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Das Zentrum für politische Schönheit

Als "Sturmtruppe zur Errichtung moralischer Schönheit und politischer Poesie" versteht sich das rund 70-köpfige Aktionskollektiv. Die 2009 von Philosoph und Künstler Philipp Ruch gegründete Gruppe balanciert an den Grenzen der Kunst. Tabubruch und Grenzüberschreitung sind Charakteristika ihrer Aktionen, die man im der Tradition der sozialen Plastik Joseph Beuys begreift und die sich ebenso von Christoph Schlingensiefs Aktionen herleiten lassen.

Bei ihren Aktionen wollen sie im Namen der Menschenrechte und mit Ruß geschwärzten Gesichtern mit Radikalität wachrütteln. Es geht um Flüchtlingspolitik, wie 2015 in Die Toten kommen oder 2016 in Flüchtlinge fressen. Auch Rechtspopulismus ist Thema: 2017 stellten sie ein Holocaust-Mahnmal vor dem Haus von AfD-Politiker Björn Höcke auf. "Tabubruch und Grenzüberschreitung sind die Markenzeichen des ZPS, das sich in die große Lücke schiebt, die Künstler wie Joseph Beuys und Christoph Schlingensief hinterlassen haben.

Mit Provokation durfte man rechnen, als die Künstlergruppe Zentrum für politische Schönheit (ZPS) letzte Woche ihre "Soko Chemnitz" startete. Auf einer Webseite der Politaktivisten sollte jedermann mithelfen, mutmaßliche Neonazis zu entlarven, "Denunzianten" lockte man mit "Sofortbargeld" an. Die Anwürfe vonseiten der AfD ("Blockwartmentalität", "Nazi-Methoden") ließen nicht lange auf sich warten. Doch auch für das deutsche Feuilleton war mit dem Internetpranger die Grenze der Kunst erreicht. Man kritisierte die "faschistoide" Sprache und Methode. Nach nur zwei Tagen ging die Seite offline.

"Verdacht auf unerlaubte Entfernung von der Demokratie": Das Zentrum für politische Schönheit rief mit der Aktion "Soko Chemnitz" dazu auf, Rechtsextreme zu enttarnen.
Foto: Imago / Harry Haertel

Die Aktion sei ein Honeypot gewesen, erklärte das ZPS, eine Falle zum Sammeln von Daten. 52.000 Suchanfragen wurden an zwei Tagen auf der Webseite der "Soko Chemnitz" getätigt. Über einen Algorithmus nach Auswertung der enormen Menge an Datensätzen ein Netzwerk des Rechtsextremismus abgebildet werden. "Wir bemerken, wie die Scham verlorengeht, diese rechte Gesinnung auch nach außen zu tragen", erklärt Cesy Leonard, Teil des ZPS-Leitungstrios übermüdet, aber gut gelaunt am Rande eines Vortrags im Wiener Belvedere 21 die Beweggründe für das Projekt.


Cesy Leonard (35) ist Künstlerin, Filmemacherin und seit 2011 Mitglied des Zentrums für politische Schönheit. Leonard ist Teil der dreiköpfigen Leitung des Kollektivs und Chefin des Planungsstabs.
Foto: Imago/Mühlanger

STANDARD: Trotz der Erklärung zum Honeypot reißt die Kritik am Aufruf zur Denunziation nicht ab. Was ist schiefgelaufen?

Leonard: Erstmal ist nichts schiefgelaufen, wenn es Kritik gibt. Wir spitzen das künstlerisch extrem zu, da gibt es immer Kritik. Als Gesellschaft müssen wir wieder lernen, uns mehr zu streiten. Es wird darüber debattiert, ob man das Denunziation nennen kann. Aber in einem Rechtsstaat wird diese nicht in der Form wirksam, dass eine Familie unschuldig im Gefängnis landet.

STANDARD: Warum lassen Sie die Kritik, die Leute an den Pranger gestellt zu haben, nicht gelten?

Leonard: Weil sie sich schon öffentlich zur Schau gestellt haben. Sowohl im Internet als auch auf der Straße haben sie ihr Gesicht gezeigt. Denunziation ist der Begriff, der als Ungetüm im Raum steht. Für uns ist es eine Frage der Notwendigkeit: Es ist wichtig, rechtsradikale Strukturen sichtbar zu machen. Was der Denunziation folgen würde, ist eine Diskussion darüber, welche Auseinandersetzungen in unserer Demokratie sich noch in der Rechtsstaatlichkeit befinden und welche nicht mehr in Ordnung sind. Die Leute, die wir im Netz zeigten, haben sich alle strafrechtlich etwas zuschulden kommen lassen. Die relevanten Fälle werden von uns an die entsprechenden Stellen weitergeleitet.

Zentrum für Politische Schönheit

STANDARD: Es ging auch darum, Arbeitgeber zu informieren: Ist nicht ein arbeitsloser Rechtsradikaler gefährlicher als einer mit wenig Tagesfreizeit?

Leonard: Den Arbeitgebern, mit denen wir gesprochen haben, ging es in allererster Linie nicht um Kündigungen, sondern darum, Bewusstsein zu schaffen. Sie haben uns nach Organisationen gefragt, die Demokratieschulungen machen. Es ging deutlich mehr – und das ist uns sehr wichtig – um die Auseinandersetzung mit diesem Thema. Aber angesichts der Gewalttaten in Chemnitz muss die Frage lauten, ob es eine Zero-Tolerance-Politik geben muss, und nicht, ob ich ein Beschäftigungsverhältnis aufrecht belasse.

STANDARD: "Katalog der Gesinnungskranken", "Idioten", "brauner Mob": Dass Sie die Sprache der Rechten benutzen, war für viele bereits jenseits der Satire. Die Wochenzeitzung Die Zeit fragte:"Rettet es Deutschland, sich wie ein Fascho aufzuführen, um Faschos zu bekämpfen?"

Leonard: Wir haben uns über unsere Zuspitzungen und das Ad-absurdum-Führen rechten Sprachgebrauchs erst einmal totgelacht. Es ist das eine, dass die Rechtsradikalen uns vorwerfen, wir seien Nazis und sie die neuen Juden. Das andere ist, dass wir es mit Leuten zu tun haben, die nicht diese "besorgten Bürger" sind.

STANDARD: Wie fühlt sich das an, wenn Alexander Gauland (AfD) einem "Nazimethoden" vorwirft?

Leonard: Gauland ist ein gefährlicher alter Mann. Ich hoffe, es gibt genug gebildete Menschen, die die Rhetorik jener durchschauen, die von Meinungsdiktatur und Merkeldiktatur sprechen und sich als die eigentlichen Widerstandskämpfer inszenieren. Man hofft, dass sich genug darauf besinnen, was für Ideologien diese Menschen vertreten.

STANDARD: Übergeben Sie die Daten dem Innenministerium?

Leonard: Es wird sich zeigen, wer sich dafür interessiert. Wir haben viel Arbeit vor uns. In zwei Tagen gab es 52.000 Suchanfragen auf "Soko Chemnitz" . Die Unmenge an Datensätzen wollen wir erst einmal auswerten und schauen, wer da mit wem zusammenhängt.

STANDARD: Ist es bei diesem Datamining-Projekt schwieriger als bei anderen, theatraler angelegten Aktionen den Kunstanspruch zu argumentieren?

Leonard: Es hat einmal jemand in Bezug auf Joseph Beuys gesagt, dass bereits der Anspruch, die Gesellschaft zu verändern, eine soziale Plastik und damit Kunst ist. In Bezug darauf würde ich "Soko Chemnitz" auch als Kunst deuten.

STANDARD: Es wird kritisiert, dass Sie die Rolle der Justiz einnehmen. Verstößt so ein Honeypot nicht gegen Datenschutzverordnungen?

Leonard: Wir arbeiten von Anfang an mit Anwälten zusammen in unseren Aktionen: Was wir von dieser Aktion wissen, ist, dass wir das, was wir gemacht haben, auch dürfen. Es hängt jetzt davon ab, ob und wie geklagt wird und ob es einen Präzedenzfall dazu gibt. Ob wir uns etwas anmaßen, was der Staat machen sollte? Der Staat macht es nicht. Es gibt Beispiele, dass Journalisten durch Klagen gehindert wurden zu veröffentlichen, dass die AfD Leute aus rechtsextremen Kreisen beschäftigt. Das wird eher unter den Tisch gekehrt. Wir wollen diese Arbeit machen!

An den Schaufenstern des Büros der "Soko Chemnitz" klebten Steckbriefe mutmaßlicher rechter Demonstranten.
Foto: Imago / Harry Haertel

STANDARD: Die Kritik rückt die "Soko Chemnitz" in die Nähe zu Flugzettelaktionen linksextremer Gruppen. Die riefen dazu auf, Rechtsextreme zu ächten.

Leonard: Ich sehe die Gesellschaft seit einigen Jahren nach rechts driften. Es wird nicht passieren, dass irgendwann fackeltragende Uniform-Nazis auf der Straße marschieren. Aber angesichts dessen, wie wir etwa in unserer Gesellschaft miteinander sprechen, sehe ich die Gefahr, dass die Idee eines friedlichen Europas in ein paar Jahren nicht mehr bestehen wird. Wenn ich mir anschaue, wie rasant die Entwicklungen in der deutschen Geschichte waren, bevor Hitler an die Macht gekommen ist, vermisse ich die Radikalität im Widerstand. Und da ist für mich erst einmal jedes Mittel legitim, das nicht gewalttätig ist, sondern das auf radikale Weise darauf hinweist, dass wir ein Problem haben.

STANDARD: Auf den Flugzetteln wurde dazu aufgerufen, Leute zu bespucken.

Leonard: Solche Methoden interessieren uns gar nicht. Das ist genauso wie Steine schmeißen oder Autos anzünden. Aber das Hinweisen eines Arbeitgebers, der dann Workshops über mehr Toleranz macht, ist großartig. Auch, dass sich die Rechten – und meinetwegen auch die Linken – durch die Bank aufregen und dass darüber debattiert wird. Aber letztlich: Was schadet es dieser Person, dass sie im Internet gesehen wurde? Sie findet es sowieso geil, was sie macht. Tatsächlich lustig fand ich allerdings, dass der Frau von Storch einmal eine Torte ins Gesicht geworfen wurde.

STANDARD: Was bedeutet für Sie die vom Zentrum für politische Schönheit angestrebte "moralische Schönheit, politische Poesie und menschliche Großgesinntheit"?

Leonard: Manchmal kann politische Schönheit für mich in Kleinen stattfinden. Anderen Menschen Mut zuzusprechen, kreativen Protest zu machen, dabei Humor dabei zu haben und wenn man Unrecht sieht in dieser Welt, aufzustehen.

STANDARD: Sind Debatten Teil "der politischen Schönheit"?

Leonard: Ich finde tolle Journalisten, Schriftsteller, Filmemacher können Ideen weitertragen, einen Funken in jemand anderen entfachen. Aber wenn es nur beim Debattenformat bleibt, in dem man sich unangreifbar macht, etwas intellektuell behandelt, hilft es nichts. Wir müssen uns viel mehr trauen, etwa Gegenwind auszuhalten – und auch intolerant zu sein. (Anne Katrin Feßler, 12.12.2018)

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