Das Publikum wird dringend um seine Zustimmung gebeten: Michael Dangl als Fortunatus Wurzel (li.) und das tolle Josefstädter Ensemble auf Geisterjagd im Neobiedermeier.

Foto: ERICH REISMANN

Die Geister und Feen des Wiener Biedermeier-Genies Ferdinand Raimund sind bei den Zirkusartisten in die Schule gegangen. Als allegorische Bedeutungsträger verkörpern sie in dem Original-Zaubermärchen Der Bauer als Millionär mehr oder minder nutzbringende Eigenschaften. Der Neid zum Beispiel ist ungesund gelb und wirft mit Giftnattern um sich. Die Zufriedenheit (Julia Stemberger) ähnelt einer Gouvernante. Sie ist grundgütig und tritt mit gefrorenem Lächeln für Mäßigung ein.

Ihnen allen eignet ein schlimmes Glaubwürdigkeitsdefizit. Weil die Menschen im Panikraum des Metternich-Systems zum Maulhalten verurteilt sind, bedürfen sie der besonderen Anleitung durch überirdische Mächte. Doch sind die Geister leider ihrerseits bis auf die Knochen korrumpiert. Im Wiener Josefstadt-Theater ähneln sie besseren Wanderschauspielern. Sie tragen Schminke im Gesicht und verströmen den Schweißgeruch von Raufbolden. Ihre Herrin, die verbannte Fee Lacrimosa (Alexandra Krismer), sinkt an eisernen Ketten wie eine Trapezkünstlerin außer Dienst herab. Insgesamt: ein peinliches Gelichter, das auch nicht dadurch an Reputation gewinnt, dass sein rührigster Vertreter ein schwäbischer Zauberdilettant namens Ajaxerle ist (Alexander Pschill).

Über diesem Biedermeier-Zirkus (Bühne: Walter Vogelweider) blinkt das Kompositum "Geisterreich" in roten Lettern. Je nach Geisterlaune leuchten abwechselnd die kuriosesten Kombinationen auf: "geistreich", "erreich" und so weiter. Es scheint, als ob Josef E. Köpplingers wunderbar vitale Raimund-Inszenierung mit der kreuzweisen Verschränkung von Mensch und Geist einen heiklen Punkt berührt hätte.

Der Bauer Fortunatus Wurzel (Michael Dangl) ist als Begünstigter von geisterhaften Machenschaften der Nutznießer eines Reichtums, den er nicht verdient. Zugleich sitzt er wie ein Wüstling im Glashaus des Wohllebens. Seine Diener nehmen ihn aus (Johannes Seilern) oder behandeln ihn wie einen schwer erziehbaren Nervenkranken (Paul Matic).

Es nützt alles nichts, und doch gewinnen alle alles. Die Jugend tritt endlich einmal nicht als misstönende Kitsch-Gewerbetreibende auf. Sie singt ihr Brüderlein fein als strahlend schöne Sopranistin (Theresa Dax). Das Alter (Wolfgang Hübsch) beginnt Wurzels Maßregelung als Anthony Hopkins des Alpenhauptkamms, nur um sich Sekunden darauf in einen Vampir zu verwandeln.

Sonderbarerweise aber schleudert der tiefe Fall des Fortunatus Wurzel den Josefstadt-Schauspieler Dangl in lichte Höhen. Kaum jemals hat man das Aschenlied zurückgenommener gehört, dabei derart sittlich veredelt und von tiefem Nachdenken erfüllt. Ausgerechnet die (angeblich) verderbten Menschen sind den törichten Geistern moralisch um ein paar Liedstrophenlängen voraus.

Schnee in dicken Daunen

Es ist frostig geworden auf den Kegelbahnen und Tummelplätzen des Neobiedermeier. Der Schnee fällt in dicken Eiderdaunen. Die Zusatzstrophe des Aschenliedes benennt das Syndrom recht eindeutig: "Von rechts weht kalt der Wind, erforen san ma g'schwind".

Die Kategorien befinden sich eben in der schändlichsten Verwirrung. Der Geist gleicht dem Ungeist in diesem zauberhaft wirren Stück aufs Haar. Fortunatus begreift nur ganz allmählich, dass die Zufriedenheit (Stemberger), die ihn treuherzig auf seine Genusssucht anspricht, nicht die Köchin ist.

Niemand ist mit der Figur identisch, die sie oder er zu verkörpern scheint. Die politische Repression zwang den großen Melancholiker Raimund schon zu seinen Lebzeiten zu kuriosen Ausflüchten. Er wollte, wenn nicht erlöst, so doch immerhin gebessert sein. Zufriedenheit, diese trügerische Einheit von Begehren und dessen Erfüllung, verlangt das brave Ensemble im Finale ausgerechnet vom Publikum. Ein klassischer Fall von Geistesgegenwart. Das Publikum sollte diese famose Produktion mit Zuspruch belohnen. (Ronald Pohl, 14.12.2018)