Mehrere österreichische Minister ziehen dieser Tage Bilanz über die EU-Ratspräsidentschaft und präsentieren voller Stolz diverse Weiterentwicklungen. Weniger laut vorgetragen werden jene Dossiers, in denen Wien keine Fortschritte erzielen konnte. Oder wollte. Zu letzteren Kapiteln – so meinen Kritiker – zählt jene Gasrichtlinie, die auf die Pipeline Nord Stream 2 weitreichende Auswirkungen hätte. Die Leitung führt von Deutschland durch die Ostsee nach Russland und wird von Moskau, Berlin und Wien gleichermaßen forciert.

Neue Bestimmungen würden für mehr Transparenz und einer Öffnung der Pipeline für andere Gasanbieter sorgen. Das allerdings gefährdet die Rentabilität des fast zehn Milliarden Euro teuren Projekts. Brüssels Intentionen werden daher von Russland bekämpft, das seine Gasexporte nach Europa mit Nord Stream 2 – es handelt sich um den zweiten Strang einer bestehenden Pipeline – massiv steigern will. Doch auch diverse Verbündete wollen keine Behinderung des Investments.

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In Deutschland laufen die Pipelinelieferungen für Nord Stream 2 auf Hochtouren. Vielen Ländern kann die Verlegung der Rohre nicht schnell genug gehen.
Foto: Reuters / Axel Schmidt

Zu ihnen zählt Österreich, das für seinen Energiemulti OMV Politik macht. Der Konzern und seine Partner Wintershall, Uniper (beide Deutschland), Engie (Frankreich) und Shell (britisch-niederländisch) kommen für die Hälfte der Finanzierungskosten der Pipeline auf.

In deutschen und finnischen Hoheitsgewässern wurden schon mehr als 200 Kilometer an Leitungen verlegt. Wenn alles nach Plan läuft, wird Ende 2019 zusätzliches Gas aus Russland nach Europa strömen. Querschüsse der EU kann man da gar nicht gebrauchen. Die von Brüssel geforderte Regulierung könnte die Kalkulationen über den Haufen werfen und dem Hauptbetreiber Gazprom ernste Probleme bereiten.

Kritik an Vorsitz

Im seit einem Jahr andauernden Ringen um die Überarbeitung der EU-Gasrichtlinie hat sich Österreich schon bisher skeptisch bis ablehnend zu den Entwürfen geäußert. Diese Position ändert sich auch nicht gravierend, seit das Land im Juli den EU-Vorsitz übernommen hat – zuständig ist Energieministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP). Allerdings erhielt Österreich dank der Ratspräsidentschaft deutlich mehr Einfluss auf die Verhandlungen. Dem Land wird nun vorgeworfen, eine Einigung mit angeblich ständig neuem Klärungsbedarf zu hintertreiben. Das hat die EU-Kommission erst Ende September bei einer Sitzung des Ausschusses der Ständigen Vertreter der EU-Länder anklingen lassen. Man verstehe nicht, worauf Österreich mit diversen Fragen hinauswolle, monierte die Kommission.

Noch deutlicher wurde Polen, das als entschiedener Gegner von Nord Stream 2 gilt, weil die Pipeline das Land umgeht. Es gebe "keine Notwendigkeit", die von Österreich ständig neu aufgeworfenen Fragen einzeln durchzugehen, weil sie schon ausführlich beantwortet worden seien. Auch technische Fragen seien längst geklärt, heißt es in einem von der österreichischen Vertretung in Brüssel verfassten Protokoll, das dem STANDARD vorliegt.

Das Einzige was aus Sicht Warschaus fehlt: eine politische Entscheidung. Österreich ließ sich dadurch nicht beeindrucken und forderte Polen auf, die vom Ratsvorsitz "vorgeschlagene Diskussionsstruktur zu respektieren". Andere Staaten wie die baltischen Länder, Großbritannien, Schweden oder Dänemark sprachen sich ebenfalls für eine Entscheidung aus. Ihnen steht eine Staatengruppe um Deutschland und die Niederlande gegenüber, die kein Interesse an mehr Regulierung hat.

"Kniefall vor Putin"

Regierungsstellen machen – allerdings nur hinter vorgehaltener Hand – kein Hehl aus der Strategie Wiens. Durch Nord Stream 2 werde nicht nur die OMV gestärkt, sondern auch Österreich als Knotenpunkt, weil russisches Gas von Deutschland weiter ins niederösterreichische Baumgarten transportiert werden soll. Im Weinviertel befindet sich ein wichtiger Gas-Hub für die Versorgung in mehrere Richtungen.

Die österreichischen Eigeninteressen sorgen für einige Verärgerung, nicht nur in den Verhandlungen unter den Mitgliedsstaaten. Auch im EU-Parlament wird die Rolle des Landes zum Teil heftig kommentiert. Der Vorsitzende des Energieausschusses, Jerzy Buzek, wirft Österreich vor, die Gasrichtlinie wegen des OMV-Engagements zu verzögern.

"Ungeheuerliche" Rolle Österreichs

Der österreichische EU-Abgeordnete Thomas Waitz findet die Rolle Österreichs "ungeheuerlich": Das Land verzögere eine Richtlinie, mit der die Abhängigkeit von Russland verringert werden soll. "Das ist ein Kniefall vor Wladimir Putin", wettert der Grüne. Waitz sieht Nord Stream 2 auch aus ökologischer Sicht äußert kritisch, weil damit weiter auf fossile Energie gesetzt werde.

Allerdings gibt es auch eine andere Lesart. Österreich habe sich sehr wohl um eine Lösung bemüht, sagt ein zuständiger Vertreter der Republik in Brüssel. Konkret wurde ein Kompromissvorschlag vorgelegt, laut dem eine Liste vorrangiger Gaspipelines erstellt werden soll – ähnlich den Transeuropäischen Netzen (TEN). Nur sie sollten in Zukunft zentral reguliert werden.

Ein Köstinger-Sprecher unterstreicht ebenfalls die Lösungsversuche der Präsidentschaft. "Es kann daher überhaupt nicht von einer Verzögerung die Rede sein, wir versuchen, einen konstruktiven Kompromiss zu erleichtern", heißt es in einer Erklärung. Nachsatz: "Wir agieren selbstverständlich als neutraler Mittler."

USA drohen

Jedenfalls sind angesichts der Uneinigkeit schärfere Regeln für Nord Stream 2 höchst unwahrscheinlich. Der österreichische Vorschlag fand keine Mehrheit, im Jänner übernimmt Rumänien die Präsidentschaft. Das Thema verfolgen auch die USA aufmerksam, wird doch die Umgehung des Gastransitlandes Ukraine strikt abgelehnt. Zudem drängt Washington auf mehr Flüssiggasexporte in die EU, was durch relativ günstige russische Energie erschwert wird. Erst am Montag forderten die USA das Ende von Nord Stream 2. Im Ernstfall könnten Sanktionen gegen beteiligte Unternehmen verhängt werden. (Andreas Schnauder, 12.12.2018)