"Wenn ich etwas anderes machen müsste, wäre ich Kellner": Faldbakken, Jahrgang 1973, lebt und arbeitet in Oslo. Seine "Skandinavische Misanthropie"-Trilogie ("The Cocka Hola Company", "Macht und Rebel", "Unfun") kam in Österreich im Wiener Theater WerkX auf die Bühne.

Foto: Erik Weiss

STANDARD: Das Hills ist ein Ort der Gewissenhaftigkeit, schreiben Sie.

Faldbakken: Ja, im Gegensatz zu den verantwortungslosen Trolls aus meinen früheren Romanen wollte ich Themen wie Verantwortung, Gewissenhaftigkeit, Routine und Kontinuität in den Vordergrund rücken. Das alles in einer Zeit, in der es scheinbar nur um Fortschritt, Veränderung und Change-Prozesse geht.

STANDARD: Ist die Hauptfigur des Kellners, der zentral ist, aber namenlos bleibt, Ihr Gegenentwurf zur Welt, wie sie heute ist?

Faldbakken: Er ist Vertreter einer wenig fortschrittlichen, konservativen Haltung, die sich zu gewissen Werten bekennt. Und in seiner Pokerface-Arbeit schwingt eine Nostalgie mit. Er hat eine ideale Vorstellung von der Vergangenheit, was problematisch ist. Und nicht zuletzt wollte ich zeigen, wie man guten Service sicherstellt, wenn die Rückseite dieses Pokerface bröckelt.

STANDARD: Wenn die frühen Bücher Explosionen waren, ist das Buch eine Implosion.

Faldbakken: Exakt. Alles, was passiert, ist – von außen betrachtet – überhaupt nicht dramatisch. Aber innerhalb dieser Figur implodieren sämtliche Geschehnisse. Unter der Oberfläche geschieht eine Menge, lauert ständig Gefahr.

STANDARD: Ihre früheren Bücher waren so gewaltvoll und haben vieles vorweggenommen, siehe Breivik in Norwegen oder Bataclan in Paris. Was könnte "The Hills" vorwegnehmen?

Faldbakken: Das weiß ich nicht. Nach dem Massaker in Norwegen explodierte tatsächlich mein Telefon, ich hatte viele Anfragen von deutschen Medien, weil ich der Schriftsteller war, der diese hausgemachte extremistische Gewalt in seinen Büchern beschrieben hatte. Aber ich wusste nicht viel zu sagen.

STANDARD: Ist "The Hills" ein Roman über Europa?

Faldbakken: Ja, das Buch verhandelt, was gut oder problematisch an diesen europäischen Werten ist. Wenn man in solchen Restaurants sitzt, kann man spüren, was dieses Europa alles geschaffen hat. Aber mittlerweile muss man, wenn man da sitzt, auch vorgeben, dass alles gut ist, weil es eben nicht mehr so ist. Es steckt auch jede Menge Konsumkritik im Buch, obwohl es um feines Essen und guten Kaffee geht. Oder gerade weil. Dem Kellner kommt eine Doppelrolle zu: Er serviert das bourgeoise Essen im feinen Konsumtempel, aber kritisiert das alles. Das Buch ist auch ein Versuch, das Innenleben, das Nervenkostüm und die Angst eines einzelnen Menschen zu beschreiben, der vor der Auflösung steht und immer noch Haltung zeigt.

STANDARD: Wir sitzen hier in Ihrer Galerie in Berlin Mitte. Wie können Sie nach allem, was Sie in Büchern verhandeln, mit dem kommerziellen Kunstmarkt umgehen?

Faldbakken: Jetzt wird es komplex (lacht). Sicher kämpft jeder Künstler damit, dass man seine Sachen an Reiche verkauft und nicht immer weiß, woher das Geld kommt. Aber was sind die Alternativen? Ist Geld jemals sauber? Gibt mir das Geld die Freiheit, Bücher zu schreiben? Manche meiner Arbeiten thematisieren das, sie sind eine Art Marktsatire. Es sind Objekte, wo es eigenartig ist, dafür viel Geld zu zahlen. Der Kontext macht den Wert, nicht das Objekt an sich. Auch deswegen möchte ich wieder mehr schreiben.

STANDARD: Wollten Sie schon jemals mit dem Schreiben oder mit der bildenden Kunst aufhören?

Faldbakken: Oder mit beidem ... (lacht). Jeden Tag. Das ist das Schöne am Künstlersein, dass man sich jeden Tag selbst damit drohen kann aufzuhören. Man macht nicht aus Routine weiter, es ist immer eine Entscheidung.

STANDARD: Was würden Sie sonst tun?

Faldbakken: Ich konnte immer von meiner Kunst leben. Aber ich habe das kürzlich mit Freunden besprochen, wenn ich etwas anderes machen müsste, wäre ich Kellner. In der Topgastronomie fasziniert mich diese Kompetenz.

STANDARD: Im Roman kommt die "Kindfrau" vor. Ist das noch zulässig in Zeiten von #MeToo?

Faldbakken: Das Buch ist im Herbst 2017 in Norwegen erschienen. Also kurz vor #MeToo. Die Kindfrau habe ich als Phänomen zu einer Figur gemacht. Ungefähr so, als würde man Alkohol zu einer Figur machen. Die Kindfrau wird durch Jugend und Schönheit definiert, aber ihre Jugend und Schönheit werden kritisch beschrieben und hinterfragt. Sie ist sicher die dunkelste und härteste Figur im Buch. Und ihre Figur steht im Gegensatz zu den Eigenschaften des jungen Mädchens Anna, das auch vorkommt. Dieses Kind ist wie ein Lichtstrahl in dieser Erzählung. Mein Buch handelt im Endeffekt davon, dieses Mädchen von der Kindfrau zu distanzieren.

STANDARD: Diese Anna ist auch das Gegenteil einer Kinderfigur aus Ihrem ersten Buch "Cocka Hola Company" namens Loni. Warum diese Kehrtwendung vom bösen Kind hin zu einem so guten?

Faldbakken: Ich hatte in meinem Leben immer Kinder. Seit ich 19 bin. Entweder ich hatte selbst welche oder die Frauen, mit denen ich lebte. Ich lebte mit Lonis und Annas, das ganze Spektrum. Kinder zu haben ist sehr zweischneidig: Durch Kinder hat man weniger Bewegungsfreiheit, aber Kinder strukturieren uns auch und werden zu den wichtigsten Menschen in unserem Leben. Kinder zu haben ist gleichzeitig das Schlimmste und das Beste.

STANDARD: Sind Künstler gute Eltern?

Faldbakken: Ja und nein, und das müssen Sie meine Kinder fragen. Mein Vater wollte nie, dass ich Künstler werde, der hat uns sehr in Ruhe gelassen. Beide meiner Eltern sind Künstler, ich wurde Künstler, meine Kinder sind an Kunst komplett desinteressiert.

STANDARD: Ich habe gelesen, dass Sie die Bücher Ihres Vaters auch nie gelesen haben.

Faldbakken: Stimmt. Ich habe einen späten Krimi gelesen. Meine Kids lesen meine Bücher auch nicht. (Mia Eidlhuber, 16.12.2018)