Für Michael Doyle war die "US-Mitverantwortung an den Kriegen im Nahen Osten" ein Motiv für die Mobilitätskonvention.

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Michael Doyle weiß, dass er am Anfang eines langen Weges steht. Der Plan, den der US-amerikanische Politikwissenschafter vergangene Woche auf Einladung der Akademie der Wissenschaften und der Universität Wien ebendort vorstellte, steht in krassem Gegensatz zu den derzeit weltweiten Entwicklungen im Umgang mit Migration. Den vieldiskutierten UN-Migrationspakt lässt er blass aussehen.

Die neue, von mehr als 40 akademischen Expertinnen und Experten, mehrheitlich aus den USA, erarbeitete Model International Mobility Convention (MIMC) sieht eine umfassende Verrechtlichung des weltweiten Umgangs mit menschlicher Mobilität vor, von Tagesreisen über Tourismus und Arbeitsmigration bis hin zur Asylsuche. In dem Dokument (auf Deutsch: Internationale Mobilitätskonvention, s. "Wissen" unten) wird ein grundlegendes Umdenken der internationalen Gemeinschaft vorgeschlagen.

Migration soll zu einer gemeinsamen Sache aller Staaten der Erde werden, mit klar definierten Rechten, Pflichten und Verbindlichkeiten für sämtliche Beteiligten. Im Interview steckt Doyle den Geltungsbereich dieser neuen Menschenrechtserklärung für den Umgang mit Mobilität in einer globalisierten Welt ab – und äußert sich zu dessen Umsetzungschancen.

STANDARD: Rechte und migrationsfeindliche Parteien befinden sich aktuell stark im Aufwind. Einem Plan, wie Sie ihn in der Internationalen Mobilitätskonvention vorstellen, kommt das nicht entgegen. Warum präsentieren Sie das Modell jetzt?

Doyle: Die derzeitige Lage ist den Zielen der Mobilitätskonvention sehr abträglich, das stimmt. Aber gerade jetzt sehen wir den Schaden durch den falschen Umgang mit Migration. Die politischen Umstände können in fünf oder zehn Jahren anders sein, sodass dann eine Reform des globalen Migrationsregimes angedacht wird. Warum die intellektuellen Vorbereitungen nicht schon jetzt starten?

STANDARD: War es Zufall, dass die Arbeit an der Konvention 2015 begann, im Jahr der großen Fluchtbewegung nach Europa?

Doyle: Absolut nicht. Damals, als sich aus dem Nahen Osten viele Menschen auf den Weg machten, waren die Dinge im Fluss. Es stellten sich Fragen nach dem rechtlichen Rahmen dieser Flucht- und Migrationsbewegung. Aus meiner Perspektive ging es dabei um die US-Mitverantwortung für die Kriege und damit die Fluchtbewegungen im Nahen Osten.

STANDARD: Die Mobilitätskonvention schlägt eine Reihe zusätzlicher Rechte für Migranten, Flüchtlinge und alle Menschen vor, die Staatsgrenzen überschreiten. Was hätten im Gegenzug die Staaten für Vorteile?

Doyle: Länder, aus denen viele Menschen migrieren, würde die Verrechtlichung zum Beispiel einen effektiveren Zugriff auf die nach Hause überwiesenen Gelder der Auswanderer ermöglichen. Dabei handelt es sich um sehr große Summen. Staaten, die viele Flüchtlinge beherbergen, würden die Verantwortung für diese durch einen globalen Mechanismus mit allen anderen Staaten teilen. Aufnahmestaaten wie die USA und die Länder der EU wiederum würden durch stärkere Sicherheitsregeln beim Überschreiten von Staatsgrenzen profitieren.

STANDARD: Die Konvention setzt auf starke Staaten mit starken Grenzen. Fördert das nicht Nationalismen?

Doyle: Sie zielt auf sichere, geordnete Mobilität von Menschen ab, über die souveräne Staaten entscheiden. Offene Grenzen sind nicht vorgesehen.

STANDARD: Warum?

Doyle: Weil das, was Sie Nationalismus nennen, auch ausdrückt, dass Staaten Gemeinschaften sind, mit einem starken Gefühl des Gemeinsamen. Es ist wie in einem Klub, den man nur betreten darf, wenn man eingeladen ist. Ein solches Gemeinwesen setzt eine Außengrenze voraus.

STANDARD: Welche Verbesserungen bringt die Mobilitätskonvention für Migranten, Flüchtlinge und andere Reisende?

Doyle: Ihre Mobilität wird auf eine umfassende rechtliche Basis gestellt. Im Ankunftsstaat haben sie Rechtssicherheit und wissen, welche staatlichen Angebote sie erwarten und welche Pflichten sie haben.

STANDARD: Welche Beschränkungen bringt die Mobilitätskonvention für Reisende?

Doyle: Illegaler Grenzübertritt ist verboten. Asylsuchende müssen ihre Schutzgründe an der Grenze glaubhaft machen. Wer ohne Berechtigung einreist, muss vom Herkunftsstaat zurückgenommen werden. All das wären unter der Konvention weltweit geltende, garantierte Rechte und Pflichten.

STANDARD: Braucht es für die Umsetzung neue humanitäre Standards und Menschenrechte?

Doyle: Die existierenden Menschenrechte reichen, es müssen aber Standards für grenzüberschreitende menschliche Mobilität formuliert werden, etwa, was die Rechte von Touristen oder Studierenden betrifft.

STANDARD: Beispiel Touristen: Welche Folgen hätte die Verrechtlichung für ein Tourismusland wie Österreich?

Doyle: Wenige, denn die rechtlichen und geschäftlichen Standards für Touristen sind in Österreich sowohl national als auch auf EU-Ebene festgeschrieben. In vielen anderen Staaten jedoch ist das nicht der Fall. Auch einfache Regeln, etwa dass sich ein Tourist lokalen Sitten und Gebräuchen gegenüber respektvoll verhalten muss und dass Sextourismus untersagt ist, sollen weltweit verbindlich werden.

STANDARD: Eine grundlegende Änderung ist der erweiterte Asylbegriff in der Mobilitätskonvention. Er soll gleichermaßen für Menschen mit klassischen Asylgründen und für die sogenannte Zwangsmigration gelten. Etwa für Gewaltflüchtlinge, die in der EU derzeit subsidiären Schutz erhalten. Warum braucht es diese Neuerung?

Doyle: Weil beide Verfolgungstatbestände, humanitär betrachtet, dieselben sind. Wer im Herkunftsland von kriminellen Gangs oder aufgrund seines Geschlechts verfolgt wird oder wem die Klimaerwärmung jede Existenzgrundlage raubt, dessen nacktes Leben ist ebenso bedroht wie das eines politisch, religiös oder rassisch Verfolgten.

STANDARD: Heißt das, dass laut der Mobilitätskonvention Klimaflüchtlinge in anderen Staaten Asyl erhalten sollen?

Doyle: Ja, wenn das Herkunftsland als Ganzes unbewohnbar geworden ist, was im Fall von tiefgelegenen Inseln ja der Fall sein wird. Wenn hingegen in anderen Landesregionen ein Überleben möglich ist, gilt das Prinzip der innerstaatlichen Fluchtalternative. Für industrialisierte Staaten wie Österreich ist Schutz für Klimaflüchtlinge eine moralische Notwendigkeit. Immerhin tragen diese Staaten die historische Verantwortung für den zunehmenden CO2-Ausstoß und damit für die Klimaerwärmung.

STANDARD: Das ist ziemlich radikal gedacht. Zuletzt haben zwei weit weniger große Würfe, der UN-Migrationspakt und der UN-Flüchtlingspakt, für politische Verwerfungen gesorgt. Wie schätzen Sie die Pakte ein?

Doyle: Als wichtige Schritte, jedoch ohne rechtliche Verbindlichkeit. Die Mobilitätskonvention hingegen ist als ein bindendes Übereinkommen konzipiert. Die Vorteile für Unterzeichnerstaaten ergeben sich daraus, dass sich auch alle anderen Unterzeichnerstaaten an die Regelungen halten.

STANDARD: Bis zur Unterzeichnung wird es wohl noch dauern, denn viele Menschen lehnen Einwanderer ab. Was tun, um die breite Bevölkerung von der Notwendigkeit globaler Regeln für Migration zu überzeugen?

Doyle: In den reichen, demokratischen Staaten wird das nur gehen, wenn die Schwächeren, Verwundbareren wieder fairer behandelt werden. In den USA etwa wurden die Rechte Arbeitender abgebaut, das Bildungssystem wurde geschwächt, die Infrastruktur verrottet. Das gilt es zu ändern. Um Akzeptanz für ein Regelwerk wie die Mobiliätskonvention zu schaffen, muss in die Einheimischen investiert werden, sodass sie wieder Vertrauen in Politik bekommen. (Irene Brickner, 13.12.2018)