Neun Minuten lang hielt der Applaus an, den Merkel nach ihrer Rede erntete.

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So viel Applaus gab es lange nicht mehr. Als Angela Merkel die Bühne betritt, um den Parteitag zu eröffnen, wollen die Delegierten gar nicht mehr aufhören zu klatschen. Viele schwenken bereits kleine Transparente. "Danke, Chefin, für 18 Jahre CDU-Vorsitz", steht darauf.

Merkel lächelt, sagt aber leicht mahnend: "Wir haben heute noch viel vor." Totengedenken, Ehrengäste begrüßen, Tagesordnung beschließen, all das muss noch erledigt werden, bevor Merkel endlich zu ihrer letzten Rede als Parteivorsitzende ansetzt.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel dankt ab. Mit einem Appell zur Verteidigung der liberalen Werte und einem Aufruf zum Zusammenhalt in der CDU verabschiedet sie sich am Freitag. Sie bekannte sich auch dazu, niemanden gegeneinander auszuspielen.



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Sie erinnert zu Beginn an den 10. April 2000, als sie in Essen zur Parteichefin gewählt wurde. Da habe sie als Motto für den Parteitag "Zur Sache" ausgewählt, was viele nicht verstanden hätten. "Typisch Merkel", hätten viele gelästert. Aber damals, nach der Spendenaffäre, stand die CDU "politisch, moralisch und finanziell vor dem Aus". Doch, so Merkel: "Wir haben nicht klein beigegeben. Wir haben uns auf unsere eigenen Stärken besonnen und es allen gezeigt. Wir haben zurück zur Sache gefunden."

"Zusammenführen. Und zusammen führen"

War das vielleicht ein Seitenhieb auf Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, der damals auch in die Spendenaffäre verwickelt war und als CDU-Chef nicht hatte reüssieren können? Jetzt spricht er sich ja für den Kandidaten Friedrich Merz aus, den Merkel nicht besonders leiden kann. Alles wird wahrgenommen und sofort hinterfragt auf diesem Parteitag.

Merkel erklärt derweil das Motto dieses Parteitages: "Zusammenführen. Und zusammen führen." Wieder könnten einige damit nichts anfangen. Aber, so Merkel, in Zeiten der Polarisierung müsse man Gräben überwinden, zwischen Stadt und Land, Ost und West, Einheimischen und Migranten.

"Ich sage nur Saarland"

70 Jahre alt sei die Bundesrepublik bald, mehr als 50 davon hätten CDU und CSU den Kanzler beziehungsweise die Kanzlerin gestellt. Merkel: "Dass daraus noch mehr werden kann, dafür stellt dieser Parteitag heute die Weichen." Sie erinnert an Erfolge der letzten Zeit und meint gleich einmal: "Ich sage nur Saarland." Dort habt die CDU im Frühjahr 2017 überraschend mehr als 40 Prozent eingefahren.

Es geht ein Raunen durch den Saal, dann folgt donnernder Applaus. Vielleicht war das ein versteckter Hinweis, wen die Delegierten wählen sollen. Denn alle wissen: Den Wahlsieg damals hat Annegret Kramp-Karrenbauer eingefahren, die heute – ebenso wie Merz – Merkels Nachfolge antreten will. Und dann lobt Merkel auch noch den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther, der sich klar für "AKK" ausgesprochen hat.

Mehr aber sagt sie nicht, sie blickt stattdessen noch einmal in die Vergangenheit zurück. Es sei richtig gewesen, die Wehrpflicht abzuschaffen, die Entwicklung eines eigenen Modells für den Mindestlohn nennt sie eine "Sternstunde". Sie erinnert noch einmal an das Jahr 2015, in dem die vielen Flüchtlinge kamen und Deutschland aus einer "humanitären Notlage" heraus gehandelt habe.

"Wir haben uns gegenseitig nicht geschont"

Und, sagt sie an "ihre" CDU gewandt: "Wir haben uns bei alldem nicht gegenseitig geschont." Sie habe der Partei einiges zugemutet, "aber ich erlaube mir zu sagen, dass es ganz selten auch umgekehrt war".

Die Delegierten lachen, auch als sie erklärt: "Sie haben mir nichts vorenthalten, aber ich Ihnen so manchen scharfen, deftigen Angriff auf den Gegner." Sie habe eher zum Florett gegriffen und sei nicht über viele Stöckchen gesprungen, die man ihr hinhielt.

Ihrem Nachfolger oder ihrer Nachfolgerin gibt sie ein paar Gedanken mit: "Ich möchte, dass wir nie vergessen, was unsere christdemokratische Haltung ausmacht. Wir grenzen uns ab, aber grenzen niemals aus. Wir streiten – und das nicht zu knapp –, aber niemals hetzen wir oder machen andere Menschen nieder."

"Bundeskanzlerin bin ich auch noch"

Man merkt an vielen Stellen, wie bewegt Merkel ist, erst recht, als sie erklärt, natürlich weiterhin für die CDU da zu sein: "Zur Verbundenheit mit dieser Partei brauche ich keinen Parteivorsitz." Dann fügt sie noch mit leichter Ironie hinzu: "Und Bundeskanzlerin bin ich auch noch." Jetzt aber könne sich die CDU auf die Zeit nach ihr einstellen. Nicht, wie üblich auf einem Parteitag, nach 90 Minuten, sondern schon nach 30 schließt sie ihre Rede mit den Worten: "Es ist an der Zeit, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Es war mir eine große Freude, es war mir eine Ehre."

Dann tritt sie vom Rednerpult zurück, leicht ist dieser Moment nicht. Die Delegierten erheben sich sofort, es gibt neun Minuten Standing Ovations und zum Dank einen kleinen Film über sie. "Danke für 18 Jahre Parteivorsitz. Wir freuen uns auf alles, was kommt." Und, obwohl Merkel es nicht wollte, auch ein Geschenk für die Liebhaberin klassischer Musik: jenen Taktstock, mit dem Kent Nagano während des G20-Gipfels in Hamburg in der Elbphilharmonie dirigierte. (Birgit Baumann aus Hamburg, 7.12.2018)