Bundeskanzler Sebastian Kurz begab sich vor dem Gipfel in Wien auf einen Kurztrip nach Afrika. Er besuchte seinen Amtskollegen Abiy Ahmed Ali in Äthiopien (im Bild) sowie Ruanda.

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Europapolitik steht für die ÖVP-FPÖ-Koalition unter dem Leitmotiv Subsidiarität. Der Begriff ist in der Europäischen Union gemeinhin zum Kampfbegriff derer geworden, die jegliche Vertiefung der Union ablehnen und lediglich den Binnenmarkt und seine Segnungen weiterbringen wollen. Will sich Österreich da dazuzählen?

Der österreichische EU-Vorsitz im zweiten Halbjahr 2018 hat Kanzler Sebastian Kurz eine Fülle schöner Bildtermine beschert – angefangen beim Amtsantritt in Schladming vor toller Alpenkulisse bis hin zum morgigen Afrika-Forum. Nachdem man die auseinanderklaffenden Standpunkte von FPÖ und ÖVP zu Europa im Koalitionsabkommen mühsam zugekleistert hat, trägt die Regierung die Fahne der Subsidiarität vor sich her. Übersetzt heißt das: weniger EU, mehr nationale Souveränität.

Die EU ringt weiter um die mittelfristige Finanzplanung, den Brexit und die Frage, wie man den Euro und die Währungsunion absichern kann. Fortschritte lassen dabei auf sich warten.

Die österreichische Präsidentschaft verfolgt vorrangig andere Ziele: Auf ihrer Agenda stehen immer noch Migration, Digitalisierung und das Ziel, die Westbalkanstaaten näher an die EU heranzuführen. In keinem der sechs Bereiche hat sich Wesentliches bewegt. Das ist nicht nur dem Vorsitz anzulasten, sondern auch den Fliehkräften, die von Italien über Rumänien bis Ungarn, Deutschland und Frankreich die Gemeinsamkeit in der Union im Moment fast unmöglich machen.

Kraftakt EU-Afrika-Forum

Nun steht ein letzter Kraftakt bevor. Nachdem sich alle schönen Gedankenspiele mit Anlandeplattformen und Flüchtlingsbehandlung auf dem afrikanischen Kontinent als undurchführbar erwiesen haben, soll beim EU-Afrika-Forum ein wirtschaftlicher Weg gesucht werden, um die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort zu verbessern. 1000 Industriekapitäne aus Europa und Afrika wollen Investitionsmöglichkeiten ausloten. Damit will Europa auch mit einer Reaktion gegen die Politik Chinas, das mit großzügigen Krediten seine Rohstoffbasis in Afrika absichert, ohne den Menschen die Vermarktung ihrer Rohstoffe zu ermöglichen, beginnen.

Die Erfolge werden auch da überschaubar bleiben. Eine Neuformulierung des EU-AKP-Abkommens, also ein "Handelsvertrag neu" zwischen der EU und den 97 Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifik ist spätestens ab 2020 überfällig. Doch er steht in Wien gar nicht auf dem Programm. Im Grunde müsste Europa sich durchringen, wirklich gleichberechtigte Wirtschaftsbeziehungen herzustellen. Bisher hindern europäische Agrarpolitik und Zollpraktiken die Afrikaner an Fortschritten auf dem EU-Markt.

Will man die Lebensbedingungen der derzeit fluchtbereiten Afrikaner wirklich nachhaltig verbessern, muss man hier ansetzen. Neben die Subsidiarität gehört geradezu zwingend die Solidarität, gerade mit den Ärmsten, und das nicht nur in Österreich. Kurz weiß das aus der christlich-sozialen Tradition seiner Partei. Er selbst beschreibt sich ja gern als liberal und christlich-sozial geprägt. Zwar liegt das letzte Parteiprogramm der ÖVP, das die Prinzipien der christlichen Soziallehre, Solidarität und Subsidiarität, in den Mittelpunkt stellte, bereits 46 Jahre zurück – es wurde beim Salzburger Parteitag 1972 verabschiedet. Aber auch im derzeit gültigen Parteiprogramm von 2015 finden sich Solidarität und Subsidiarität in der Beschreibung des Menschenbildes, das die Politik der ÖVP leitet.

In der aktuellen Politik der ÖVP-Spitze findet sich diese Programmatik nicht auf Anhieb wieder. Das zeigte sich an der Ablehnung des Globalen Paktes zur Migration der Vereinten Nationen, der zu solidarischer Aktivität bei Flüchtlingen beitragen soll, ohne die Mitgliedstaaten rechtlich zu binden. Donald Trumps einstiger Wahlkampfleiter Steven Bannon lobte Sebastian Kurz, neben Salvini, Orban und Trump, bei einem Forum in Brüssel als Vorreiter bei der Ablehnung des Migrationspaktes.

Solidarität und Subsidiarität gefordert

Vor dem EU-Afrika-Gipfel wird offensichtlich, dass alle Äußerungen zur "gemeinsamen Lösung der Migrationskrise" durch "Hilfen für die Bevölkerung vor Ort" bisher eher Absichtserklärungen denn harte Politik sind. Nach wie vor weist Österreichs Haushalt nur vergleichsweise niedrige Ausgaben für Entwicklungshilfe aus, 0,3 Prozent statt der 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, auf die sich die UN-Mitgliedstaaten geeinigt haben.

Man wundert sich, wenn man mit der propagierten stärkeren Sicherung der Außengrenzen der EU konfrontiert wird, beispielsweise mit mehr Personal für Frontex, und feststellt, dass im Haushalt 2019 nicht mehr Geld dafür eingestellt wurde. Dazu passt, dass die EU-Innenminister das Projekt unter FPÖ-Vorsitz auf die lange Bank schoben.

Erinnert sei daran, dass in der Vergangenheit noch Sätze wie dieser in der ÖVP-Programmatik zu finden waren: "Österreich ist für seine Sicherheit auf eine globale Ordnung angewiesen, die auf einem starken, regelbasierten und effektiven multilateralen System beruht." Heute hingegen wirken die ständigen Forderungen nach mehr Subsidiarität in der Europäischen Union wie Vorspiele zur Melodie "Austria first", kopiert von US-Präsident Donald Trump, dessen "America first" FPÖ-Politiker ja bewundern. Das schließt regelbasierte multilaterale Systematik aus.

Solidarität im Inneren wie im Außenverhältnis zu Afrika können mit der Subsidiarität der EU-Kommission einhergehen. Trotz weniger Aufgaben kann das zu mehr statt weniger Gemeinsamkeiten führen, die Europa für die Bürger wieder attraktiver machen. (Klaus Prömpers, 17.12.2018)