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Migranten warten auf dem Frontex-Schiff Protector darauf, von Bord zu gehen. 2018 wird das Jahr mit den wenigsten irregulären Grenzüberschreitungen seit 2013 werden.

Foto: AP/Francesco Ruta/ANSA

Ich werde nie aufhören, die Errungenschaften der Europäischen Union zu bewundern, die wohl zur längsten ununterbrochenen Friedensphase auf diesem Kontinent geführt haben. Viele Menschen empfinden die interne Arbeitsweise der EU als schwierig zu verstehen. Das ist nachvollziehbar, denn die Arbeit der Union weist tatsächlich manchmal sehr komplexe Aspekte auf. Andererseits ist manches aber auch sehr einfach.

Um nur ein Beispiel zu nennen: Der Schengen-Raum bildet einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Was bedeutet das konkret?

Wenn Sie unter dreißig sind, ist es sehr wahrscheinlich, dass Sie das Prinzip der Freizügigkeit innerhalb der EU für eine Selbstverständlichkeit halten. Wenn Sie in Wien geboren wurden, in Prag arbeiten und Ihren Urlaub an den Stränden der Toskana verbringen, können Sie sich zwischen diesen Orten frei bewegen, ohne überhaupt zu merken, dass Sie Grenzen überqueren. Das ist Freiheit.

Nicht vor Bedrohung gefeit

Es wäre allerdings eine seltsame Freiheit, würde diese die eigene Sicherheit gefährden. Und obwohl die EU sicherer ist als die meisten Orte auf der Welt, ist sie keinesfalls vor Bedrohungen gefeit, die unsere Sicherheit in Gefahr bringen. Waffen- und Drogenschmuggel zu verhindern, die Gefahren eines Terrorangriffs abzuwehren oder den Menschenhandel zu bekämpfen, im Rahmen dessen die Opfer oft in einer modernen Form der Sklaverei enden, die völlig im Widerspruch zu den Werten steht, auf denen die EU gründet – das ist Sicherheit.

Und was ist mit dem Recht? Es gibt wohl kaum einen Wert, der für unsere Gesellschaften von größerer Bedeutung ist. Die Rechtsstaatlichkeit, ein Grundprinzip der EU, setzt eine unabhängige und unvoreingenommene Justiz sowie eine transparente Gesetzgebung voraus. Nur so hat jeder die Gewissheit, vor Gericht gerecht behandelt zu werden. Gleichzeitig müssen sich diejenigen, die vor Krieg oder Verfolgung geflohen sind, darauf verlassen können, dass sie auf ein faires System treffen, das ihnen den ihnen zustehenden internationalen Schutz gewährt.

Frontex, die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, hilft mit sicherzustellen, dass dieser Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts auch weiterhin bestehen bleibt. So einfach ist das.

In der Praxis ist das aber natürlich nicht ganz so einfach.

Nicht so einfach

Um die Sicherheit aller innerhalb dieses Raumes der Freizügigkeit zu garantieren, ist es unerlässlich, genau zu wissen, wer ein- und ausreist. In den nächsten Jahren wird es durch den Einsatz moderner Technologie zu einem wahren technischen Quantensprung kommen, der genau das sicherstellt.

Dazu gehört auch ein System, das bereits vorhandenen Instrumenten in den Vereinigten Staaten und Kanada ähnelt. Demnach werden Reisende aus Ländern, die keiner Visumspflicht unterliegen, eine Genehmigung brauchen, um in die EU einreisen zu können. Diese Anforderung wird ein für alle Mal mit dem irrtümlichen Glauben aufräumen, die EU unterscheide zwischen "guten" und "schlechten" Ausländern. Um die Sicherheit der Menschen innerhalb ihrer Grenzen zu gewährleisten, müssen EU- und nationale Behörden wissen, wer hier ist. So einfach ist das.

Um jedoch eine Grenz- und Küstenwache zu sein, die fit für das einundzwanzigste Jahrhundert ist, bedarf es mehr.

Mehr als irreguläre Migration

Die Situation an den EU-Außengrenzen ändert sich ständig, und mit ihr ändert sich auch Frontex. Die Agentur wird oft ausschließlich mit irregulärer Migration in Verbindung gebracht. Europäische Grenzverwaltung geht aber weit über diesen Aspekt hinaus.

Um es klar zu sagen: Momentan gibt es keine Migrationskrise. Nach den neuesten Zahlen ist damit zu rechnen, dass wir 2018 die niedrigste Zahl irregulärer Grenzüberschreitungen seit 2013 zu verzeichnen haben.

Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings sehr hoch, dass der Druck an den Außengrenzen wieder zunehmen wird. Und darauf müssen wir vorbereitet sein.

Denn die Grenzen werden nicht nur von den Menschen überschritten, die internationalen Schutz brauchen, und auch nicht einmal nur von jenen, die auf der Suche nach einem besseren Leben sind. Sie werden auch von denjenigen überwunden, die uns schaden wollen.

Die Analysen, die Frontex jedes Jahr in sämtlichen Mitgliedstaaten durchführt, zeigen ein gewaltiges Defizit im Bereich des Grenzschutzes auf. Wir sprechen hier nicht von möglichen Zusatzaufgaben in Krisenzeiten, sondern lediglich von der Bewältigung der alltäglichen Grenzschutzarbeit.

Um diesen Mangel zu beheben, hat die Europäische Kommission vorgeschlagen, Frontex auszubauen. Vorgeschlagen wurde, die Agentur um eine ständige Reserve von 10.000 Einsatzkräften aufzustocken, wobei die Mehrheit der neuen Mitarbeiter im Wechsel für ihre nationalen Behörden und für Frontex tätig sein würde.

Dadurch stünde u. a. die notwendige Zahl an Grenzschützern während der Haupteinsatzzeit im Sommer zur Verfügung. Zudem könnten wir so die Mitgliedstaaten bei der Entwicklung einer effizienten Rückführungspolitik noch besser unterstützen, um diejenigen in ihre Herkunftsländer zurückzubringen, die alle Rechtsmittel ausgeschöpft haben und kein Bleiberecht in der EU haben.

Mehr Frontex-Personal

Die Aufstockung des Personals würde auch die Arbeit der Agentur im Bereich der Sicherheit erheblich verbessern. Es bedarf schließlich nur eines einzigen Terroristen, der sich einer Gruppe irregulärer Migranten anschließt, um das Leben hunderter oder gar tausender Menschen zu gefährden. Wie wir erst dieser Tage sehen konnten, müssen wir darüber hinaus sicherstellen, dass kein Täter über ungesicherte Außengrenzen aus der EU entkommen kann.

Manche Mitgliedstaaten haben Bedenken geäußert, dass eine weitere Stärkung unseres Mandats ihre nationale Souveränität schwächen könnte. Dieses Denken entspringt jedoch einer falschen Logik.

Was heißt souverän?

Denn was heißt es eigentlich, ein souveräner Staat zu sein? Bedeutet es, dass ein Land immer auf sich allein gestellt ist – im Erfolg wie im Scheitern? Oder bedeutet es, dass man sich eingesteht, in manchen Bereichen und Situationen die Souveränität effektiver aufrechterhalten zu können, wenn man mit Partnern zusammenarbeitet?

Schon jetzt kann Frontex im Bedarfsfall Maßnahmen ergreifen, die den Mitgliedsländern helfen, Menschenleben zu retten und die grenzüberschreitende Kriminalität einzudämmen. Die Europäische Grenz- und Küstenwache besteht sowieso aus den Grenz- und Küstenwachen der einzelnen Länder zusammen mit Frontex. Deshalb: geteilte Souveränität mit gebündelten Kräften. Sie ist Ausdruck unserer gemeinsamen Verantwortung für die Außengrenzen der EU.

Und eben weil Frontex die nationale Souveränität der Mitgliedstaaten weder beeinträchtigen kann noch will, sage ich ganz offen: Ohne politische Lösungen kommen wir nicht weiter. Sogar die effizienteste Grenzverwaltung kann unmöglich eine fundierte, wohldurchdachte Politik ersetzen.

Mutige Entscheidungen werden gebraucht, von denen, die dafür gewählt worden sind. Wenn das unser gemeinsamer Ausgangspunkt ist, können wir einen offenen Dialog über die Grenzen der Zukunft in Gang setzen. Zusammen können wir den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts bewahren. Nicht nur für uns, sondern auch für die Generationen, die nach uns kommen. (Fabrice Leggeri, aus dem Englischen von Katya Andrusz, 17.12.2018)