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Auch in Belgien kommt es zu Protesten und Krawallen – wie hier am 8. Dezember in Brüssel.

Foto: Reuters/Yves Herman

Paris, Budapest, Brüssel – das sind nur drei von mehreren Schauplätzen in Europa, wo in den vergangenen Monaten immer wieder protestiert wird. Die Bewegungen sind politisch schwer zuordenbar. Selten treibt die Bürger eine Ideologie auf die Straße. Öfter sind es Menschen, die genug haben von steigenden Mietkosten, hohen Steuern und sinkender Lebensqualität, gepaart mit einer gewissen Migrationsskepsis.

Dass sich die Gelbwesten in Frankreich so rasant zu einer Massenbewegung entwickelt haben, kam für viele überraschend. Emmanuel Macron war eben noch als großer Reformer gefeiert, schon protestieren Zehntausende gegen den Präsidenten, der sich selbst lautstark als "weder rechts noch links" erklärt hatte.

Rechts-links-Einteilung seit der Französischen Revolution

Mit "rechts" oder "links" – dem traditionellen politischen Koordinatensystem Europas – haben die Proteste in der Tat wenig zu tun. Die Einteilung geht auf die Französische Revolution zurück. Damals, 1789, saßen in der Nationalversammlung auf der einen Seite die Vertreter des Ancien Régime, also die "Rechten". Gegenüber saßen die Vertreter des Bürgertums, die "Linken".

Die rechten Kräfte standen für einen Konservativismus, der einen Status quo erhalten will. Und die Linken galten als die Progressiven, die Wandel förderten. Natürlich gibt es etliche Abweichungen, Überschneidungen und Neudeutungen der Begriffe über die Jahre. Doch als Koordinatensystem bot die Links-rechts-Einteilung jahrzehntelang eine praktikable Orientierungshilfe für die politische Landschaft Europas.

Dass diese Einteilung diffus wird, zeigen die aktuellen Proteste. Neben Belgien, Frankreich und Ungarn (siehe oben) protestieren auch in Rumänien regelmäßig Tausende gegen eine in den Augen der Demonstranten korrupte Regierung. In Serbiens Hauptstadt Belgrad wurde der Samstag zum "Protesttag" erkoren. Dieses Wochenende gingen dort bis zu 10.000 Menschen auf die Straße, um gegen Präsident Aleksandar Vučić zu demonstrieren. Mit "rechts" oder "links" haben auch diese Proteste kaum noch etwas zu tun.

Unter einem Protestmantel

"Bei größeren sozialen Bewegungen fühlen sich verschiedene Gruppierungen unter einem Protestmantel vereint," erklärt der Politikwissenschafter Tobias Spöri von der Universität Wien. "In der Forderung, dass sich etwas ändern muss, gehen linke und rechte Forderungen erst einmal in eine ähnliche Richtung. Die Analyse, auf der diese Forderungen basieren, ist aber eine andere." Er nennt das Beispiel der EU-Skepsis: Sowohl rechts als auch links vertreten EU-kritische Positionen. Der Grund dafür sei aber jeweils ein sehr unterschiedlicher.

In Italien ist die nicht so recht einordenbare Fünf-Sterne-Bewegung bereits in der Regierung angekommen. "Protestwähler" wurden all jene genannt, die ihr Kreuzchen bei der Partei machten. Ob die Protestpartei ein ähnliches Schicksal wie Macrons Bewegung La République en Marche ereilen wird, ist unklar. Spöri sieht größtes Protestpotenzial dann, wenn sich der Protest gegen eine Person oder eine Regierung richtet – egal ob Macron in Frankreich oder Orbán in Ungarn. (Anna Sawerthal, 17.12.2018)