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in Dortmund steht nicht nur der größte Weihnachtsbaum Deutschlands, sondern dort werden auch im großen Maßstab Weihnachtslieder gesungen.

Foto: AP Photo/Martin Meissner

Wesentliche zivilisatorische Errungenschaften beruhen gewöhnlich auf folgender Ausgangssituation: Größere gesellschaftliche Gruppen sind mit einer Situation unzufrieden und suchen nach einem Ausweg beziehungsweise nach einer besseren Lösung. Das führte in der Vergangenheit etwa zum Pfandflaschensystem, dem Sicherheitsgurt, erneuerbarer Energie, höflichen Umgangsformen, Sozial- und Krankenversicherung oder einer Form von gegenseitigem Respekt, die nichts mit repressiver Toleranz zu tun hat. So weit, so gut.

Thomas Krause

Leider verhält es sich so, dass es uns allen deswegen mit der Zeit viel zu gut geht, weil es uns zu gut geht. Das kann nicht gutgehen. Irgendein Bitzler wird also daherkommen und das Ganze madig machen. Künstlich Angst erzeugen zählt in diesem Geschäft zum grundlegenden Handwerk. Wenn einer schimpft und zwei zuhören, hat man schon fast eine Opposition in Kompaniegröße. Immer dem nach, der am lautesten plärrt. Blöd nur, dass diese Gruppe nicht an einem Strang zieht, sondern ausschließlich individuelle Einzelinteressen nach dem Prinzip "Nach mir die Sintflut" verfolgt.

Industriesirup fürs Lebensgefühl

Hierzulande bügelt sich die Menschheit gerade auf Weihnachtsmärkten mit auf zähflüssigem Industriesirup basierendem Punsch und Glühwein nieder, damit sie sich zumindest kurz nicht spürt und noch mehr miese Laune und ein Lebensgefühl verbreitet, dass die rote Ampelphase negiert. Im Gegensatz dazu ist man in Deutschland einen Schritt weiter. Da der gesellschaftliche Zusammenhalt immer mehr zu zerbröseln droht, entdeckt man gerade eine sehr sinnvolle, schöne und vor allem friedliche und gemeinschaftsbildende Tätigkeit wieder.

Das Chorsingen als alte verbindende Kulturtechnik ist zurück. Nicht nur in Wirtshäusern und Einkaufszentren wird von Hundertschaften harmoniebedürftiger Menschen das gemeinsame Abfeiern von Weihnachtsliedern wiederentdeckt. Am Wochenende konnte deswegen in Dortmund das Fußballstadion mit 50.000 begeisterten Hobbysängern ausverkauft werden. Sie sangen einschlägige Klassiker wie Lasst uns froh und munter sein oder Let It Snow. Darauf die Dortmunder Vereinshymne: Leuchte auf, mein Stern Borussia! (Christian Schachinger, 19.12.2018)