Kampagne für ein neues Votum: Der Apostroph ist schon via Luftballon entflogen.

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Hat Großbritannien den Zeitpunkt für eine Entscheidung schon verpasst? Je näher das Datum rückt, an dem sich die zersplitterten Brexit-Fraktionen im Unterhaus auf einen Kompromiss einigen müssten, um nachhaltigen Schaden von ihrem Land abzuhalten, desto ferner scheint eine Einigung. Viele Brücken sind verbrannt, viele Ansichten haben sich in mehr als zwei Jahren nach dem Brexit-Votum zu Überzeugungen verfestigt.

Dazu kommt, dass der Brexit für die beiden großen Parteien zu einem Nullsummenspiel im Griff nach der Macht geworden ist: Wer nachgibt, droht für die nächsten Jahre in der demokratischen Versenkung zu verschwinden, glauben Premierministerin Theresa May, ihre innerparteilichen Kritiker und die proeuropäischen Teile der Opposition unisono – das erschwert nicht nur einen Kompromiss, sondern auch den Weg dorthin.

Weil der parlamentarische Weg also verbarrikadiert ist und bis zum Stichtag am 29. März 2019 nicht ausreichend räumbar erscheint, will eine Gemeinschaft prominenter Briten nun Auswege finden. Die Gruppe, deren Mitglieder vom Schriftsteller Ian McEwan bis zum früheren anglikanischen Erzbischof Rowan Williams reichen, plädiert für eine sogenannte Bürgerversammlung von bis zu 500 repräsentativ ausgewählten Wahlberechtigten. Sie soll – unterstützt von Experten und professionellen Vermittlern – im Gespräch miteinander neue Vorschläge entwickeln. Ähnliche Foren gab es beispielsweise in Irland vor der jüngsten Volksabstimmung über eine Reform des Abtreibungsrechts (siehe Wissen unten).

Auswege aus der Blockade

"Ohne eine neue Initiative würde die vergiftete Atmosphäre, die unser öffentliches Leben erfasst hat, der Demokratie und unserer Zukunft unwiderruflichen Schaden zufügen", schreiben die Initiatoren in der Zeitung The Guardian. Freilich gibt es auch große Unterschiede zum erfolgreichen Experiment in Irland: Die dortige Bürgerversammlung hatte fast ein Jahr Zeit, um zu einem Ergebnis zu kommen. Zudem war sie der seit 2012 bereits zweite Anlauf für ein solches Gremium. Die Briten hätten viel weniger Zeit und nur einen Versuch.

Ob sich Regierung und Opposition darauf einlassen würden, ist ebenfalls fraglich – nicht zuletzt wegen der eigenen Machtinteressen. So geistern weiter auch andere Ideen durch das politische London. Neben einem zweiten Referendum wird auch über eine Abstimmungsserie im Unterhaus nachgedacht. Die Abgeordneten sollen nacheinander darüber befinden, welche Lösung – das aktuelle Abkommen mit der EU, eine Lösung wie sie etwa Norwegen hat, ein Brexit ohne Deal oder ein neues Referendum – die meiste Unterstützung hat. Danach solle die Regierung darüber mit Brüssel verhandeln, so die Idee.

Vorbereitungen für No-Deal-Szenario

Weil all diese Bemühungen bisher aber ins Leere gehen, laufen nun auch in London Vorbereitungen, um die schlimmsten Folgen eines Brexits ohne Deal im Notfall abzufedern. May, die sich noch am Wochenende geweigert hatte, über einen solchen Plan B zu sprechen, ließ genau dieses Vorhaben in einer Kabinettssitzung von den Ministern in die Wege leiten.

Bald steht May dann vor einer weiteren Kraftprobe im Unterhaus: Oppositionsführer Jeremy Corbyn hat am Montag einen Misstrauensantrag eingebracht – allerdings nicht gegen die Regierung, sondern gegen May. Eine solche Abstimmung kann sie nicht stürzen, sondern nur bloßstellen. Das Risiko eines Votums über das Kabinett will Corbyn hingegen nicht eingehen, da eine Niederlage wahrscheinlich wäre. Er bräuchte neben Stimmen der eigenen Partei auch einige der Tories. Dort sind viele Hardliner zwar gegen May – Neuwahlen, die der Opposition helfen, wollen sie aber nicht. (Sebastian Borger aus London, Manuel Escher, Noura Maan, 19.12.2018)