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Vor dem britischen Unterhaus fordern immer mehr Demonstranten ein erneutes Referendum.

Foto: REUTERS/Peter Nicholls

Das Erkenntnis der Höchstrichter kam nicht unerwartet. Trotzdem sorgte die Nachricht zum Brexit-Krimi am Montag sowohl in den EU-Institutionen wie auch in den Hauptstädten der Mitgliedsländer für zusätzliche Ratlosigkeit.

Sie kam diesmal ausnahmsweise nicht aus London, sondern vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg: Dort lag eine Klage von schottischen Bürgern zum EU-Austritt des Vereinigten Königreichs vor, welche das oberste schottische Zivilgericht an den EuGH zu einer Vorabentscheidung weitergereicht hatte. Es sollte geklärt werden, wie der Artikel 50 der EU-Verträge letztgültig zu verstehen sei. Darin ist in eher allgemeiner Form beschrieben, wie die Austrittsverhandlungen ablaufen. Es ist nicht explizit festgeschrieben, ob ein Land einen einmal gestellten Austrittsvertrag auch wieder zurücknehmen könne.

Rechtsdienste von Kommission und Parlament gingen bisher davon aus, dass es dazu eines einstimmigen Beschlusses aller 28 Staats- und Regierungschefs bedürfe. Sonst "könnte ja jeder kommen", den Austritt androhen, und kurz vor Vollzug wieder zurückziehen, lautete das Argument.

Die Hüter der EU-Verträge in Luxemburg gaben Montagvormittag bekannt, dass sie das anders sehen: Die britische Regierung könne ihren Ende März 2017 per Boten an die EU-Kommission übermittelten Antrag zum EU-Austritt jederzeit widerrufen. Großbritannien bliebe dann, was es heute ist: Mitglied der EU – mit allen Rechten und Pflichten. Das entspreche dem Geist der Bestimmungen, sagen die Höchstrichter.

Bloß eine "Absicht"

Einzige Bedingung sei, dass ein neuerlicher "Antrag" aus London verfassungsgemäß und schriftlich erfolge, fristgerecht und ohne Bedingungen. Tatsächlich hatte Premierministerin Theresa May in ihrer Depesche vom Frühjahr 2017 nur von der "Absicht", die Union zu verlassen, geschrieben. So ist das EU-vertraglich vorgesehen – unbesehen, was bei solchen Verhandlungen herauskommt, ob es einen Deal gibt oder eben nicht. Was wie eine juristische Spitzfindigkeit klingt, hat für die Union und die EU-27-Partner der Briten natürlich Konsequenzen.

Alles, was bisher zum Brexit vereinbart oder erklärt worden ist, bekommt nun noch mehr den Charakter der Vorläufigkeit, der jederzeit der Boden entzogen werden kann, wenn London nachverhandeln will oder in letzter Minute den Exit vom Brexit verkünden kann. Wie soll die EU unter solchen Umständen ihren langjährigen Budgetrahmen von 2020 bis 2027 weiterverhandeln, wenn man nicht weiß, ob Großbritannien dann voll dabei ist? Noch ärger: Wie soll man sich auf die EU-Wahlen Ende Mai vorbereiten, wenn nicht klar ist, wie (groß) das künftige EU-Parlament sein wird?

Eine Sprecherin der Kommission betonte in einer ersten Stellungnahme, das Erkenntnis ändere nichts am vereinbarten Brexit-Deal mit May. Die EU-27 hätten Nachverhandlungen ausgeschlossen. Dabei bleibe es. Ob das so ist, wird man in wenigen Tagen wissen, wenn sich die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel in Brüssel treffen. Dort heißt es nun auf der Agenda: "Alles Brexit!" (Thomas Mayer aus Straßburg, 10.12.2018)