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Jeder zweite Euro im österreichischen Onlinehandel fließt über Amazon. Der Konzern gerät auch international ins Visier der Kartellbehörden

REUTERS/Mike Segar/

Händler erstarrten vor Amazon über viele Jahre wie die Maus vor der Schlange. Zu groß war die Marktmacht des Onlineriesen, zu ungleich waren die Waffen im Kampf um fairen Wettbewerb. Langsam, aber doch mehrt sich Widerstand auf europäischer wie auf nationaler Ebene.

Die EU-Kommission nimmt die Aktivitäten des Konzerns seit dem Frühjahr näher unter die Lupe. In Deutschland hat Ende November das Bundeskartellamt gegen ihn ein Missbrauchsverfahren eingeleitet. Nun geht auch Österreich in die Offensive und versucht, Amazon erstmals über eine Klage kartellrechtlich in engere Schranken zu weisen. Sie zielt auf eine Zerschlagung des Platzhirschen ab.

Der Handelsverband hat gegen Amazon eine Beschwerde bei der Bundeswettbewerbsbehörde eingereicht, erfuhr DER STANDARD. Konkret geht es um eine Sachverhaltsdarstellung rund um die Doppelrolle des Konzerns, der zum ei nen klassischer Onlinehändler ist, zum anderen jedoch auch größter Marktplatz für andere Webshops.

Unerlaubter Datenaustausch

Amazon soll zwischen diesen beiden Tätigkeiten unerlaubt Daten austauschen und sich damit erhebliche Vorteile gegenüber anderen Handelspartnern aus Österreich verschaffen. Im Visier sind zudem die Verträge des Konzerns mit seinen Marktplatz-Händlern. Diese sollen mit starken Vorbehalten und Unklarheiten zugunsten Amazons verbunden sein.

Aus aktuellen, dem STANDARD vorliegenden Unterlagen geht hervor, dass die Kartellbehörde einen begründeten Verdacht sieht – und Ermittlungen aufnehmen wird. In der Folge werden Händler dazu aufgerufen, Sachverhalte und Erfahrungen rund um das Geschäftsgebaren von Amazon über eine Ombudsstelle des Handelsverbands anonym der Behörde zukommen zu lassen.

Der Handelsverband als Kläger vereint in Österreich 150 große und 5000 kleine Händler, die in Summe rund 43 Milliarden Euro Umsatz erzielen. Amazon hat hierzulande Einfluss auf gut 1,4 Milliarden Euro Umsatz, erhob der deutsche Marktforscher EHI. Für die Hälfte davon sorgen Händler, die ihre Internetgeschäfte über den Marktplatz des digitalen Multis abwickeln. Unterm Strich rollt gemäß der Studie mittlerweile jeder zweite Euro im österreichischen Webhandel über Amazon. 60 Prozent des Onlineumsatzes fließen über die Grenze ins Ausland ab.

"Zeit läuft davon"

"Wir wollen einen Stein ins Rollen bringen", sagt Rainer Will. Der Geschäftsführer des Handelsverbands sammelt seit drei Jahren Indizien gegen Amazon: Die Verdachtsmomente diverser Praktiken hinsichtlich unfairen Wettbewerbs haben sich aus seiner Sicht stark verdichtet. Die Politik habe den Marktplatz bisher aber nicht sinnvoll regulieren können. Daher greife der Handel zur Selbsthilfe. "Wir haben der Politik zu lange vertraut. Uns läuft die Zeit davon."

Welche Vergehen stehen konkret im Raum? Es geht um Verhaltensweisen und Geschäftsbedingungen für österreichische Händler, die auf der Amazon-Plattform gelistet sind. Amazon behalte sich das Recht vor, Verträge mit ihnen jederzeit ohne Grund und mit sofortiger Wirkung zu kündigen und auszusetzen, sagt Will. Je kleiner ein Webshopbetreiber, desto größer sei die Abhängigkeit. Händler berichteten überdies, dass ihre gelisteten Produkte, die sich gut vermarkten lassen, oft von Amazon übernommen und preislich unterboten werden. Der Konzern kaufe sogenannte Schnelldreher bei den Produzenten lieber selbst und in großen Stückzahlen ein.

Gezielte Verdrängung

Kleinere Händler auf dem Marktplatz würden damit gezielt verdrängt, Amazon reiße ihre Umsätze an sich. Möglich mache dies der Datenaustausch des Unternehmens mit seinem Einzelhandelsgeschäft, ist Will überzeugt. Auf Marktführer Amazon als Vertriebskanal gänzlich verzichten könne sich aber kein Händler erlauben. "Es gibt so gut wie keine Alternativen. Man ist in einer Schere gefangen."

Theoretisch habe der Internetriese Einsicht in die Daten all seiner gelisteten Partner. Wie ihm auch die Daten fast aller österreichischer Konsumenten zufließen: 93 Prozent der Österreicher haben zumindest einmal über ihn Produkte bestellt, erfragte die EHI.

Die Ermittlungen der Behörde sollen mutmaßliche wettbewerbswidrige Klauseln aus Händlerverträgen eliminieren, hofft Will. Für nicht ausreichend, um die Wettbewerbsvorteile der Dateneinsicht zu verhindern, hält er die gesellschaftsrechtliche Trennung zwischen Marktplatz und Onlinehandel innerhalb der Gruppe.

"Keine andere Wahl"

Die Frage nach dem Erfolg der Beschwerde stellt sich Will nicht. "Wir haben schlicht keine andere Wahl, um die 600.000 Arbeitsplätze im österreichischen Handel zu sichern." Außerdem gehe es um Marktvielfalt. Amazon selbst war am Sonntag für eine Stellung nahme vorerst nicht erreichbar.

Österreichs zehn größte Webshops erzielen mittlerweile mehr Umsatz, als die folgenden 250 gemeinsam. Auch Zalando, Universal und Otto rangieren abgeschlagen hinter Amazon. Kräftige Zuwächse gibt es laut EHI trotz Internetbooms nur für einen Bruchteil der rund 9000 Webshops hierzulande. Die großen Fünf schöpfen den überwiegenden Teil des jährlichen Mehrumsatzes ab.

Um bei hohem Service, feinmaschiger Logistik und Garantie zu Bestpreisen mitzuhalten, braucht es massive Investitionen. Vor allem kleinen Einzelhändlern fehlt dazu die Kriegskasse. Will sieht sich durch das Vorgehen Deutschlands gegen Amazon bestärkt. In Österreich sei die Situation auf dem Markt ident. Die Konzentration im Handel sei aber noch dramatischer. (Verena Kainrath, 9.12.2018)