Kirche und Staat sollen nach dem Willen Kiews – aber auch Moskaus – enger zusammenwachsen. Das sorgt für Spannungen.

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Dass die Gründung einer "einheitlichen" ukrainisch-orthodoxen Kirche mehr ein politisches als ein religiös motiviertes Ereignis ist, hat im Prinzip sogar Petro Poroschenko eingestanden, der am Sonntag beim Gründungskonzil in der ersten Reihe saß. Der ukrainische Präsident nannte die neue Struktur "eine Kirche ohne Putin", aber "eine Kirche mit Gott und der Ukraine". In der neuen Kirche werde "nicht mehr für die russische Obrigkeit und das russische Militär, das Ukrainer tötet", gebetet, erklärte er. Für den 53-Jährigen ist die Schaffung der Nationalkirche zweifellos ein großer Erfolg. Kurz vor der Präsidentenwahl kann er damit Imagepunkte sammeln.

Eine einheitliche Kirche gibt es damit allerdings in der Ukraine noch lange nicht. Zwar haben sich nun die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats (UOK KP) und die autokephale orthodoxe Kirche zusammengetan. Die Führung der bisher größten und mächtigsten orthodoxen Kirche des Landes, der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats (UOK MP), hat sich aber der Einigung verweigert und beharrt darauf, selbst die einzig wahre orthodoxe Kirche zu sein. Für die Unierten hat die UOK MP nur den Begriff "Spalter" übrig. Zwei Bischöfe, die als prominente Überläufer in die neue Nationalkirche wechselten, wurden ausgeschlossen und mit dem Kirchenbann belegt.

Zwei Drittel der Kirchen "abtrünnig"

Zumindest derzeit ist der Einfluss der UOK MP in der Ukraine noch groß: Einer Umfrage aus dem Jahr 2016 zufolge bekennen sich 39,4 Prozent der Gläubigen zu ihr, während die Anhänger der beiden nun zur orthodoxen Nationalkirche vereinten Kirchen bei 30 Prozent liegen. Daneben stellt die griechisch-katholische Kirche mit gut 20 Prozent noch eine weitere große Religionsgruppe. Noch dominanter ist die Stellung der UOK MP bezüglich der Infrastruktur. Rund zwei Drittel der orthodoxen Gemeinden und Kirchengebäude gehören zu ihr. Besonders stark ist der Einfluss natürlich im Osten des Landes, wo teilweise mehr als 80 Prozent der Gemeinden der UOK MP zugerechnet werden. Darüber hinaus steht auch das größte religiöse Zentrum des Landes, das Höhlenkloster in Kiew, unter der Verwaltung dieser Kirche.

Allerdings dürfte schon bald ein heftiges Tauziehen um die einzelnen Kirchen einsetzen: Das Höhlenkloster beispielsweise ist staatliches Eigentum und wird von der UOK MP nur gemietet. Die Nichtverlängerung des Mietvertrags und Übergabe des Klosters an die Nationalkirche stellt in dem Fall keine größere Schwierigkeit für die Kiewer Führung dar. In anderen Fällen muss jeweils die Gemeinde entscheiden, welcher Kirche sie künftig angehören will. Die Gründung der Nationalkirche, zumal diese nun den Segen des Patriarchen von Konstantinopel hat, könnte dabei vielen Ukrainern als Impuls dienen, überzutreten. Die Rada wird das Übrige tun, um politisch Stimmung für die eigene und gegen die als verlängerter Arm des Kremls gesehene Moskauer Kirche zu machen. So soll die UOK MP nämlich schon bald in "Russisch-Orthodoxe Kirche in der Ukraine" umbenannt werden.

Russland ohne heiliges Feuer

Der Streit ist längst über die nationalen Grenzen und selbst das bilaterale Verhältnis hinaus. Weil Moskau sich nicht mit dem Verlust der Vormundschaft für die ukrainisch-orthodoxe Kirche abfinden wollte, hat es sich sogar mit dem inoffiziellen Oberhaupt der gesamten Orthodoxie, mit Bartholomäus, dem in Istanbul sitzenden Patriarchen von Konstantinopel, überworfen. Inzwischen ist damit ein offener Streit zwischen Rom II (Konstantinopel) und Rom III (Moskau) um die Vorherrschaft in der orthodoxen Welt ausgebrochen. Ob der Moskauer Patriarch Kyrill in dem Machtkampf gegen Bartholomäus, den er als Schismatiker verurteilte, gewinnt, ist unklar. Die meisten orthodoxen Kirchen wollen sich in den Streit nicht einmischen.

Innenpolitisch problematisch könnte für Kyrill die Haltung des Patriarchen von Jerusalem, Feofil, werden, der jüngst demonstrativ seine Verbundenheit mit Bartholomäus gezeigt hat. Sollte der Streit eskalieren, droht Russland im schlimmsten Fall, zu Ostern ohne das Heilige Feuer der Grabeskirche zu bleiben. Seit 1993 wurde das Feuer in einer aufwendigen Zeremonie aus Jerusalem mit einem Spezialflugzeug nach Moskau gebracht, um es den gläubigen Russen zu demonstrieren. (André Ballin aus Moskau, 17.12.2018)