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Ali Al-Marri wünscht sich mehr Einsatz Österreichs und der EU für die Menschenrechte – besonders für jene der von der Blockade einer arabischen Koalition betroffenen Katarer.

Foto: AP / Martial Trezzini

Wien – Ali Al-Marri, Vorsitzender des Nationalen Menschenrechtsbeirats von Katar, ist ein Mann, dessen Aufgabenbereich einen Zwiespalt nahelegt. Die von ihm geleitete Gruppe ist Teil der Regierungsinfrastruktur – zugleich, so versichert er im Interview mit dem STANDARD, könne er aber unabhängig operieren.

Und trotzdem: Einen besonderen Fokus legt Al-Marri im Gespräch auf die Blockade Saudi-Arabiens, der Vereinigten Arabischen Emirate und mehrerer anderer arabischer Staaten gegen sein Heimatland. Auch Österreich und der EU-Vorsitz sollten in dieser Frage mehr Druck machen. Wien, sagt er, müsse zudem auch in der Flüchtlingsfrage jenen Werten gemäß handeln, die Europa predige. Aber auch in Katar selbst, sagt Al-Marri, gebe es noch die eine oder andere Herausforderung in Sachen Menschenrechte. Handlungsbedarf sieht er aber nicht überall.

STANDARD: Was bedeuten Menschenrechte eigentlich für Sie und wie sind Sie in Ihrem Job aktiv geworden?

Al-Marri: Unsere Organisation wurde 2002 gegründet, mit dem Ziel, die Menschenrechte voranzutreiben. Das betrifft katarische Bürger und Ausländer. Unsere Arbeit ist unabhängig von der Regierung. Früher gab es oft Beschwerden, die Gastarbeiter betreffen, Frauen- und Kinderrechte. Aber mit dem 5. Juni 2017 (der Tag, an dem die Blockade gegen Katar begonnen hatte, Anm.) hat sich alles geändert. Seither geht es um Studenten und Familien, die gezwungen wurden, binnen weniger Tage in ihre Heimat zurückzukehren. Die Folge waren Familientrennungen, Verstöße gegen das Recht auf Bildung, gegen Eigentumsrechte.

STANDARD: Welche Fälle sind es genau, die Sie seither beschäftigen?

Al-Marri: Seit Beginn der Krise sind vier katarische Bürger in Saudi-Arabien verschwunden. Wir haben dazu ein Statement veröffentlicht, auch die Uno hat sich eingeschaltet. Erst jetzt, nach einem Treffen mit dem Hochkommissar der UN für Menschenrechte, bei dem ich auf mehr Druck auf Saudi-Arabien gedrängt habe, haben sie einen freigelassen. Drei sind aber dort noch immer verschwunden.

STANDARD: Internationale Menschenrechtler sprechen aber auch von Handlungsbedarf in Ihrem Land. Zum Beispiel, was die Gastarbeiter betrifft. Bei den WM-Baustellen habe es zwar Verbesserungen gegeben, aber weitere Schritte seien nötig – etwa was das Recht betrifft, sich in Gewerkschaften zu organisieren.

Al-Marri: In Sachen Gastarbeiter gab es früher oft Beschwerden über zu spät bezahlte Löhne und wegen der "exit permits" (Erlaubnisschreiben des Arbeitgebers, das die Arbeiter zum Verlassen des Landes brauchen, Anm.) In dieser Sache haben wir viele Verbesserungen gesehen. Ein Fall ist etwa das Lohnschutzprogramm, bei dem es um zu spät bezahlte Löhne geht. Auch, was die "exit permits" betrifft, gibt es nun Änderungen. Was Gewerkschaften betrifft, gibt es noch Herausforderungen. Wir haben da aber eine Empfehlung an die Regierung geschickt.

STANDARD: Wie lautet diese?

Al-Marri: Es ist die gleiche wie jene der internationalen Organisationen: den Gastarbeitern zu erlauben, sich zu organisieren – in Gruppen und in Gewerkschaften.

STANDARD: Betrifft das auch die rund 150.000 großteils weiblichen Haushaltshilfen, deren Situation sich bisher ja nicht massiv verbessert hat?

Al-Marri: Auch da gibt es ein neues Gesetz. Aber es gibt da noch die Angelegenheit mit den "exit permits". Wir haben eine Empfehlung an unsere Regierung gerichtet, dass jeder, der sich in Katar befindet, das Land ohne "exit permit" verlassen kann.

STANDARD: Sie haben in Österreich auch Vertreter des Parlaments und dessen Menschenrechtsausschusses getroffen. Worüber haben Sie gesprochen?

Al-Marri: Wir haben vor allem über die Blockade gegen Katar und über die wahren Gründe dafür gesprochen. Die Regierung von Katar ist nicht unter Druck – aber Schüler, Pilger, die gern nach Mekka fahren würden, Familien: Die sind das Thema. Darüber muss mit den Saudis und den VAE gesprochen werden. Österreich und der EU-Ratsvorsitz könnten mehr Druck ausüben auf die Blockadestaaten.

STANDARD: Haben die österreichischen Vertreter auch eigene Punkte angesprochen? Österreich ist ja zum Beispiel bei der Todesstrafe oft sehr aktiv, die in Katar noch im Gesetzbuch steht.

Al-Marri: Wir haben alles besprochen, über Menschenrechte, über die Flüchtlinge. Wir wissen ja, dass sie da Herausforderungen sehen.

STANDARD: Was macht Katar eigentlich in der Flüchtlingsfrage?

Al-Marri: Was die katarische Regierung betrifft – wir haben etwa 35.000 Menschen aus Syrien aufgenommen. Auch da gibt es ein neues Gesetz, das politisches Asyl möglich macht, das erste in der arabischen Region.

STANDARD: In Österreich heißt es immer wieder, die wohlhabenden Staaten in der Gegend könnten sich mehr um Flüchtlinge kümmern.

Al-Marri: Jedes Land hat eine Rolle zu spielen. Es kann nicht sein, dass europäische Staaten immer über Menschenrechte reden, und beim ersten Mal, dass sie sie wirklich anwenden könnten, schauen sie nur auf ihre Interessen. Sie sollten ihre Prinzipien auch auf sich selbst anwenden. Das ist eine Frage, wie sie sich auch bei uns bei den Gastarbeitern stellt: Wir haben ein Problem und versuchen, es zu lösen. Europa sollte seine Prinzipien respektieren und Lösungen finden. Und Katar hat ja bereits eine große Menge an Geld für Flüchtlinge gespendet – etwa rund 500 Millionen Dollar an Jordanien.

STANDARD: Ihre Organisation hat am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen ein Statement veröffentlicht und dieses in den Kontext der Blockade gestellt. Was ist die Verbindung?

Al-Marri: Es geht auch hier um Menschenrechte und um Bewusstsein. Auch da haben wir viele Empfehlungen verfasst und die Regierung aufgefordert, der UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau beizutreten. Und vor zwei oder drei Jahren haben wir das getan. Bisher gelten für einige Artikel Reservierungen, wir ermutigen unsere Regierung aber, diese ebenfalls zu streichen. Kommendes Jahr gibt es in Katar eine internationale Konferenz, bei der es um die Gewalt gegen Frauen geht – nicht nur in Katar, sondern international.

STANDARD: Menschenrechtler sagen, es habe in der Tat Fortschritte gegeben. Sie sprechen allerdings den Artikel 58 des katarischen Familiengesetzes an, in dem nach wie vor zu lesen ist, dass die Frau für den Haushalt verantwortlich sei und ihrem Mann zu gehorchen habe. Sollte man das ändern?

Al-Marri: Wie meinen Sie die Frage?

STANDARD: Sollte man diesen Artikel ändern?

Al-Marri: Frauen in Katar haben unserer Einschätzung nach volle Rechte. Sie sind in allen Arbeitsfeldern zu finden, als Strafverfolgerinnen, als Richterinnen. Letztes Jahr waren vier Frauen aus Katar Mitglieder im Schurarat (der 35 Mitglieder zählenden beratenden Versammlung, Anm.). Sie haben volle Rechte. Unserer Ansicht nach gibt es da viele Fortschritte. Einen Punkt gibt es, der uns noch herausfordert, nämlich das Nationalitätengesetz: Katarerinnen können ihre Staatsbürgerschaft derzeit nicht an Kinder weitergeben.

STANDARD: Das betrifft jetzt zu guten Teilen den Arbeitsplatz. Und in der Familie?

Al-Marri: In Katar gibt es viele Ministerinnen, die Frauen sind. Viele Richterinnen, Staatsanwältinnen, in vielen Positionen. Ich glaube, man kann diesen Punkt bei Katar nicht kritisieren. (Manuel Escher, 19.12.2018)