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Ruanda hat einen bemerkenswerten Wiederaufbau erlebt. Keine andere Volkswirtschaft auf dem Kontinent, ausgenommen Äthiopien, ist über die letzten zehn Jahre stärker gewachsen.

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Ruanda hat Korruption erfolgreich zurückgedrängt und viel in Bildung investiert. Im Vorjahr steigerte das Land seine Exporte um fast 60 Prozent, ohne von Bodenschätzen abhängig zu sein.

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Der Präsident aus dem Land der Hügel besucht den Kanzler aus dem Land der Berge: Am Montagabend eröffnet Ruandas Staatschef Paul Kagame mit Sebastian Kurz das EU-Afrika-Forum in Wien. Kagames Heimat Ruanda ist sprichwörtlich für seine tausend Hügel bekannt; doch die meisten Europäer haben vor allem eine Assoziation zu dem kleinen afrikanischen Staat: Genozid. Bei dem grauenhaften Verbrechen an der Volksgruppe der Tutsi durch die Hutu im Jahr 1994 wurde die Bevölkerung dezimiert, das Land stürzte in den Ruin. Was die wenigsten Europäer wissen: Seither hat das ressourcenarme Binnenland einen bemerkenswerten Wiederaufbau erlebt. Keine andere Volkswirtschaft auf dem Kontinent, ausgenommen Äthiopien, ist über die letzten zehn Jahre stärker gewachsen. Dabei steht Ruanda an der Spitze einer Dynamik, die weite Teile des Kontinents betrifft. Doch um die Armut hinter sich zu lassen, müssen afrikanische Staaten einige Hürden überwinden.

Fokus auf Migration

Derzeit überschattet in unseren Breiten das Thema Migration jede Auseinandersetzung mit dem Nachbarkontinent, bedauert Patrick Dupoux, von der Boston Consulting Group und Leiter des Büros in Casablanca: "Wenn man in Europa nur Migrantenboote sieht, glaubt man, in Afrika gebe es keine Chancen und überall nur Konflikte. Aber der Kontinent besteht aus 54 Ländern mit 1,2 Milliarden Einwohnern – die große Mehrheit davon will nicht über das Mittelmeer flüchten."

Grafik: Weltbank/Der STANDARD

Insgesamt sind Afrikaner viel mobiler geworden. Es gebe viel mehr Migranten, die die Grenzen innerhalb Afrikas überquerten, als solche, die nach Europa kämen. Denn die Perspektiven seien gut und es entstünden viele Geschäftsmöglichkeiten, betont der Unternehmensberater. Die Wirtschaft in vielen Staaten Afrikas wächst mit über sechs Prozent jährlich viel stärker als jene der EU-Staaten (siehe Karte).

Doch der Aufstieg auf der Einkommensleiter ist schwierig. Von den fünfzig ärmsten Ländern der Welt sind 37 in Afrika. Das war nicht immer so. Afrikas war in den 80er- und Anfang der 90er-Jahren wohlhabender als China oder Indien. Was ist geschehen?

Alte Konflikte

Viele sprechen von einem verlorenen Jahrzehnt. Während mit dem Ende des Kalten Krieges für weite Teile der Welt eine Periode wachsenden Wohlstands einsetzte, tauten in Afrika eingefrorene Konflikte auf. Ethnische Bruchlinien und Organisationsformen standen im Widerspruch zur immer noch aus der Kolonialzeit geprägten Ordnung, wie Entwicklungsexperte Bruce Berman beschreibt. Eine Welle an Bürgerkriegen und Konflikten forderte nicht nur enorme menschliche Verluste. Auch der LebenssStandard in den meisten afrikanischen Ländern ging deutlich zurück, wie ein UN-Bericht Anfang des Jahrtausends unterstrich. Doch seit dem Jahr 2000 ist die Zahl gewaltsamer Konflikte in Afrika um über zwei Drittel geschrumpft, wie das Uppsala Conflict Data Program zeigt.

Mehrere Faktoren stehen dahinter. Vermutlich am wichtigsten war die Tatsache, dass Konflikte schlichtweg von einer Seite gewonnen wurden. Nicht zu unterschätzen ist auch die konstruktive Rolle der Staatengemeinschaft, die heute im starken Kontrast zu den Waffenlieferungen aus dem Kalten Krieg steht, wie der Konfliktforscher David Burbach festhält. Einige blutige Konfliktherde bestehen weiterhin, wie der Kampf um die Nachfolge Muammar al-Gaddafi in Libyen oder das Wüten der islamistischen Miliz Boko Haram in Nigeria. Doch 2018 wurde keiner der fünf tödlichsten globalen Konflikte in Afrika ausgetragen. Damit ist die größte Hürde für Entwicklung beseitigt.

Der Appetit Chinas nach Ressourcen ließ in den Jahren vor der Finanzkrise die Preise für Rohstoffe wie Erdöl und Edelmetalle in die Höhe schießen. Davon profitierten viele ressourcenreiche Staaten, wie Nigeria, Angola oder Botswana. Damit lässt sich das dynamische Wachstum vieler Länder nur bedingt erklären.

Überschätzte Bodenschätze

"Der wahre Vermögenstreiber in Afrika ist nicht Erdöl, sondern gute Staatsführung", betont Dupoux. Ruanda hat Korruption erfolgreich zurückgedrängt und viel in Bildung investiert. Im Vorjahr steigerte das Land seine Exporte um fast 60 Prozent, ohne von Bodenschätzen abhängig zu sein. Moderne Technologien spielen eine immer größer Rolle für Ruandas LebenssStandard. Volkswagen hat in diesem Jahr ein Werk in Betrieb genommen, ein Netzwerk von Drohnen versorgt die Landbevölkerung mit Blutkonserven, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Solche Entwicklungen finden in vielen Ländern Afrikas statt. Trotzdem vernachlässigen hiesige Unternehmen den Markt, meint Dupoux: "Ich finde es schade, dass Europa sich so stark in Afrika engagiert hat, als der Kontinent noch nicht bereit für Geschäftsbeziehungen war. Und jetzt, wo sich Afrika mausert und wächst, ziehen sich die Europäer zurück."

Zu viel Optimismus sei nicht angebracht. "Manche glauben, Afrika ist das nächste Asien – das ist falsch." Der Kontinent steht vor Herausforderungen. "Wenn sie ihre Kräfte nicht bündeln, so wie die EU, fehlt den Staaten Afrikas die kritische Masse, um starke Industrien und Unternehmen hervorzubringen", sagt Dupoux. Insgesamt 16 Handelszonen zergliedern den Kontinent. Auch die mangelhafte analoge wie digitale Infrastruktur ist ein Stolperstein.

In diesem Lichte entspricht es dem Rat vieler Experten, wenn das EU-Afrika-Forum in Wien im Zeichen der Digitalisierung steht. Dezidiert will der österreichische EU-Ratsvorsitz über das Thema Migration hinausgehen. Dabei schwingt trotzdem die Erwartung mit, das ein Beitrag zum Wohlstand auch Migration einbremst.

Doch wie die vergangenen Jahre zeigten, war es nicht ein Kontinent, der im Chaos versank, aus dem viele Menschen nach Europa kamen, sondern im Gegenteil: Stabilität und Wohlstand haben in den meisten Ländern Afrikas zugenommen. (Leopold, Stefan, 16.12.2018)