Ein König sollte keine Revolution ausrufen –er droht von ihr selber weggefegt zu werden. Diese Erfahrung macht soeben Emmanuel Macron. Im französischen Präsidentschaftswahlkampf des letzten Jahres nannte er sein politisches Bekenntnis in Buchform "Révolution". Mit diesem Bestseller gelobte er, Frankreich von Grund auf zu erneuern. Jetzt wird der Staatschef aber durch eine Nebenreform bereits ausgebremst, muss er doch die Erhöhung seiner Ökosteuer – die eigentlich gar keine ist – unter dem Druck der Straße zurücknehmen; Anfang der Woche will er im Fernsehen eine Art Schuldbekenntnis ablegen.

Die Gelbwesten, die so gar nichts verstehen wollen von Politik, die nur sehen, dass ihr Konto und ihr Kühlschrank zum Monatsende leer sind – sie haben den hochintelligenten Präsidenten schon jetzt in die Knie gezwungen. Das Paradoxe daran ist: Macron, der in gut einem Jahr vom Politstar zum Buhmann der Nation verkommen ist, argumentiert politisch zum Teil ganz ähnlich wie die Gelbwesten: Beide Seiten verwerfen die alten Parteien, beide behaupten, sie stünden weder rechts noch links. Die "gilets jaunes" verbinden jedenfalls liberale Forderungen nach tieferen Steuern mit linken Anliegen wie dem Kampf für höhere Mindestlöhne und gegen die Reichen in Paris.

Damit haben die Gelbwesten doppelt recht: Frankreich leidet stärker als andere Länder unter einer Steuer- und Abgabenquote von 46 Prozent der Wirtschaftsleistung – das ist europäischer Rekord, wie die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vergangene Woche errechnet hat. Zugleich ist die soziale Ungleichheit in Frankreich massiv. Das spüren heute gerade die ärmeren Landbewohner, die auf ihr Fahrzeug und tiefe Benzinpreise angewiesen sind und die von der Globalisierung nur immer hören, aber nichts sehen.

Verknöchertes Elitedenken aufbrechen

Sind die Gelbwesten auch Teil der populistischen Grundströmung, die den Westen von Ungarn bis in die USA, von Italien bis Großbritannien durchzieht? Nicht nur: Sie könnten für Frankreich auch Gutes bewirken, wenn sie vermögen, was Macron nicht schaffte – nämlich verknöchertes Elitedenken und zentralstaatliche Machtstrukturen aufzubrechen. Was sie verlangen, ist auch mehr demokratisches Mitspracherecht in einem Land, das von einer technokratischen Elite regiert wird.

Allerdings gefährden die samstäglichen Gewaltorgien in Paris neuerdings selber die Demokratie. Der gelbe Aufstand erschüttert ganz Frankreich in seinen Grundfesten. Am Samstag wurde klar, dass sich die Bewegung entgegen Macrons Hoffnung nicht einfach totlaufen wird. Die Polizei hat zwar besser reagiert als zuvor, aber sie allein wird das Problem natürlich nicht mehr in den Griff kriegen.

Und das Problem ist zum Teil auch Macron selbst. Der Präsident, der in Frankreich den Staat verkörpert, ist angeschlagen, jetzt schon ein Opfer jener Revolution, die er nicht hatte kommen sehen. Wie er in Zukunft wichtige Reformen – etwa die anstehende Rentenreform – gegen den nunmehr offenen Widerstand der Betroffenen durchsetzen will, ist schleierhaft. Frankreich dürfte ein wirtschaftliches Sorgenkind bleiben. Für die Stabilität Europas verheißt das nichts Gutes. (Stefan Brändle aus Paris, 9.12.2018)