn, vor Manhattan wacht die geflügelte "Statue der außergewöhnlichen Freiheit", die Computer in Owens Büro haben Altertumswert, das Hundstrümmerl auf der Straße wird von einem Roboter weggefegt. Erschaffen hat das True Detective-Showrunner Cary Joji Fukunaga. Rätselhaft und schön: Emma Stone.

Owen Milgrim geht mit Annie Landsberg in "Maniac" durch dick und dünn.
Foto: Netflix

10. DIE UNSICHTBAREN

Erst seit wenigen Jahren löst sich das Thema Judentum in der deutschen TV-Fiction von der Shoah. Kann sein, dass öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten sich lange Zeit als Schöpfer von Bildern verstanden, die vorbildlich volkserzieherisch zu agieren hatten. Das hatte zur Folge, dass jüdisches Leben selten genug und wenn, dann schon gar nicht in seiner Pluralität zu sehen war. Bereits beendete Serien wie Berlin Berlin und Bella Block bezogen jüdische Identität erstmals in Beziehungsfragen ein. Der ORF ist in dieser Entwicklung ungefähr auf dem Stand von Franz Antels Der Bockerer stehengeblieben. Ein bisschen mehr vom Geist Cindy Hayes wäre den Anstaltsleitern zu wünschen. Oder wie Cindy sagte: "I'm ready to get my Jew on." (Doris Priesching, 8.12.2018)