Willy DeVille veröffentlichte 1999 sein Meisterwerk Horse of a Different Color – viel zu wenige Menschen kennen es.

Foto: eastwest rec

Dieses Mal geht es um Schmalz. Um schmalzige Musik und den Kamm in der Butter. Bei Willy DeVille kam das eine nicht ohne das andere daher. Willy DeVille war ein großer Individualist. Allein das Cover des hier beknieten Albums unterstreicht das auf eher selten gesehene Art. Es muss schon sehr überzeugt von sich sein, wer sich so abbilden lässt: Southern Kitsch, ein Pferdeposter des Schreckens. Lady Chatterleys Stallbursche war ein Lulu gegen diesen Hengst.

Ohne Worte.
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Üppig aufzutragen war eine Spezialität des vor zehn Jahren mit 58 Jahren gestorbenen Musikers. Nicht unbedingt musikalisch, aber bei den Investitionen ins Image wurde nicht gespart. Ein Schneider für die Rüschenhemden, ein Barbier für die fünf Millimeter breite Rotzbremse, ein Feinmechaniker, der täglich DeVilles Taschenfeitel wetzte, ein paar Stiefelknechte, die das Leder seines Schuhwerks zum Glänzen brachten, dazu eine Entourage, die Austern frühstückte, Erdbeeren in Champagner wusch und für die tägliche Maniküre 5.000 Dollar ausgab, Trinkgeld nicht mitgerechnet. – Okay, vielleicht geht gerade die Fantasie mit mir durch.

Misfit unter den Misfits

Nach einer frühen Karriere mit der Band Mink DeVille schlug William Paul Borsey als Willy DeVille eine Solokarriere ein. Schon Mink DeVille gaben deutliche Hinweise auf eine Vorliebe für die Dekadenz, deren ebenso gepflegte Schäbigkeit ihr eine besondere Note verlieh. Das war lange bevor H&M-Hipsters den Begriff Shabby Chic erlernten.

Mink DeVille waren eine Stammband des CBGB's. Die Grindhütte in der New Yorker Bowery war eine der Keimzellen des Punk und New Wave. Unter diesen Freaks ein Außenseiter zu sein war nicht leicht, doch dem sich nach einem Cadillac-Modell nennenden Willy gelang das. Er war sogar unter den Misfits ein Misfit. Doch ob er in einer schwulen Lederbar auftrat oder vor einer Horde Punks, da wie dort hinterließ er Eindruck.

Legendäre Nächte

DeVille war im Herzen ein Rhythm-'n'-Blues-Sänger. Das zeigte sich früh, offenbarte sich aber endgültig in seiner Solokarriere, als er nach New Orleans zog, um dort als Südstaatenexzentriker Hof zu halten und mit legendären Gestalten in legendären Lokalen legendäre Nächte zu verbringen. Mit allen gesunden und ungesunden Mitteln, die dazu notwendig waren. DeVille ging an Bauchspeichelkrebs zugrunde, man kann sich also vorstellen, was Sache war. Erst Ende der 1990er soll er nach 20 Jahren vom Heroin weggekommen sein.

Ein Hit mit "Hey Joe"

DeVille verkörperte den Strizzi. Den eitlen Pfau. Er gab den flamboyanten Zocker, das schlaflose Nachtschattengewächs, das aus irgendeinem Zeitloch gefallen schien – um die Gegenwart mit seiner exotischen Musik zu verzaubern. In den 1990ern hatte er einen Lauf.

Victory Mixture war ein erstes Manifest des Neosüdstaatlers, auf Backstreets of Desire (ein Name wie ein Programm) war er vollständig in seiner Rolle aufgegangen. Und mit einer Mariachi-Version von Hey Joe gelang ihm damals sogar ein kleiner Hit; natürlich nur in Europe, wo das Publikum auf den Mann besser ansprach als zu Hause – das alte Dilemma. Loup Garou und Big Easy Fantasy festigten seinen Status, dann legte er eine Pause ein. Wahrscheinlich musste er zum Friseur. Als er vier Jahre später fertig onduliert war, veröffentlichte er Horse of a Different Color.

Hey Joe – vom 92er-Album Backstreets of Desire.
musicESL

Dafür engagierte er Jim Dickinson als Produzent. Der Name fällt hier öfter einmal, der Mann hatte seine Finger in so vielen genialen Alben drinnen, was soll man machen. Dickinson galt als Spezialist fürs Unsaubere, einer, der die Magie des Augenblicks einfangen konnte, dem das Gefühl wichtiger war als die Perfektion. Und einer, der sämtliche Spielarten des Südens im kleinen Finger, die Telefonnummern aller genialen Hinterwäldler parat hatte. Insofern bildeten die beiden ein Dreamteam.

Schmierige Geigen

Bereits der Opener ist ein Meisterwerk. Zuckersüße Geigen schmieren sich einem ans Ohr, der Bart eines Kamms schnarrt, eine Quetsche wird langgezogen: Sehnsucht und Herzschmerz liegen in inniger Umarmung, wenn Willy von Gypsy Deck of Hearts singt.

Willy DeVille mit Gypsy Deck of Hearts.
HonkyTonk1980

Mit Dickinson im Arm schreitet er im zweiten Lied nach Mexiko. Across the Borderline ist ein Grenzlandklassiker, den Dickinson mitverfasst hat. Ry Cooder hat den Song gespielt, John Hiatt hat ihn berühmt gemacht – DeVille übergießt ihn mit Zärtlichkeit. Die Geigen trenzen, Spooner Oldhams Pianp schmollt, Roger Hawkins beserlt, während Deville am Rio Grande ein Tänzchen mit sich selbst wagt.

In den Sumpf stampfen

Doch selbst die beliehene mexikanische Folklore täuscht nicht darüber hinweg, dass DeVille ein Soulsänger war. Das lebensmüde Lay Me Down Easy legt davon eindrucksvoll Zeugnis ab, mit dem Blues-Stomper Goin' over the Hill biegt er in den Sumpf ab. Allein die ersten vier Songs des Albums sind dermaßen abenteuerlich zusammengedacht, zeigen, was für ein genialischer Hund DeVille sein konnte.

Eine Live-Version von Goin' over The Hill.
JohnnyBGood60

Live kredenzte er seine Musik mit Witz und Anekdoten. Auf einem Barhocker sitzend, einen Chor schwarzer Damen im Rücken, betörte er sein Publikum als Entertainer der besonderen Art. Unvergessen ist der Moment, in dem er sich auf der Bühne der Szene Wien durch seinen öligen Edelvokuhila fuhr und dann, angeekelt in seine Hände blickend, deren Inhalt in seine Ärmel wischte.

Stalker-Ballade

Horse of a Different Color hat keinen schwachen Moment. Sogar das hierzulande von Smokie kontaminierte Needles and Pins entreißt er Chris Normans Dauerwelle, bevor er mit 18 Hammers einer Chain Gang einen Besuch abstattet.

Jackie DeShannons Needles and Pins – Chris Norman und seinen Smokie entrissen.
clash1954

Es folgt die fast schon radiotaugliche Stalker-Ballade (Don’t Want You) Hanging Around My Door mit ihren trockenen Hörnern und dem fetten Beat Hawkins', der seinen Haberer Jimmy Johnson mitgebracht hatte – beides Fixsterne des Southern Soul.

Chain-Gang-Songs – DeVille konnte fast alles spielen: 18 Hammers.
Rob Vermaas

Bevor DeVille es mit Time to Time etwas erschöpft gut sein lässt, kommt es zu einem weiteren Höhepunkt: einer Interpretation von Andre Williams' Bacon Fat. Eine Anzüglichkeit mit Küchenmetaphern, die DeVille als Jukejoint-Rumpler ins Feld setzt.

Bitte mit Poster

Bezahlt gemacht hat sich die Brillanz dieses Albums nicht. Chartseintrag? Nada. Bis heute ist es nicht auf Vinyl veröffentlicht worden, vielleicht fasst sich jemand zum 20-jährigen Jubiläum im kommenden Jahr ein Herz. DeVille hat viele gute Alben gemacht, doch keines ist so abwechslungsreich und stimmig wie Horse of a different Color. – Und wenn es je als Schallplatte erscheinen sollte, dann bitte mit einem großen Poster des Covers. (Karl Fluch, 18.12.2018)