Buben haben Bubenhumor, ist so. Deshalb haben die Beastie Boys auf ihren Welterfolg gleich einmal angemessen reagiert. Nachdem ihr Debütalbum 1986 erschienen war, tourte die Band monatelang durch die USA. Für einen Auftritt in ihrer Heimatstadt New York wollten sie ordentlich aufdrehen. Als Höhepunkt ihrer Show fuhren sie einen riesigen hydraulischen Penis auf die Bühne, wo der sich seiner Natur nach erhob.
Über dreißig Jahre später sehen die beiden überlebenden Mitglieder der Beastie Boys die Angelegenheit selbstkritisch. Nach der Erklärung "Warum wir das taten? Weil wir es konnten!" folgt das zerknirschte Geständnis, dass das hydraulische Gemächt seit damals schlapp in einem Lager in New Jersey verschimmelt. Es verschlingt dort Unsummen an Mietkosten als eine Art moralische Wiedergutmachung. – Aber lustig war es natürlich schon.
Passt in jeden Werkzeugkasten
Das ist eine von vielen Anekdoten aus dem Beastie Boys Buch. Erschienen ist die Bandbiografie im Verlag Heyne Hardcore, sie umfasst 540 Seiten, sechs Übersetzer haben sie eloquent ins Deutsche übertragen. Das Buch wiegt über zwei Kilo, ist fünf Zentimeter dick, wirkt also nicht einmal im Werkzeugkasten besonders artfremd.
Die Beastie Boys waren drei jüdische Bengel aus New York. Sie lernten sich über ihre Liebe zu Punk und Hardcore kennen. Anfang der 1980er waren sie auf allen wichtigen Konzerten in den einschlägigen Clubs unterwegs. Als dann Hip-Hop Downtown aufschlug, wandten sie sich mit leuchtenden Augen dieser Musik zu.
Mit ihrem Debüt Licensed to Ill brachten sie Hip-Hop in den Mainstream, ihre Kreuzung von Hardrock-Elementen mit Breakbeats bereitete dem Crossover den Weg. Ein Gutteil des Lorbeers ihres frühen Erfolges gebührt Rick Rubin.
Rick Rubin – aus dem Bett gefallen
Auf der Suche nach einem DJ für Liveauftritte fanden sie den zukünftigen Starproduzenten in einem Studentenwohnheim: "Wir kommen am Zimmer an und klopfen. Ein stämmiger Typ mit schläfrigem Blick und langen, ins Gesicht hängenden Haaren öffnet die Tür. Er ist offenbar gerade aus dem Bett gefallen. Er sieht aus wie der Gitarrist einer Metal-Band, nur dass er so komische Lederhandschuhe mit Reißverschluss trägt, was uns tierisch Angst einjagt. Das kann er doch nicht sein?"
Der Duktus der Memoiren ist zwar aufgeregt wie ein Beastie-Boys-Track, gleichzeitig wirkt diese Euphorie immens ansteckend. Memoriert wird abwechselnd. In kurzen Kapiteln zu Karrierestationen, seltsamen Ereignissen oder wichtigen Personen kommen Adam "Ad-Rock" Horovitz (52) und Michael "Mike D" Diamond (53) abwechselnd zu Wort. In eingeschobenen Kommentaren widersprechen sie sich oder überführen einander der Schönfärberei. Sie ergänzen mit großer Genugtuung lückenhafte Erinnerungen mit für den anderen nicht immer günstigem Wissen – oder setzen noch eine Pointe drauf.
Korrektiv Yauch – im Geiste präsent
Das wirkt weniger mühsam, als man denkt, sondern bereichert die Lektüre ordentlich. Zumal der Humor der beiden nie großkotzig ist. Bis heute wundern sie sich, wie es dazu kommen konnte, wie es kam. Und als Korrektiv ist beiden der 2012 mit 47 Jahren an einer Krebserkrankung verstorbene Adam "MCA" Yauch präsent. Ihn vermissen sie aufrichtig, sein Wesen machte die Beastie Boys so besonders. Das manifestiert sich in den ältesten Erinnerungen der beiden.
Besonderen Mehrwert bezieht das Buch aus der Umtriebigkeit seiner Protagonisten. Sie zeitigt Geschichten, die mehr als nur einen biografischen Rückblick ergeben. Es erblüht ein Kaleidoskop der Popkultur der 1980er. Damals kreuzten sich die seltsamsten Wege: Ihre Plattenfirma Def Jam verlangte 20.000 Dollar pro Abend für Run DMC, als diese gefragt wurden, ob sie im Vorprogramm einer gewissen Madonna spielen würden. Das war der zu teuer. Also bot Def Jam die Beastie Boys an. Für 500 pro Abend. Deal. Ein Bild, auf dem sie die junge Madonna mit Spritzpistolen über die Bühne jagen, illustriert, wie diese Tour ausfiel: vollkommen durchgeknallt.
So sprunghaft wie plausibel
Diese Attitüde prägt das Buch. Zwar gilt: Drei Freunde gegen den Rest der Welt, gleichzeitig wollten sie dabei so viele Menschen wie möglich umarmen. Der Öffentlichkeit unbekannte Wegbegleiter sind genauso wichtig wie Rick Rubin. Trotz aller Sprunghaftigkeit bleibt die Geschichte plausibel. Sie zeichnet einen Weg, der den Erfolg bald auch in den Dienst wichtigerer Dinge stellte als bloß der Egopflege von neureichen Popstars.
Bei solchen Einträgen taucht verlässlich Adam Yauch auf. Dessen Neugier und Lebenshunger führten ihn zum Buddhismus, und das hatte Folgen. Statt Plastikpimmeln zu huldigen, organisierten die Beastie Boys plötzlich Benefizkonzerte für die Unabhängigkeit Tibets. Selbst wenn es eine Zeitlang nicht viel Besseres gab, als stoned mit den besten Freunden in einer Villa in L.A. abzuhängen und Platten nach Samples zu durchforsten – als Lebensinhalt war das zu wenig.
Keine Bauchpinseleien
In Atempausen der Erzähler kommen Beobachter und Wegbegleiter zu Wort. Der Autor Jonathan Lethem oder das verprellte frühere Mitglied der Band, Kate Schellenbach. Sie sorgen für den Blick von außen und unterstreichen das Ansinnen, dass es beim Beastie Boys Buch nicht um selbstgerechte Bauchpinseleien geht. So ein Buch hätte Yauch niemals gutgeheißen, der wollte eigentlich eine Doku über die Band drehen. Dazu kam es nicht.
Dass die beiden anderen dieses Buch veröffentlichen, ist schön, das Ergebnis toll und würdig. Es lässt alle speicheln, die sich für die Popkultur dieser Ära mehr als der durchschnittliche Wikipedia-Leser interessieren. Die Kapitel laden dazu ein, es wie ein Magazin häppchenweise zu lesen. Oder die Pausen für einen Gang zum Plattenspieler zu nutzen und ein paar Songs zum Thema zu hören. Um sich daran zu erinnern, welch fantastische Musik diese sympathischen Irren der Welt geschenkt haben. (Karl Fluch, 14.12.2018)