Veronika Bohrn Mena beschäftigt sich seit Jahren mit atypischen Arbeitsverhältnissen und den Veränderungen der Arbeitswelt.

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Wir erleben die arbeitnehmerfeindlichste Politik seit Jahrzehnten. Die grausamen Einschnitte bedeuten einen Angriff auf unsere Rechte und die Menschenwürde. Es ist Klassenkampf von oben. Das schwarz-blaue Regierungsprogramm ist trotz der fatalen Konsequenzen von Deregulierung und Flexibilisierung in anderen Ländern mit diesen gespickt.

Seit einem Vierteljahrhundert folgt die öffentliche Debatte zu Wirtschafts- und Sozialpolitik stur dem grundsätzlich verkehrten Irrglauben, dass "die Wirtschaft" und "der Markt" übermächtige Naturgewalten wären, denen Staat und Politik, ja wir alle hilflos ausgeliefert wären. Der alte Leitsatz "Geht's der Wirtschaft gut, geht's uns allen gut!" hat sich als falsch erwiesen.

Denn es sind Menschen, die an der Börse spekulieren, ihr Vermögen auf Kosten anderer ins Unermessliche steigern wollen, für ihren obszönen Reichtum andere ausbeuten. Es sind Menschen, die hinter Wirtschaftsmonopolen stehen, aus platzenden Finanzblasen und sogar aus Hungerkrisen unvorstellbare Gewinne ziehen.

Nicht nur lästige Privilegien

Auch Geschäftsmodelle, die über Leichen gehen, und "der Markt" als solcher wurden von Menschen geschaffen und müssen daher auch von uns reguliert werden. Denn "die Politik" und "der Staat" sind nicht dazu da, um ideale Bedingungen für "die Wirtschaft" zu schaffen, sondern primär für uns Menschen. Die Frage ist nicht, ob, sondern in welche Richtung umverteilt wird. Zu denen, die durch Arbeit und Konsum die Gemeinschaft finanzieren. Alle Menschen und ihre Angehörigen müssen in unserem reichen Land durch Arbeit sozial abgesichert sein und gut davon leben können.

Diesen Grundkonsens – und nicht weniger – gilt es zu wahren bei allen Maßnahmen, für deren Umsetzung wir als Gemeinschaft hart kämpfen werden. Es ist egal, ob es "die Praktikantin", "der Freie" oder die befristeten Kollegen ist, am Ende sitzen wir alle im selben Boot. Solange Arbeitnehmerrechte wie Urlaubsanspruch, Mutterschutz und Kündigungsfristen nicht für alle Beschäftigten gelten, drohen sie als lästige Privilegien wahrgenommen zu werden, die es zu umgehen gilt.

7. und letzter Teil unserer Serie "Die neuen Prekären"
Foto: der standard

Es darf keine Beschäftigten zweiter Klasse oder Tagelöhner geben. Am Ende sind wir, die wir von Arbeit leben, allesamt Lohnabhängige und auf starke Gewerkschaften und gesetzlichen Schutz angewiesen.

"Teile und herrsche" darf nicht länger das Erfolgsrezept der Besitzenden und ihrer Parteien sein, mit dem sie auf unsere Kosten weiterhin ein Leben in Reichtum führen. Die Grenze verläuft zwischen jenen, die für ihr Auskommen arbeiten müssen, und jenen, die ihr Geld für sich arbeiten lassen. Wenn wir uns als Kollektiv begreifen, können wir den Machtausgleich bewerkstelligen, den wir brauchen, um uns und unseren Nachkommen ein selbstbestimmtes und chancengerechtes Leben zu ermöglichen.

Solidarisches Agieren

Dazu gehört die Erkenntnis, dass wir unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Hautfarbe und Alter eine Gemeinschaft sind, mit gleichen Notlagen. Das solidarische Agieren ist die einzige Ausgleichsmöglichkeit, die lohnabhängigen Menschen tatsächlich Macht verleiht. Individuelle Kämpfe, Anbiederung und Unterwerfung funktionieren – wenn überhaupt – nur temporär und machen abhängig.

Darum ist der Zusammenschluss der Arbeitenden zu Gewerkschaften ein zeitloses Konzept, das in Zeiten arbeits- und sozialrechtlicher Rückschritte wie jener, die wir unter dieser Regierung erleben, sogar noch an zusätzlicher Bedeutung gewinnt. Eine Idee, die für die neue Arbeiterklasse die einzige Gegenwehr angesichts der bürgerlichen Verrohung und der Ideologie der Ungleichwertigkeit darstellt. Noch haben wir die Möglichkeit, uns zu wehren und mitzuentscheiden, wie Arbeit künftig gestaltet und wie mit uns umgegangen wird.

Aber Rechte fallen nicht vom Himmel. Niemand wird sie uns schenken, wir müssen sie erkämpfen. Der Druck am Arbeitsmarkt ist Folge gezielter Einflussnahme und bewusster Spaltung. Die Beschneidung von Rechten und Mitsprache ist dem Profitstreben geschuldet, keiner echten Notwendigkeit. Wenn wir etwas ändern wollen, gilt es, sich jetzt zu Wort zu melden, sich zu organisieren und dagegenzuhalten. Heute wieder mehr denn je. (Veronika Bohrn Mena, 12.12.2018)