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Ein Gemüsemarkt in Bosnien und die Pension San Francisco in Wien. Das waren zwei der zentralen Stationen am Dienstag im Wiener Straflandesgericht bei der juristischen Aufarbeitung eines spektakulären Betrugsfalles auf Wiener Baustellen. Angeklagt vor dem Schöffensenat waren fünf Personen. Die Gruppe soll bis zu 1.600 Scheinanmeldungen von Bauarbeitern bei der Wiener Gebietskrankenkasse vorgenommen haben, der dadurch ein Millionenschaden entstand.

Das System lief, wie bei der Verhandlung deutlich wurde, über Jahre und diente dazu, etablierten österreichischen Baufirmen billige Arbeitskräfte zuschanzen zu können. Allen Angeklagten wurde unter anderem schwerer Betrug und Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Der Prozess endete mit vier Schuldsprüchen – der fünfte Beschuldigte ist untergetaucht und erschien nicht.

Die beiden Hauptangeklagten, Dragan J. und Miodrag S., wurden zu jeweils vier Jahren Haft verurteilt. Zwei weitere Angeklagte wurden ebenso schuldig gesprochen. Eine Frau, sie soll als Sekretärin für die Gruppe gearbeitet haben und eingeweiht gewesen sein, wurde zu drei Jahren verurteilt, davon zwei bedingt. Ein vierter Angeklagter, der beim System mitgeholfen hat, wurde zu 30 Monate Haft, davon 20 bedingt, verurteilt. Alle Urteilssprüche, denen ein Geständnis vorangegangen war, sind rechtskräftig.

Deutlich beim Prozess wurde, dass die Aufklärung der umfangreichen Causa weitergeht. Im Verfahren wurde zumindest der Geschäftsführer eines österreichischen Unternehmens von einem der Angeklagten schwer belastet. Dem Hauptbeschuldigten Dragan J. wurde vorgeworfen, ein System aufgebaut zu haben, bei dem die Wiener Gebietskrankenkasse und die Bauarbeiter-, Urlaubs- und Abfertigungskasse (Buak) systematisch betrogen wurden. Er meldete Bauarbeiter in einer Scheinfirma korrekt an. Sozialabgaben und Versicherungsbeiträge wurden für die Leute nicht bezahlt.

Jede Menge Geschäftsführer

Wenn nach zwei bis vier Monaten die Sache aufzufallen begann, wurden die Arbeiter einfach auf eine neue Scheingesellschaft angemeldet. Damit die Sache nicht aufflog, setzte Dragan J. Strohmänner als Geschäftsführer ein. Er soll sie aus Bosnien und Serbien hergekarrt haben. Die meisten der Leute hatten keine Ahnung, wofür ihre Unterschriften gebraucht wurden, Dragan J. hat die Leute zu einem großen Teil auf einem Gemüsemarkt in Bosnien aufgegabelt. Von dort brachte er sie nach Wien, wo er sie in der Pension San Francisco so lange unterbrachte, bis alle nötigen Dokumente in Österreich unterschrieben waren. Dragan J. soll dieses System diversen "Kunden" zur Verfügung gestellt haben. Neben zwei österreichischen Fassadenbetrieben wurde bei der Verhandlung auch der Name eines größeren Malerunternehmens als Nutznießer genannt. Einer der wichtigen Zwischenmänner in der Sache war Miodrag S.

Belastende Aussage

Er bekam von den österreichischen Unternehmen mitgeteilt, wie viele Fassadenarbeiter oder Anstreicher sie für eine Baustelle brauchen – und gab bei Dragan J. in Auftrag, die notwendigen Anmeldungen zu übernehmen. Durch die Anmeldung bei der Sozialversicherung fielen die Bauarbeiter bei Kontrollen nicht auf. Miodrag S. war es dann auch, der direkt den Geschäftsführer eines Wiener Fassadenunternehmens belastete. Die Wiener (Name der Redaktion bekannt) soll direkte Anweisungen dazu erteilt haben, neue Scheingesellschaften für die Leute zu finden, so Miodrag S. Die Staatsanwaltschaft ermittelt in der Causa weiter. Das Verfahren ist sehr weitläufig, insgesamt wurde zuletzt gegen 50 Beschuldigte ermittelt. Klar wurde im Zuge der Vernehmungen, dass das Kontrollsystem im vorliegenden Fall lange Zeit versagt hat.

Immer wieder gab es von der Finanzpolizei und der Krankenkasse offenbar Verdachtsmomente gegen einzelne Scheingesellschaften, ohne dass das System aufflog. Dem Verfahren hatte sich auch die Arbeiterkammer als Privatbeteiligte angeschlossen, weil der Kammer Beiträge entgangen sind. Mehrere Arbeitnehmer hatten sich zudem bei der AK gemeldet, weil sie angaben, von der Tätergruppe nicht ordnungsgemäß bezahlt worden zu sein. "Durch das Verfahren wurde sichtbar, dass die illegalen Praktiken bereits seit 2010 betrieben wurden. Die Frage ist, wie es möglich ist, dass so ein System so lange unentdeckt bleiben kann", sagte die AK-Juristin Andrea Ebner-Pfeifer. Sie macht auf noch einen Punkt aufmerksam: Arbeitnehmer bei Scheinfirmen verlieren, wenn die Sache auffliegt, ihre Versicherungszeiten rückwirkend. Das kann dazu führen, dass die Kassen von den Bauarbeitern Geld für geleistete Behandlungen zurückfordern. (András Szigetvari, 11.12.2018)