Trotz des knappen Wahlerfolgs der Kontinuität verkörpernden und von der Bundeskanzlerin favorisierten Annegret Kramp-Karrenbauer markiert der CDU-Kongress eine Wende in der deutschen Innen- und Außenpolitik. Die rhetorischen Beruhigungspillen der neuen Bundesvorsitzenden können nicht über die tiefen Risse in der letzten deutschen Volkspartei hinwegtäuschen. Die zentrale Frage wird von den deutschen Medien bis auf weiteres ununterbrochen gestellt: Wann wird sie Angela Merkel auch als Bundeskanzlerin ablösen? Wie schnell und wie stark wird sie sich von Merkel und deren Linie in Fragen der inneren Sicherheit und der Wirtschafts- und Europapolitik lösen? Darüber hinaus bleibt die Dauerkrise des sozialdemokratischen Koalitionspartners ein Unsicherheitsfaktor für die Zukunft der Regierung. Angesichts der Europawahl Ende Mai und der Landtagswahlen im Herbst in Brandenburg, Sachsen und Thüringen ist die von Merkel in ihrer Abschiedsrede gewünschte "Fröhlichkeit im Herzen" der Partei kaum eine realistische Option.

Der Übergang zu einer Zukunft ohne Merkel und die Aussicht auf einen radikalen Umbau der deutschen Parteienstruktur bedeuten, dass die stärkste EU-Macht eine weniger aktive Rolle auf dem internationalen Parkett spielen wird. Die Chancen der EU, ihre Werte mutig und effektiv gegenüber den Nationalpopulisten durchzusetzen, stehen nicht nur wegen der unberechenbaren Gestaltung der deutschen Führungsrolle schlecht.

Unregierbarkeit Frankreichs

Noch dramatischer sind die internationalen Auswirkungen der sich abzeichnenden Unregierbarkeit Frankreichs infolge des Aufstandes der Gelbwesten. Die spontanen Massenaktionen zeigen mit aller wünschenswerten Deutlichkeit, dass der von so vielen (auch von mir) als strahlender Hoffnungsträger betrachtete Emmanuel Macron die Sprengkraft seiner Steuererhöhungen zu spät erkannt hat und den Flächenbrand bisher nicht unter Kontrolle bringen konnte. Dass drei Viertel der Franzosen die Bewegung der Gilets jaunes für gerechtfertigt halten, ist ein Alarmsignal für den politisch unerfahrenen, jungen Präsidenten Frankreichs. Er hatte offenbar die falschen Prioritäten gesetzt und die aufgestaute Wut der Mehrheit zu spät erkannt.

Die abstrakte Qualität der Europaidee samt der Rettung des Planeten und einer von Macron angekündigten europäischen Führungsrolle reichen nicht aus, um das Vertrauen der Bürger auf Dauer zu halten. Der frühere deutsche Außenminister Joschka Fischer hat recht, "die Schicksalsfrage für Europa bleibt, ob Deutschland an seiner europäischen Berufung, gemeinsam mit Frankreich, festhält" (Kommentar der anderen).

Dass in einer so ungemein gefährlichen Situation in Frankreich der von allen guten Geistern verlassene und selber mit dem Rücken zur Wand stehende US-Präsident Donald Trump mit seinen provokanten Bemerkungen nur Öl ins Feuer gegossen hat, zeigt uns, in welcher aus den Fugen geratenen Welt wir leben. Die große Illusion eines vereinten Europa könnte sich als eine riskante und gefährliche Selbsttäuschung entpuppen, wie Tony Judt bereits 1996 warnte. (Paul Lendvai, 10.12.2018)