Allergien können sich auf die Lunge schlagen und zu Asthma werden. Das gilt es unbedingt zu verhindern.

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Karl-Christian Bergmann ist Allergologe am Comprehensive Allergy Center Charité in Berlin und Vorsitzender der Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst.

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STANDARD: Derzeit haben Leute, die im Sommer an Heuschnupfen leiden, Ruhe. Dabei wäre jetzt eine gute Zeit, sich für eine Immuntherapie zu entscheiden. Warum zögern viele?

Bergmann: Es sind immer die praktischen Dinge, an denen solche Vorhaben scheitern. Der Sommer kann noch so hart für Allergiker gewesen sein, jetzt ist quasi Ruhe, und man denkt nicht mehr daran. Wir wissen aus Untersuchungen, dass es immer an praktischen Dingen scheitert. Etwa daran, einen Allergologen zu finden oder einen Termin zu vereinbaren. Wichtig ist vor allem, mit einem Allergietest exakt zu bestimmen, auf welche Stoffe man allergisch reagiert.

STANDARD: Warum wäre es wichtig?

Bergmann: Weil Allergien mit den Jahren oft heftiger werden – und vor allem bei den Pollenallergikern nach vier bis fünf Jahren ein sogenannter Etagenwechsel passieren kann. Plötzlich ist die Allergie in den Bronchien und wird zu Asthma mit teilweise massiven Atembeschwerden. Das gilt es zu verhindern. Wer einmal Asthma hat, bekommt es auch nicht mehr aus dem Körper.

STANDARD: Nicht bei allen Allergikern funktioniert die Immuntherapie. Könnte das ein Grund dafür sein, dass Allergiker das Angebot der Immuntherapie nicht ausreichend nutzen?

Bergmann: Ich kenne keine Medizin, die bei 100 Prozent der Patienten wirkt. Die einen reagieren besser auf die Therapie, die anderen weniger. Weniger heißt aber, dass man die Therapie unter Umständen nur etwas länger machen muss.

STANDARD: Was bedeutet das genau in zeitlicher Hinsicht?

Bergmann: Es gibt unterschiedliche Arten von Allergien. Sehr häufig sind Pollen ein Auslöser. Es gibt Menschen, die entweder gegen Pollen von Bäumen oder Gräsern oder Kräutern allergisch sind. Daneben können aber auch Hausstaubmilben und auch Katzen Allergien verursachen. Allergie heißt: Das Immunsystem reagiert auf diese Stoffe ungewöhnlich stark. Das verursacht auch die Beschwerden. Durch eine Immuntherapie lässt sich das fehlgeleitete Abwehrsystem an diese Stoffe gewöhnen. Wie lange das dauert, hängt vom Allergen, aber auch vom individuellen Patienten ab. Jetzt ist Hochsaison. Die Immuntherapie findet in Intervallen statt.

STANDARD: Können Sie ein Beispiel nennen?

Bergmann: Eine Immuntherapie bei einem Hausstaubmilbenallergiker dauert durchschnittlich vier Monate, bis die Symptome beginnen weniger zu werden. Wer auf Katzenhaare allergisch reagiert, muss fünf bis sechs Monate warten, bis eine Linderung der Beschwerden einsetzt.

STANDARD: Und dann ist man die Allergie los?

Bergmann: Sie wird besser. In welchem Ausmaß sie besser wird, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Es gibt auch Patienten, die die Immuntherapie wiederholen müssen. Wir haben aber gute Untersuchungen darüber, wie sehr die Lebensqualität dieser Menschen steigt. Eine dieser Studien zum Beispiel beweist sehr eindrücklich, wie die Konzentrationsfähigkeit von allergischen Kindern und Jugendlichen in der Pollensaison reduziert ist. Demnach ist eine Immuntherapie wirklich sinnvoll. Abgesehen davon: Sie können wieder unbeschwert in die Natur oder essen, was sie wollen.

STANDARD: Was hat Allergie mit Essen zu tun?

Bergmann: Vor allem für Pollenallergiker sind die Kreuzallergien zunehmend ein Problem. Jeder Zweite, der gegen Birkenpollen allergisch ist, kann kein Kern- oder Steinobst mehr essen. Gräserallergiker reagieren häufig auf Gemüsesorten wie Karotten oder Salat, und Kräuterallergiker können auf Beifuß, Melone oder Ananas reagieren.

STANDARD: Können Sie diese Kreuzreaktion kurz erklären?

Bergmann: In der Nahrung sind Eiweiße enthalten, die den Allergenen ähneln und deshalb das Immunsystem in Alarm versetzen. Allergiker spüren diese Kreuzreaktion im Mund. Die Schleimhäute oder die Lippen schwellen an, es kann auch ein Juckreiz dazukommen. Das kann mehr oder weniger heftig sein, vergeht aber wieder. Eine Immuntherapie kann auch bei diesen Kreuzreaktionen hilfreich sein.

STANDARD: Wann ist der optimale Beginn für eine Immuntherapie?

Bergmann: Zwei bis drei Monate vor der eigentlichen Saison, also eigentlich genau jetzt im Winter, wäre für Pollen-Allergiker die Hochsaison für die Hyposensibilisierung. Wir immunisieren Patienten aber mittlerweile auch während der Saison. Es ist eindeutig vorteilhafter für Patienten, als sie nicht zu immunisieren.

STANDARD: Gibt es eigentlich ein Alter, ab dem keine Allergien mehr auftreten?

Bergmann: Nein. Erstaunlicherweise kann eine Allergie bis ins hohe Alter auftreten. Wir hatten unlängst einen 72-Jährigen, der sein Leben lang nicht allergisch war und plötzlich eine Pollenallergie entwickelte. (Karin Pollack, 6.1.2019)