Wer sich eine Welt aus Jasagern baut, wird bald blind für die eigenen Grenzen. Ungarns nationalkonservativer Premier Viktor Orbán muss das dieser Tage wieder einmal schmerzlich zur Kenntnis nehmen. Bereits vor einigen Jahren ruderte er nach massiven Protesten gegen eine geplante Internetsteuer kleinlaut zurück. Nun ist es ein neues Arbeitszeitgesetz, das wütende Demonstranten auf die Straße bringt – und für einen Schulterschluss der ansonsten zersplitterten Opposition sorgt.

Warum scheint ausgerechnet Orbán mit seiner soliden Wählerbasis der Seismograf für drohende Beben zu fehlen? Wieso war ihm nicht klar, dass der rasante Anstieg möglicher Überstunden auch den Unmut vieler Arbeitnehmer auslöst, die ihm einst ihre Stimme gegeben hatten?

Die Antwort: Orbán hat verlernt, wie man gesellschaftliche Debatten führt. Kompromisse im Parlament hat er nicht nötig, gegängelte Medien üben keine Kritik, eine weltoffene Uni wird aus dem Land geekelt, angebliche Bürgerbefragungen strotzen vor Suggestivfragen. Und wenn sich doch einmal Widerstand regt, dann heißt der Sündenbock – wie auch im Fall der jüngsten Proteste – George Soros.

Noch lässt sich schwer einschätzen, ob die neue Bewegung, die von links bis ganz rechts reicht und mittlerweile auch auf die Korruption zielt, Orbán langfristig schaden kann. Sicher ist nur: Die Gesprächsverweigerung als politisches Konzept hat auch in Ungarn keine Zukunft. (Gerald Schubert, 17.12.2018)