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Nur noch sehr selten lässt sich Algeriens gesundheitlich schwer angeschlagener Präsident Abdelaziz Bouteflika in der Öffentlichkeit blicken (Foto: April 2018). Dennoch soll er einmal mehr kandidieren.

Foto: Reuters / Ramzi Boudina

Die seit Monaten anhaltenden Flügelkämpfe innerhalb Algeriens intransparenter Machtelite haben einen neuen Höhepunkt erreicht. Nachdem zuletzt der Sicherheitsapparat sowie das Parlament Schauplätze heftiger regimeinterner Konfrontationen waren, versinkt inzwischen auch die Nationale Befreiungsfront (Front de Libération Nationale, FLN), Algeriens führende Regimepartei, in undurchsichtigen Querelen. Nun verkündete der erst im vergangenen Oktober unter grotesken Umständen zum neuen Parlamentspräsidenten gewählte FLN-Politiker Mouad Bouchareb die Auflösung sämtlicher Parteiinstanzen.

Auf Weisung des gesundheitlich angeschlagenen Staatspräsidenten und FLN-Parteichefs Abdelaziz Bouteflika sei eine sechsköpfige Übergangsinstanz an der Spitze der ehemaligen Einheitspartei eingerichtet worden, die bis zur Abhaltung eines "außerordentlichen Parteikongresses" die exekutiven Geschicke des FLN leiten solle, so Bouchareb. Während dieser von Bouteflika zum Koordinator dieser "leitenden Instanz" ernannt wurde, sollen Politbüro und Zentralkomitee durch eine neue "exekutive Struktur" ersetzt werden.

"Titanische Arbeit"

Bouchareb gab sich versöhnlich: Djamel Ould Abbès, der zuvor unter reichlich nebulösen Umständen als FLN-Generalsekretär zurückgetreten war, habe eine "titanische Arbeit" geleistet – doch die bevorstehende Periode erfordere einen "Neubeginn", so der 47-jährige Politiker aus Sétif im Nordosten des Landes.

Rechtlich steht dieser Neubeginn jedoch auf wackeligen Beinen. Denn Artikel 36 des Parteistatuts des FLN sieht im Falle des Ausscheidens eines Generalsekretärs die provisorische Übernahme der Amtsgeschäfte durch das älteste Mitglied des Politbüros vor. Innerhalb von 30 Tagen müsse dieser das Zentralkomitee einberufen, um einen neuen Generalsekretär zu wählen.

Bouchareb war jedoch weder Mitglied des Politbüros noch des Zentralkomitees – war er doch 2015 aus beiden Gremien verbannt worden, nachdem er sich mit dem damaligen FLN-Generalsekretär Amar Saïdani überworfen hatte. Die algerische Tageszeitung Liberté spricht daher von einem "Putsch", das frankophone Blatt El Watan von einem "Erdbeben". Denn Boucharebs De-facto-Übernahme des FLN deutet darauf hin, dass Algeriens herrschende Elite keineswegs geschlossen hinter Bouteflikas abermaliger Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl im April 2019 steht.

Ould Abbès, der sich Mitte November aus gesundheitlichen Gründen für beurlaubt erklärt hatte – aber Presseberichten entschieden widersprochen hatte, die nahelegten, er sei damit bereits zurückgetreten -, hatte zuvor wie kein anderer die Werbetrommel für Bouteflikas erneute Kandidatur gerührt.

Ould Abbès hatte dabei bereits verkündet, Bouteflika sei der Kandidat des FLN für die Wahl in fünf Monaten. Auch die Koalitionspartner des FLN – der Rassemblement National Démocratique (RND) und die Partei Tajamou Amal el-Jazaïr (TAJ) – sowie die staatliche Gewerkschaftsföderation UGTA und der Unternehmerverband FCE hatten sich hinter Bouteflika gestellt.

Neues Machtgefüge

Doch durch Boucharebs überraschenden Aufstieg könnten die Karten in Algeriens Machtgefüge neu gemischt werden – denn es bleibt unklar, ob der neue "Koordinator" der Partei ebenso energisch für ein fünftes Mandat Bouteflikas eintritt wie Ould Abbès.

Ungewiss ist auch, ob es sich bei den bisher ziemlich beispiellosen Vorgängen im FLN lediglich um parteiinterne Flügelkämpfe handelt, oder ob Teile des Sicherheitsapparats hinter den Kulissen die Fäden ziehen. Die für manche Beobachter verfassungsrechtlich fragwürdige Absetzung von Parlamentspräsident Saïd Bouhadja (FLN) vor wenigen Wochen hatte tiefe Risse innerhalb des FLN offenbart.

Angesichts der beeinträchtigten Gesundheit Bouteflikas – der seit 1999 amtierende, heute 81-jährige Staatschef tritt seit einem Schlaganfall 2013 kaum noch öffentlich auf und sitzt seither sichtlich angeschlagen im Rollstuhl – und der massiven Kritik in der algerischen Gesellschaft an einem fünften Mandat Bouteflikas ist dessen abermalige Kandidatur auch FLN-intern nicht unumstritten.

Das führte in den vergangenen Tagen zu immer konkreteren Diskussionen, die für April 2019 angesetzten Wahlen doch noch zu verschieben, da es offensichtlich keinen Konsens bezüglich Bouteflikas neuerliches Antreten gibt. (Sofian Philip Naceur aus Algier, 12.12.2018)