Ein Mann vor einer Staubwolke nach mehreren Explosionen in Kabul: Aufgenommen wurde das Foto von Shah Marai Ende 2017. Kein Jahr später wurde der Fotograf selbst Opfer eines Anschlags.

Foto: APA/AFP/SHAH MARAI

Es ist erst zwei Monate her, dass das Europäische Parlament am 12. September mit beeindruckender Mehrheit einem Antrag zugestimmt hat, der Presse und Nachrichtenagenturen hoffen lässt, für das Nutzen ihrer Inhalte endlich von den Internetgiganten bezahlt zu werden. Jahrelang haben diese täglich tausende Medienbeiträge aufgegriffen, ohne die Urheber dafür auch nur im Geringsten zu vergüten.

Diese historische Abstimmung über Urheber- und verwandte Schutzrechte in Straßburg wurde möglich dank einer beispiellosen Mobilisierung von Journalisten und dank des Muts von Parlamentariern, die sich vom intensiven und beispiellosen Druck der großen Technologiefirmen nicht beirren ließen.

Der verabschiedete Antragstext bedarf nun erneut einer gemeinsamen Haltung des Parlaments, des Ministerrats und der Europäischen Kommission. Mit einer neuen und umfassenden Lobbyingkampagne versuchen die Internetgiganten nun, den Text seiner Substanz zu entkleiden. Ihr Ziel ist es, Bezüge auf "Kurzfassungen", "Faktensammlungen" und "Schnipsel" aus dem Text herauszulösen, Nachrichtenagenturen auszunehmen und die Schutzspanne der Urheberrechte zu verkürzen.

Fakten gehören allen. Jeder kann sie ermitteln, darstellen und analysieren. Hierbei ist es Usus, das Urheberrecht derjenigen, die dies leisten, zu respektieren und ihre Arbeit zu vergüten – auch bei einer Kurzfassung, etwa wenn eine Suchmaschine oder eine Sammelsoftware Wort für Wort des inhaltlichen Angebots einer Zeitung oder Nachrichtenagentur übernimmt.

Wäre es auch nur einen Augenblick lang vorstellbar, dass für einen faktenbasierten Bericht, etwa über den Brexit oder eine Flüchtlingstragödie auf dem Meer vor Griechenland, kein Cent an die vor Ort Berichtenden gezahlt wird, unter dem Vorwand, es handele sich nur um kurze Auszüge?

News statt Fake-News

Man denke an die investigative Arbeit, die Arbeit des Schreibens, Fotografierens und Filmens, die dann Überschriften wie "Selbstmordanschlag in Schiitenviertel in Bagdad: 32 Tote laut Polizei und Kliniken" ergibt. Für diese schlichte, informative Zeile hat ein Journalist, eine Journalistin recherchiert. Er oder sie hat die Polizei zur Art der Explosion befragt, bei Krankenhäusern Opferzahlen in Erfahrung gebracht, den Explosionsort aufgesucht, um die Folgen der Detonation zu beschreiben und Zeugen zu befragen. Gelegentlich riskiert jemand dafür sein Leben, denn nicht selten geschieht ein weiterer Anschlag an genau demselben Ort. So war es unlängst in Kabul, als neun Journalisten und Fotografen ihr Leben verloren, darunter mein AFP-Kollege Shah Marai.

Um Fakten zu ermitteln, müssen Gerüchte ausgesondert werden, die alle größeren Nachrichten verunreinigen können. Fake-News füllen die sozialen Netzwerke und verschwinden erst nach akribischer Überprüfung durch die Medien. Sie ist die tägliche Arbeit aller Journalisten, Fotografen, Videoberichterstatter und seit Jahren auch meine eigene in Bagdad, Teheran, Kairo, Damaskus, Beirut. Werden bei der Übernahme von Berichten der Verlage und Agenturen Schutzrechte umgangen, allein weil es sich um Kurzfassungen handelt, verliert der Abstimmungstext der EU vom September 2018 seine Substanz.

Das würde bedeuten, dass die Basisarbeit unserer Branche, die Recherche und das Berichten überprüfter Fakten ohne Wert wären. All die Investitionen, die Verleger und Presseagenturen tätigen, um Nachrichten der Öffentlichkeit verfügbar zu machen, wären völlige Verschwendung. Es würde auch bedeuten, dass nicht länger Tatsachen die Berichte, die Geschichten schreiben. Letztlich würde es das Feld denjenigen überlassen, die mit Fake-News hausieren gehen.

Welche Quellen bleiben?

Kurzfassungen von den Schutzrechten auszunehmen würde Verleger und Nachrichtenagenturen dazu zwingen, weniger Journalisten einzustellen, ihre Büros in Regionen wie Afghanistan, Irak, Iran oder Nordkorea zu schließen. Welche Informationsquellen wird es dann noch geben? Staatsmedien? Die Desinformationskampagnen autoritärer Regime?

Lassen wir es nicht zu, dass Bots oder programmierte Roboter Kampagnen beeinflussen, Trollarmeen Reporter verdrängen und Onlinefiktion geprüfte Fakten ersetzt!

Wenn Kurzfassungen von den Urheberrechten ausgenommen werden, wird das Plündern von Inhalten weitergehen. Der Grund ist einfach: Es sind solche Kurzfassungen, die Internetsurfer in großen Mengen lesen, die Millionen von Interaktionen generieren – und damit erhebliche Einkünfte für die Plattformen. Wenn faktische Nachrichten von der EU-Vorlage ausgenommen werden, bleibt von ihr nur eine leere Hülle.

Ein weiteres Begehren der Internetgiganten richtet sich darauf, Presseagenturen von den Urheberrechten auszunehmen. Doch gerade diese stehen an der Frontlinie der Nachrichten. Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute bringen sie durch ihre dichten Netzwerke, die sie weltweit bis in die entlegensten Gebiete aufgebaut haben, Berichte, Fotos, Videos hervor. Agenturen bleiben ein unerlässlicher News-Kompass dank überprüfter, pluralistischer und ausführlicher Information, die den Rezipierenden dabei hilft, über Vorgänge von Syrien bis Russland, von isolierten Provinzen bis in die Hauptstädte ferner Staaten Kenntnisse zu erlangen.

Die Laufzeit der Rechte

Ohne Agenturen, Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen würden die Internetriesen einen Großteil ihrer Zirkulation von Originalnachrichten verlieren. Ohne Agenturen gäbe es weniger Fotos, weniger Fakten. Fake-News würden aufblühen. Agenturinhalte würden genauso geplündert wie die Arbeit der Verleger. Für die Demokratie ist es unabdingbar, dass die Agenturen fortbestehen, und dies erfordert, dass sie, ebenso wie die Verlage, vollständig in die EU-Richtlinie aufgenommen werden.

Die von den Urheberrechten gewährleistete Schutzdauer ist eine zentrale Frage. Es gibt Bestrebungen, sie auf ein Jahr zu reduzieren. Es erscheint absurd, dass die Internetgiganten die Fotos der tragischen Angriffe in Paris im Jahr 2015 kostenlos erhalten sollen, nur weil ein Jahr vergangen ist. Es ist offensichtlich, dass die Lebensdauer eines Fotos nicht auf ein Jahr begrenzt ist und dass es regelmäßig wiederverwendet werden kann. Vernunft und Fairness gebieten eine Rückkehr zu der ursprünglichen Schutzfrist des Urheberrechts von 20 Jahren.

Zukunft der Presse schützen

Kann die Europäische Union das Risiko eingehen, die Schutzrechte auszuhöhlen, während wir überall in der Welt wachsende Gefahren und die Verbreitung von Fake-News sehen?

Uns allen wird gesagt, wie wichtig die Europawahlen im kommenden Mai für die Demokratie sind. Das ist wahr. Deshalb lasst uns einen Parlamentsbeschluss, der am 12. September von 438 Abgeordneten gefasst wurde, nicht auflösen und demontieren.

Was in Brüssel dieser Tage auf dem Spiel steht, ist der Schutz der europäischen Kultur und Presse; es ist die Zukunft der Presse und aller anderen kreativen Künste, sei es Musik, Literatur, Kino, Theater oder Dichtung. Und das Beibehalten der verabschiedeten EU-Richtlinie wird keine negativen Auswirkungen auf die Verbraucher haben, die weiterhin freien Zugang zu Inhalten genießen werden.

Journalisten, Fotografen, Verleger und Nachrichtenagenturen sind in der Forderung nach einer angemessenen Bezahlung für ihre Arbeit und für ihre Bemühungen um eine fortwährende Unterrichtung der Öffentlichkeit vereint. Angemessene Leistungsschutzrechte zu etablieren ist entscheidend für unsere Demokratie. (Sammy Ketz, 10.12.2018)