Ein auch schon angegrauter Odysseus in der Erzschwere des Germanentums: Jonathan Meese in der Pinakothek der Moderne.

Foto: Jörg Koopmann

München – Geht es nach der kürzlich bei Walther König erschienenen Künstlerbiografie Jonathan Meese 1970–2023 (Verlag Walther König, € 20,40), verfasst von Robert Eikmeyer und Meeses Managerin Doris Mampe, dann wird die "Diktatur der Kunst" anno 2023 über uns gekommen sein.

Und zweifellos wird Meese sie bis dahin noch ein paarmal ausgerufen haben: Es macht nicht den Eindruck, als sei er der eigenen Slogans schon überdrüssig geworden. Sie haben ihm in den vergangenen Jahren nicht zuletzt zur Legitimation performativer Hitlergruß-Anwendungen gereicht.

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Der Provokateur in der Adidas-Jacke kindlicher Spiellaune.
Foto: Lino Mirgeler / dpa

Merke (nach Meese): "Kunst ist die Überwindung und Abwesenheit von Ideologie", alles ist durch die Kunst "dekontaminiert" – was dann übrigens gleichermaßen für Tierbabys und Aliens, Hakenkreuz und Humpty-Dumpty, Unterhosen, Barbiepuppen, Conan, Caligula, Nero, die Mumins oder Zardoz aus dem gleichnamigen Science-Fiction-Streifen mit Sean Connery von 1974 gelten muss, für den Meese ein besonderes Faible hegt.

Pop und erzschweres Germanentum

Aus der schrankenlosen Verdichtung von Symbolen und Versatzstücken aus Popkultur, Geschichte und erzschwerem Germanentum ergeben sich seit jeher jene Widersprüche, aus denen sich auch Meeses Ruf als Provokateur speist.

Foto: Jan Bauer, Pinakothek der Moderne

Er selbst kleidet diesen Provokateur gern ins Mäntelchen bzw. in die Adidas-Jacke kindlicher Spiellaune, die alles erlaubt, aber auch nicht allzu ernst genommen werden will. Wie es dazu kam, will obengenannte Biografie – Stichwort: Kunstfigur Meese – nachzeichnen. Einen retrospektiven Blick auf das Werk will wiederum die seit langem erste Museumspräsentation in Deutschland werfen.

Die Münchner Pinakothek der Moderne hat dafür unter anderem eine Reihe bisher nicht öffentlich gezeigter Gemälde aus dem Besitz des Künstlers aufgetan, außerdem Zeichnungen, Collagen sowie frühe Kleinplastiken versammelt.

Foto: Jörg Koopmann

Es erfüllen sich zunächst die gängigen Erwartungen: Den odysseischen Titel hat Meese gleich eingangs an die Wand gepinselt, Die Irrfahrten des Meese ist eine in einen Raum der Pinakothek gebaute Gesamtinstallation mit großem Materialaufgebot, wildem Gestus auf und abseits der Leinwand, dichtem Referenzenremix, kryptischen Wortschöpfungen, Brachialem und ein bisschen Banalem rund um den selbsternannten "Kunstbengel" Meese, der sich das Hitlerbärtchen im Selbstporträt in zarten Rottönen zum Katzenschnurrhaar auswachsen lässt.

Die vermeintliche Unverfrorenheit, mit der sich Meese, Jahrgang 1970, an der Ambivalenz des Bösen zu schaffen machte, ließ ihn in den Neunzigerjahren zu einem Shootingstar der Kunstszene aufsteigen.

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Foto: Lino Mirgeler / dpa

Das Gesamtbild der Münchner Werkschau ist nun – und das ist auch schon das Überraschendste an ihr – eher freundlich-bunt als düster. Was man durchaus auch als Finte interpretieren könnte, denn es mangelt inmitten von Farb- und Materialgebirgen natürlich auch hier keineswegs an einschlägigen NS-Motiven.

Lüpft man das schwarze Tuch über einer der Vitrinen, glotzt einem Meese allerdings als collagierter Polyphem entgegen, in der Mitte des vom Künstler gestalteten Bodenbelags prangt ein nach allen Seiten auslaufender blutroter Farbfleck, den er selbst und die Kuratoren, Sammlungsleiter Bernhart Schwenk und Swantje Grundler, als "Vulkan" bezeichnen.

Ermattung statt Eruption

Dennoch wirkt alles hier weniger wie eine Eruption, sondern vielmehr ziemlich aufgeräumt und bis zur Ermattung durchdekliniert. Wobei das Meese'sche "Gesamtkunstwerk" schon immer am besten in Verbindung mit der leibhaftigen Performance desselben funktioniert hat. Auf den Drang zum Bühnenhaften und Dramaturgischen verweisen denn auch jene Skulpturen und Assemblagen, von denen Meese manche noch als Student von Franz Erhart Walther an der Hamburger Akademie geschaffen hat.

Kleinskulptur von Jonathan Meese in der Münchner Pinakothek
Foto: Jan Bauer, Pinakothek der Moderne

In Gips ertränkte Barbiepuppen sind die uninteressanteren unter ihnen. Aber aus kleinen, trashig anmutenden Dioramen, in denen sich Plastikfigürchen in einer aus Text, Objekt und Zeichnung gebastelten, komplexen Kunstwelt bewegen, lässt sich manches von dem ablesen, was sich inzwischen durchaus erfolgreich schon auf realen Bühnen abgespielt hat. (Ivona Jelcic, 17.12.2019)