Seit vor 80 Jahren Alexander Fleming das Penicillin (wieder-)entdeckte, haben Mediziner in Form von Antibiotika potente Waffen gegen bakterielle Infektionen in der Hand. Der vielfache Einsatz dieser Wirkstoffe hat mittlerweile jedoch dazu geführt, dass Bakterien zunehmend unempfindlich werden: Gegen die immer häufiger auftauchenden multiresistenten Keime haben gängige Antibiotika zunehmend ihre Wirkung verloren bzw. Mechanismen entwickelt, die sie vor schädlichen Substanzen schützen.

Auch das ursprünglich recht wirksame Albicidin ist nicht mehr so effizient wie es einmal war: Gefährliche gramnegative Bakterien besitzen ein Protein, das das Albicidin bindet und so inaktiviert. Diesen Resistenzmechanismus haben jetzt deutsche Wissenschafter mit atomarer Auflösung untersucht. Dabei fanden sie heraus, dass das Protein den Wirkstoff nicht nur bindet, sondern ihn auch chemisch verändert. Gleichzeitig kurbelt es seine eigene Produktion an, sodass Albicidin noch effizienter unschädlich gemacht wird.

Trickreiche Klebsiella-Bakterien

Krankheitserregende Bakterien haben verschiedene Mechanismen entwickelt, um sich gegen Antibiotika zu schützen. Manche scheiden die für sie giftigen Substanzen einfach aus, andere verändern ihre Zellwand, sodass Antibiotika gar nicht erst in sie eindringen können. Einige Keime verändern die von Antibiotika angegriffene Zielstruktur – oder einfach direkt das Antibiotikum. Einen weiteren Trick wenden zum Beispiel Bakterien der Gattung Klebsiella an: Sie besitzen ein Eiweißmolekül mit der Bezeichnung AlbA, das an das Antibiotikum Albicidin bindet und die Erreger so vor dessen Wirkung schützt. Den zugrundeliegenden Abwehrmechanismus haben Forscher des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI), des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) untersucht.

Der Keim Klebsiella pneumoniae ist einer der häufigsten Erreger von bakterieller Sepsis und im Krankenhaus erworbenen Lungenentzündungen, kann aber zum Beispiel auch Harnwegsinfekte auslösen. Klebsiellen gehören zu den schwer behandelbaren gramnegativen Bakterien und bilden häufig gegen mehrere Antibiotika Resistenzen aus. Wissenschafter des HZI haben gegen gramnegative Keime bereits eine neue, gut wirksame Wirkstoffklasse entdeckt: die Cystobactamide. "Diese Stoffklasse ist dem Albicidin ähnlich, gegen das viele Klebsiella-Stämme bereits eine Resistenz zeigen", sagt Jesko Köhnke vom HIPS. "Wir wollten wissen, ob das Protein AlbA auch gegen Cystobactamide wirksam ist, und haben dazu den Mechanismus der Albicidinresistenz auf molekularer Ebene analysiert."

Aus Taschen wurden Tunnel

Zunächst wurde die dreidimensionale Struktur des Proteins AlbA mit dem gebundenen Albicidin mittels Röntgenstrukturanalyse entschlüsselt. Dabei fiel den Wissenschaftern auf, dass aus einer kleinen Bindetasche für das Antibiotikum im Laufe der Evolution ein langer Tunnel geworden ist, in dem das Albicidin passgenau Platz findet. Die Strukturanalyse lieferte zudem noch ein weiteres erstaunliches Ergebnis: Das gebundene Albicidin war chemisch verändert. "Ursprünglich gingen wir davon aus, dass AlbA das Albicidin einfach nur aufnimmt – wie ein Schwamm das Wasser – und es so vorübergehend beseitigt. Doch nun haben wir herausgefunden, dass es das Albicidin sogar verändert", sagt Köhnke. Weitere Experimente haben gezeigt, dass das veränderte Albicidin eine schwächere Aktivität aufweist, also weniger schädlich für die Bakterien ist.

Die Wissenschafter entdeckten, dass AlbA neben der Bindestelle für das Antibiotikum auch eine für DNA besitzt. Mit diesem Abschnitt kann es an das Erbmaterial der Bakterienzelle binden – und zwar genau dort, wo die Produktion von AlbA gesteuert wird. In Laborexperimenten mit Klebsiella pneumoniae konnte das Team um Köhnke nachweisen, dass bei der Gabe von Albicidin das Gen mit dem Bauplan für AlbA nach vier Stunden 3000-mal häufiger abgelesen wurde als ohne Antibiotikum. "Der Mechanismus der Klebsiellen gegen Albicidin ist äußerst effektiv: Kommen sie damit in Berührung, fangen sie erste Wirkstoffmoleküle mit ihrem Protein AlbA ein. Gleichzeitig produzieren sie immer mehr AlbA. Wir konnten aber auch zeigen, dass diese Mechanismen für eine Resistenz noch nicht ausreichen, was wir jetzt genauer untersuchen wollen", sagt Köhnke.

Vergleichende Experimente haben gezeigt, dass der verwandte Wirkstoff Cystobactamid deutlich schwächer von AlbA gebunden wird. Zudem kurbelt er auch nicht die Produktion von AlbA an, sodass Klebsiellen mit diesem Mechanismus bislang keine Resistenz gegen Cystobactamid erreichen können. "Trotzdem sind die Bakterien gegen Cystobactamid resistent. Daher möchten wir die Mechanismen so genau wie möglich aufklären, um dann Wirkstoffe entwickeln zu können, die die Resistenzen umgehen", sagt Köhnke. (red, 19.12.2018)