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23. Mai 2015: Mit tausenden anderen begeisterten Lesben und Schwulen sowie Unterstützern feiert Panti Bliss alias Rory O'Neill in Dublin den Erfolg beim Verfassungsreferendum zur Ehe für alle. Mehr als 60 Prozent der Irinnen und Iren stimmten damals mit Ja.

Foto: AP/Peter Morrison

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Er schuf in den 1980er-Jahren die Kunstfigur Panti Bliss: Rory O'Neill.

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Wien – In Irland, einer traditionell katholischen Gesellschaft, steht der 50-jährige Rory O'Neill für tiefgreifende Einstellungsänderungen, die seit dem Beitritt des Landes zur EU im Jahr 1973 stattgefunden haben. Als Dragqueen Pandora Panti Bliss ist er auf der Insel höchst populär. Auch befand er sich mit an der Spitze der irischen Bewegung zur Gleichstellung von Lesben, Schwulen und Angehörigen anderer sexueller und Gender-Minderheiten, die beim irischen Verfassungsreferendum zur Ehe für alle 2015 einen Erfolg einfuhren.

O'Neills Wien-Besuch fiel auf einen für Homosexuelle in Österreich wichtigen Moment: die hiesige Legalisierung der Ehe für alle ab Jänner 2019.

STANDARD: In knapp zwei Wochen, Anfang 2019, dürfen Schwule und Lesben auch in Österreich heiraten. Was sagen Sie dazu?

O'Neill: Das ist natürlich wunderbar, Lesben und Schwule sollten heiraten dürfen. Aber für mich ist das auch ein wenig ironisch: In meiner Heimat Irland wird mein Gesicht sehr mit der Ehe für alle in Verbindung gebracht, die dort 2015 durch ein Verfassungsreferendum eingeführt wurde. Aber ich selber würde nie ehelichen.

STANDARD: Wieso das?

O'Neill: Weil eine der positiven Seiten in den schlechten alten Zeiten, als Homosexuelle nicht heiraten durften und sie keinen ordentlichen Job bekommen konnten, wenn sie sich outeten, war, dass sie in gewisser Hinsicht freier waren. Sie mussten sich andere Wege suchen, um glücklich zu werden. Mein heterosexueller Bruder etwa war damals starkem sozialem Druck ausgesetzt. Er musste eine Frau finden, dann ein Haus für die Familie, einen Job, um alle zu ernähren und sich einen Toyota leisten zu können. Das musste ich alles nicht tun.

STANDARD: Warum sind Sie dann in Irland so vehement für die Ehe für alle eingetreten?

O'Neill: Aus Gleichstellungsgründen. Wenn Lesben und Schwule heiraten wollen, so sollen sie das tun dürfen. Und die meisten wollen es tun, denn die meisten Homosexuellen sind langweilig und anpassungsbereit wie die anderen auch.

STANDARD: Sie sehen die Ehe für alle also nicht nur als Ausdruck gesellschaftlichen Fortschritts?

O'Neill: Nein, denn die Ehe für alle stärkt den Konformismus. Ich finde es bemerkenswert, dass konservative Gruppen so sehr gegen sie eintreten, denn sie ist im Grunde ein sehr konservatives Projekt. Junge Lesben und Schwule in Irland können sich heutzutage von ihren Müttern und Großeltern dasselbe wie ihre heterosexuellen Altersgenossen anhören: "Wann stellst du uns endlich jemanden vor?" Wenn hingegen die Tochter in eine Lesbenkommune zieht, ist das ein Skandal.

STANDARD: Sie selbst wurden über die Grenzen Irlands hinaus ebenfalls durch einen Skandal bekannt. In einer TV-Livetalkshow des öffentlich-rechtlichen Senders RTÉ im Jahr 2014 bezeichneten Sie acht rechtsstehende irische Journalisten namentlich als homophob. Warum taten Sie das?

O'Neill: Mein Anwalt würde sagen, dass ich das gar nicht getan habe. Es war der Moderator, der mich fragte: "Über wenn sprechen Sie denn da? Nennen Sie Namen." Tatsache ist, dass diese Journalisten es als ihren Auftrag betrachten, gegen die Gleichstellung Homosexueller aufzutreten und entsprechende Kampagnen zu fahren. So, als käme eine Gleichstellung dem Ende der Zivilisation gleich.

STANDARD: Wenn diese Leute offen homosexuellenfeindlich auftreten: Was empört sie dann an der Bezeichnung homophob?

O‘Neill: In Irland ist es inzwischen höchst unpopulär, Lesben und Schwule derart anzufeinden. Damit macht man sich keine Freunde mehr.

STANDARD: Die Affäre hat zum Erfolg der Legalisierungsbefürworter beim Referendum 2015 beigetragen. Wie kam das?

O'Neill: Zuerst haben die Journalisten mir und dem Sender mit Klagen gedroht. Dann hat sich der Sender bei den Journalisten entschuldigt und die Passage mit der Namensnennung aus allen Aufzeichnungen herausgeschnitten. Um die Klagen zu verhindern, zahlte er den Genannten je 45.000 Euro Entschädigung – aus Steuergeldern. Das jedoch erzürnte viele Iren und Irinnen – zumal diese Journalisten wenig populär sind. Sie stehen für Einstellungen von früher. So kam es zu einer überfälligen, tief gehenden öffentlichen Debatte.

STANDARD: Homosexualität war in Irland lange ein Tabu, gleichgeschlechtlicher Sex bis 1993 strafbar. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

O'Neill: Zwar wurde, als ich in den 1980er-Jahren in Dublin Kunst studierte, das Verbot nicht mehr exekutiert. Aber es führte dazu, dass es keine Schwulen- und Lesbenszene gab. Man traf sich in Untergeschoßen und Kellern und schwieg sich in der Öffentlichkeit aus. Es war schlimm – aber für mich auch aufregend.

STANDARD: Sie schufen damals die Dragqueen Pandora Panti Bliss. Was brachte sie dazu?

O'Neill: Mitte der 1980er-Jahre lernte ich den australischen Künstler Leigh Bowery kennen (einflussreicher Schöpfer bizarrer Outfits, sogenannter "Looks", und exhibitionistischer, die Geschlechtsidentität auflösender Performances. Bowery arbeitete unter anderem für David Bowie, Boy George und The Fall, Anm.). Von ihm inspiriert gestaltete ich eine Dragshow, zuerst nur für das College. Ein Kunstagent sah und engagierte mich. Ich trat in Nachtclubs auf, in den 1990ern gemeinsam mit einen US-Amerikaner in Japan. Dann kehrte ich nach Irland zurück.

STANDARD: Das dortige Verfassungsreferendum war 2015 erfolgreich, aber 37,93 Prozent stimmten gegen die Ehe für alle. Sichert ein solches Ergebnis die Ehe wirklich ab?

O'Neill: Das Referendum war risikoreich, ich würde das in keinem anderen Land empfehlen. Aber das eindeutige Votum des Volkes minimiert nun die Wahrscheinlichkeit einer Wiederabschaffung. In Österreich und vielen anderen Staaten wurde die Homosexuellengleichstellung durch parlamentarische Mehrheiten oder ein Höchstgericht sozusagen gegeben. Sie kann auch wieder genommen werden.

STANDARD: Tatsächlich existieren weltweit starke Gegenbewegungen. Wie wird es in Sachen Homosexuellenrechte weitergehen?

O'Neill: Ich bin da nicht unbedingt pessimistisch. Ich denke, dass das Internet weltweit authentische Bilder von Homosexuellen transportiert, das ist einer seiner Vorteile. Diese Bilder sickern langsam ein, auch in repressiven Gesellschaften, und eröffnen Chancen auf Gleichstellung. (Irene Brickner, 20.12.2018)