Bestand die Erbsubstanz der ersten lebenden Zellen aus anderen Buchstaben als heutiges Leben?

Illustr.: Harvard University

Bereits 1965 ist es Sol Spiegelman im Labor gelungen, primitive Vorstufen von Leben auf Basis von Ribonukleinsäuren (RNA) nachzuweisen. Der US-Molekularbiologe konnte zeigen, dass sich RNA-Moleküle in einer unbelebten Umgebung dynamisch entwickeln und evolutionär anpassen können. Auf der Such nach dem Ursprung des Lebens bildet die RNA-Welt-Hypothese heute einen bedeutenden theoretischen Grundpfeiler: Anhänger dieser These gehen davon aus, dass die Erbinformation der ersten zellähnlichen Lebensformen nicht auf DNA sondern auf RNA basierte. Nun haben Forscher Hinweise gefunden, dass dieser frühe Lebenscode mit einigen anderen Buchstaben geschrieben worden sein könnte.

Unklares Alphabet

Wie wir bereits in der Schule gelernt haben, besteht moderne RNA aus einer Helix aus Zuckerphosphat und einer Abfolge der Nukleinbasen Adenin, Guanin, Cytosin und Uracil – im Unterschied zur DNA, deren Bestandteile aus Zuckerphosphat und den Basen Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin eine Doppelhelix bilden. Ob bereits die Erbsubstanz der RNA-Welt vor über 3,5 Milliarden Jahren aus diesen vier Buchstaben bestand, ist weitgehend unklar. Zumindest was Adenin und Guanin betrifft, gilt dies jedoch als unwahrscheinlich, da frühere Simulationen ihrer Entstehung aus Vorstufen unter urzeitlichen Bedingungen zu keinen plausiblen Ergebnissen führten.

Um diese Fragen also zu klären, hat sich ein Team um den Nobelpreisträger Jack Szostak (2009 für Medizin) von der Harvard University auf die Suche nach möglichen Alternativen zu Guanin gemacht – und ist schließlich bei Inosin gelandet. Diese Base galt eigentlich bislang als wenig geeignet als Buchstabe im genetischen Alphabet, weil sie sich mit den übrigen organischen Basen unserer Erbsubstanz verbinden kann, was unweigerlich zu Fehlern führt. Die Experimente von Szostak und seinen Kollegen haben diese ursprüngliche Annahme nun aber widerlegen können.

Fremder Nukleinbasen-Satz

Die Forscher stellten im Labor vielmehr fest, dass bei einem RNA-Code mit Inosin bedeutend weniger der eigentlich erwarteten Kopierfehler entstehen. "Unsere Studie lässt darauf schließen, dass sich die frühesten Formen von Leben auf einen etwas anderen Satz von Nukleinbasen gründeten als heutiges Leben", berichten die Forscher im Fachjournal "Pnas". "Inosin wurde bei unseren Experimenten mit einer Rate und Zuverlässigkeit kopiert, die mit der des Guanosins vergleichbar war."

Mehr noch: Die Versuche zeigten auch, dass für die Entstehung von Inosin keine komplexen Vorläufermoleküle nötig sind: Es resultiert aus der Abspaltung einer Aminogruppe von Adenosin, der in die RNA integrierten Variante von Adenin. Damit könnten die Wissenschafter der Bildung der ersten Genbausteine des Lebens einen bedeutenden Schritt näher gekommen sein. (tberg, 9.12.2018)