Den eigenen Körper bei Schmerzen durch Atmung beeinflussen können – das nutzt die Körperpsychotherapie, die ihre Ursprünge in den 1930er-Jahren hat. Angewendet wird sie vor allem im Spitzensport

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Auf dem Rücken liegen, die Beine anwinkeln und atmen. Mehr ist es im Grunde nicht, was der Norweger Inge Jarl Clausen mit seinen Klienten macht. Doch die schwören auf ihn und seine Methode. Der 59-Jährige bietet sogenanntes vegetatives Training an, das auf die Lehren der körperorientierten Psychotherapie des Österreichers Wilhelm Reich zurückgeht. Reich ist alles andere als unumstritten. Der einstige Freud-Schüler hat die Vegetotherapie in den 1930er-Jahren als Weiterentwicklung der Psychoanalyse begründet. Anstatt sich nur auf die psychische Dimension des Menschen zu konzentrieren, bezieht die Vegetotherapie den Körper mit ein.

Denn für Reich spielten die körperlichen Aspekte beim Unterdrücken von Gefühlen eine wichtige Rolle. Dort setzt Clausen mit seinem Training an. Er hat die Methode in Norwegen erlernt, wohin Reich in den 1930ern vor den Nazis geflohen war, bevor er in die USA emigrierte. Das war noch vor seinen pseudowissenschaftlichen Energie-Forschungen, die ihn letztlich seine Glaubwürdigkeit und Freiheit kosteten. Reich starb 1957 in US-Haft, seine Schriften und Gerätschaften wurden unter Aufsicht der Bundesbehörden verbrannt oder zerstört.

Unter diesem unrühmlichen Ende leidet bis heute die Glaubwürdigkeit Reichs früherer Arbeit wie eben der Vegetotherapie. Zweifel, die Clausen und seine Klienten nicht stören. Er arbeitet nämlich vor allem mit Spitzensportlern. Dort zählen allein die Ergebnisse. Und die sprechen für die Methode, wie Clausens Klienten bestätigen.

Bessere Regeneration

Einer von ihnen ist der mexikanische Ultraman-Weltmeister des Jahres 2016, Iñaki de la Parra. "Ich lernte Clausen vor rund drei Jahren kennen, als ich verletzungsbedingt in einem Tief war", erzählt der Athlet. Er habe damals nach einer Möglichkeit gesucht, seine körperliche Leistungsfähigkeit wiederherzustellen und sie zu steigern. "Am Anfang habe ich nicht genau verstanden, was er macht", sagt de la Parra. Nachdem er aber mehrere Sessions bei dem Norweger absolviert hatte, bemerkte er plötzlich starke Verbesserungen was die Regeneration nach intensiven Trainingseinheiten anbelangt, und auch psychisch habe ihm die Methode enorm geholfen, um aus dem verletzungsbedingten Tief herauszukommen.

"Ich habe 2016 sehr intensiv mit Clausen gearbeitet und konnte in dieser Saison den Weltmeistertitel holen. Sicher nicht allein deshalb, aber es war ein wichtiger Bestandteil auf dem Weg zum Erfolg", ist der Mexikaner überzeugt. Messbar seien die Auswirkungen im HRV-gesteuerten Training gewesen. HRV bezeichnet die Fähigkeit des Organismus, den Herzrhythmus zu beeinflussen. Im Spitzensport setzen vor allem Ausdauersportler darauf.

Die Liste zufriedener Kunden des Norwegers ist lang. Fußballvereine wie Manchester City FC, Everton FC – dort vor allem Verteidiger Séamus Coleman, den Clausen nach langer Verletzungspause zu einem der wertvollsten Verteidiger der Premier League therapierte – setzen ebenso auf ihn wie die Radprofis Jakob Fuglsang oder Daniel Martin. Aber auch Tischtennis-Profi Uladsimir Samsonau schwört auf das Training des Norwegers.

Atmen und entspannen

Sportwissenschafter Gerhard Zallinger, der zum Betreuerstab des ÖFB-Nationalteams zählt, hat die Methode in den vergangenen Jahren von Clausen gelernt. Er ist von den Ergebnissen überzeugt. "Für mich war es ein Türöffner in eine neue Welt." Zallinger setzt heute fast nur mehr auf vegetatives Training, das davon ausgeht, dass sich erlebte Traumata nicht nur seelisch, sondern auch körperlich manifestieren. Mittels Atem- und Entspannungstechniken leitet er seine Klienten dazu an, diese selbst zu lösen. Dadurch steigere sich letztlich das Wohlbefinden und damit auch die Leistungsfähigkeit der Sportler.

Zallinger hat vor allem bei Schmerzen und chronischen Schmerzen und Verletzungen gute Ergebnisse mit der Methode erzielt, wie er sagt. Wobei die Anwendung von Klient zu Klient variiere: "Weil es auf die jeweilige Geschichte der Menschen ankommt." Immer gleich sei hingegen das Prinzip: "Die Regulation kommt von innen und nicht von jemandem, der mich von außen heilt." Während man in der klassischen Schulmedizin die Bedeutung von "Erfahrung" so nicht berücksichtige, nehme diese beim vegetativen Training eine sehr wichtige Rolle ein.

Dass der von Clausen und Zallinger skizzierte Zugang aus ihrer Sicht durchaus Sinn ergibt, bestätigen Christian und Gaby Bartuska. Die beiden Psychotherapeuten praktizieren seit rund 40 Jahren auch körperorientierte Psychotherapie und gelten als Experten auf dem Gebiet. Die Trainingsmethoden Clausens und Zallingers kennen sie nicht, doch grundsätzlich sei das Ziel der Körperpsychotherapie, zur Selbstheilung anzuleiten. Wobei sie zur Vorsicht mahnen: "Es ist eine sehr, sehr wirksame Technik. Daher muss man als Therapeut wissen, wo die Grenzen sind."

Methode und Nebenwirkung

Denn falsch angewandt könne Körperpsychotherapie und speziell Vegetotherapie zu Retraumatisierungen oder gar psychotischen Zuständen führen. Im Fall von Spitzensportlern sei diese Gefahr geringer, so die Experten, da diese in der Regel ein Bewusstsein für ihre körperlichen und psychischen Grenzen entwickelt hätten. Sie raten aber dringend, ein solches Training nur bei "psychisch intakten" Klienten durchzuführen.

In Österreich ist die Körperpsychotherapie noch nicht als Methode anerkannt. Während die Psychotherapie seit 1991 durch ein eigenes Gesetz geregelt ist, bemühen sich Therapeuten wie etwa die Bartuskas gemeinsam mit Kollegen seit Jahren um die Anerkennung der körperorientierten Variante. Es sei wichtig, bei der Anwendung auf seriöse Anbieter zu achten. Denn Wunder dürfe man sich von der Vegetotherapie nicht erwarten. (Steffen Arora, 18.12.2018)