Regieworkaholic und Publikumsgarant: Simon Stone.

Foto: Andy Urban

Simon Stone spricht, obwohl er die deutsche Sprache gut beherrscht, lieber englisch. Weil es schneller geht! Der schweizerisch-australische Theaterregisseur hat nie genug Zeit. Seit er vor fünf Jahren aus Melbourne in seine Geburtsstadt Basel zurückkehrte, erschüttert er in kurzen Abständen das zeitgenössische Sprechtheater mit seinen berühmt-berüchtigten "Überschreibungen".

Da mussten die Hüterinnen und Hüter der sakrosankten Dramenliteratur kräftig schlucken, als sie sahen, dass von Ibsen, Tschechow oder Strindberg kaum ein Zeilchen übrig blieb, wenn Stone (34) Hand anlegte. Der mittlerweile quer durch Europa gereichte Regiestar transferiert die jeweiligen Stoffe völlig hemmungslos in eine eigene heutige Alltagssprache. Einen "Theaterstrauchdieb" hat man ihn dafür gescholten. Oder wohlwollender: den Theaterautor für die Netflix-Generation.

Nicht ganz taufrisch

Die Qualität seiner Theaterunternehmung liegt genau in dieser verblüffenden Übersetzungsarbeit, die die unmittelbare Gegenwart anrührt. Die Ibsen-Frauen von heute shoppen online, die Tschechow-Schwestern twittern, und Strindbergs von Hybris befallene Männer gleichen kaputten Rockstars. Stone hat begonnen, ein riesiges Feld umzuackern – und das in einer traditionell text- und literaturversessenen Theaterlandschaft. Unzählige Klassiker harren seiner Überschreibung. Keine Frage, dass da viele Theater mitnaschen wollen. Narrationen klassischer Stoffe sind immer ein Publikumsgarant.

Am Donnerstag feiert Simon Stones Medea mit Caroline Peters in der Titelrolle am Burgtheater Premiere. Für eine zeitgenössische Erzählung der antiken Kindsmörderin hat sich Stone an einem realen Fall in den USA orientiert: Eine rekonvaleszente Pharmazeutin geht zum Äußersten.

Stone setzt gern auf verschachtelte Glashausbühnenbilder. Im Bild: "Hotel Strindberg", Akademietheater.
Foto: Reinhard Maximilian Werner

Die Inszenierung ist indes nicht ganz taufrisch. Sie stammt aus dem Jahr 2014 und hatte damals mit einem niederländischen Cast in Amsterdam Uraufführung. Im März gastiert sie auch im Barbican Theatre London. Die Wiener Fassung wird derzeit – Stones Work-in-progress-Schreibgewohnheiten entsprechend – bis zur Premiere laufend neu adaptiert.

Für 2018 wollte der Regieworkaholic eigentlich eine Theaterauszeit nehmen und in Großbritannien eine Fernsehserie drehen. Doch das Theater lässt ihn nicht los. Erst im Oktober hatte am Berliner Ensemble Stones Griechische Trilogie Uraufführung (Dionysos als Reproduktionsmediziner!). Sein Hotel Strindberg feiert im Jänner Premiere in Basel (als Koproduktion mit der Burg). Und Anfang März soll der Aussie-Star schon wieder eine Trilogie fertig haben, für das Pariser Théâtre de l'Europe Odéon, basierend auf Texten der Elisabethaner John Ford, Thomas Middleton und William Shakespeare: ein feministisches Rachestücke mit dem Titel La Trilogie de la vengeance, mit Valeria Bruni-Tedeschi. Ebenfalls von A bis Z neu überschrieben.

Den Begehrlichkeiten vonseiten der Theaterhäuser nach solchen Kraftanstrengungen begegnet Stone mit einem Wiederverwertungsmodell. Für das Burgtheater unter Karin Bergmann geht sich jetzt eben auch nur mehr die Blaupause eines bereits existierendes Regiekonzepts aus. Stones immenser Erfolg zwingt ihn, Ideen aus Zeitgründen mehrfach umzusetzen. Eine Win-win-Situation, auch ökonomisch. Der Regisseur kann seine Arbeit mit weniger Aufwand verbreiten, und die Theater bekommen keine Absagen.

Erhielt eine Einladung zum Berliner Theatertreffen und wurde später in Paris aufgeführt: Stones "Drei Schwestern"-Inzenierung aus Basel 2016.
Foto: Sandra Then

Schon seine Drei Schwestern-Inszenierung aus Basel 2016 – u. a. mit einer Einladung zum Berliner Theatertreffen ausgezeichnet – gab es dann ein Jahr später mit französischem Cast am Paris Odéon zu sehen. Im selben verschachtelten Glashausbühnenbild von Lizzie Clachan. Wesensverwandt dazu war bereits die Bühne zu Ibsen House an der Toneelgroep Amsterdam (2016), ebenfalls ein auf einer Drehbühne gut einsehbares Wohnhaus.

Das aus der großen Nachfrage resultierende Mehrfachverwertungsmodell ist nichts Verwerfliches (das Burgtheater hat seine Medea-Premiere auch korrekt als deutschsprachige Erstaufführung gekennzeichnet). Und es ist auch nichts Neues. Simon Stone befindet sich mit internationalen Regisseuren wie Peter Sellars, Jerôme Bel oder Robert Wilson in bester Gesellschaft. Letzterer hat seine ikonografischen Werke wie Hamletmaschine, Einstein on the Beach oder Death, Destruction & Detroit mehrfach mit unterschiedlichen Casts in unterschiedlichen Jahrzehnten inszeniert.

Das Theater lässt Simon Stone derzeit noch nicht los: Das Projekt einer Fernsehserie muss weiter warten.
Foto: Andy Urban

Theater und Film

Auch der in Großbritannien als Überschreibungsregisseur gefeierte Robert Icke (32) hat seine Orestie vom Almeida Theatre in London, wo er Kodirektor ist, jüngst in Stuttgart erneut herausgebracht. Ein gelungenes Regiekonzepte lässt sich aber noch weiter ausschöpfen, etwa indem man es in ein anderes Medium überträgt, vom Theater in den Film beispielsweise. Peter Sellars oder Robert Lepage haben dies mit erfolgreichen Werken praktiziert. Und auch Simon Stone hat schon früh damit begonnen.

Die allererste Inszenierung, die Stone in Österreich vorgestellt hat, Ibsens Wildente bei den Wiener Festwochen 2013, liegt längst als Film vor: The Daugther hatte 2015 beim Toronto Film Festival Premiere. In einem derart weitgestreuten und wuchernden Werkkosmos ist es gar nicht mehr so leicht, die wandernden Credits zu verfolgen. Damit muss sich auch das Theater vermehrt auseinandersetzen. Zumal auch aus ökonomischen Gründen Koproduktionen aller Art künftig noch wichtiger werden dürften. (Margarete Affenzeller, 17.12.2018)

Caroline Peters spricht im STANDARD-Podcast "Serienreif" über ihre Lieblingsserie "Maniac".