Unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen startete am Mittwochmorgen der Prozess gegen den 16-jährigen Robert K. Der Teenager bekannte sich schuldig, im Mai eine siebenjährige Nachbarin getötet zu haben. Dies hätten Stimmen in seinem Kopf befohlen.

Foto: APA/Helmut Fohringer

Der Grund für die hohen Sicherheitsvorkehrungen ist eine befürchtete Rache der Familie der Siebenjährigen. Unmittelbar nach dem Verbrechen hatten Angehörige und Personen aus dem Umfeld der betroffenen tschetschenischen Familie Blutrache geschworen.

Foto: APA/Helmut Fohringer

Wien – "Ich mochte sie. Sie war nett", sagt Robert K., 16 Jahre alt, über das siebenjährige Nachbarsmädchen, das er am 11. Mai in einem Gemeindebau in Wien-Döbling getötet haben soll. Beziehungsweise hat, denn er bekennt sich vor dem Geschworenengericht unter Vorsitz von Daniel Rechenmacher schuldig. Die entscheidende Frage des Verfahrens ist, warum er das Kind zunächst gewürgt und schließlich in der Dusche mit einem Messer umgebracht hat: War er schon damals psychisch schwer krank und zurechnungsunfähig, wie seine Verteidigerin Liane Hirschbrich argumentiert? Oder wusste er genau, was er tat, wie Sachverständige sagen, ist aber weiter gefährlich?

Der schlaksige Teenager mit dicker Brille trägt eine Stichschutzweste, als er von den Justizwachebeamten auf den Anklagestuhl gesetzt wird. Die Beamten selbst sind mit noch dickeren schusssicheren Westen ausgestattet, daneben befinden sich auch Polizisten von der Wega und Verfassungsschützer im Saal. Die Befürchtung: ein Anschlag auf den jungen Angeklagten, da Verwandte und Bekannte der Familie des Opfers mit Blutrache gedroht haben.

Publikum bleibt ruhig

Tatsächlich bleibt es im Publikum aber ruhig, als der im Alter von drei Jahren mit den Eltern aus Tschetschenien nach Österreich gekommene K. über die Tat berichtet. "Sie hat mit meinem kleinen Bruder bei uns Playstation gespielt. Er ist dann in den Hof gegangen, sie wollte ein Eis. Als sie es gegessen hatte, ist sie zu mir zur Couch gekommen. Die Stimme in meinem Kopf hat mir dann gesagt, dass ich sie würgen soll", schildert er.

"Ich habe dann aber aufgehört und sie in die Duschkabine getragen." – "Warum in die Dusche?", fragt der Vorsitzende nach. "Weil die Stimme es gesagt hat." Nach dem Mord habe ein Freund angeläutet, dem er sagte, dass eine Leiche im Badezimmer liege. Der sei schockiert gewesen und wieder gegangen. Also reinigte K. Leiche und Tatort, packte den toten Körper in Müllsäcke und deponierte ihn in einem Müllcontainer im Hof. Danach ging er mit seinem Freund in ein Fastfood-Restaurant.

Die Stimmen, es seien mehrere, höre er schon seit Jahren, behauptet der Angeklagte. "Sie hat auch schon einmal verlangt, dass ich mich selbst verletze. Und meinen Vater. Vor einigen Jahren bin ich schon mit einem Messer vor seinem Bett gestanden." Einer Freundin hat er in einer Whatsapp-Nachricht auch von den Stimmen erzählt, bei seinen Einvernahmen bei der Polizei, durch Staatsanwälte und Richter und anfänglich auch bei Sachverständigen erwähnte er sie aber nicht.

Mehrere Erklärungen für Verschweigen der Stimmen

"Ich wollte nicht darüber reden", sagt er dazu. "Warum nicht?", will Rechenmacher wissen. "Weil es mir peinlich war." Kurz darauf ändert er die Begründung: "Ich durfte nichts sagen. Von den Stimmen aus. Ich durfte niemandem vertrauen." Er habe auch eine imaginäre Freundin gehabt und manchmal Gestalten gesehen, die gar nicht existierten. "Eigentlich ist es mir mit den Stimmen gut gegangen, sie haben mir immer gesagt, was ich tun soll."

Die psychologische Sachverständige Dorothea Stella-Kaiser führt aus, dass K. "hohe Auffälligkeiten" bei Persönlichkeitstests aufwies, die auf narzisstische und Zwangsstörungen schließen ließen. Allerdings gab er ihr eine dritte Begründung, warum er die Stimmen zunächst geleugnet hatte: Er habe Angst, in der psychiatrischen Abteilung "niedergespritzt" zu werden.

Vor der Mittagspause kommt dann der erste psychiatrische Sachverständige, Peter Hofmann, zu Wort. Er kommt zu dem Schluss, dass möglicherweise die Haft mittlerweile eine Schizophrenie bei K. zum Ausbruch gebracht hat, er zum Tatzeitpunkt aber zurechnungsfähig gewesen sei.

Verständnis für Selbstjustiz

Hofmann schildert, wie K. bei den ersten Gesprächen gesagt habe, er sei "ein normaler junger Mensch". Die Nachricht, dass möglicherweise ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt sei, habe bei ihm Stress verursacht. "Ja, aber um mich wäre es eigentlich schade", habe der Jugendliche dazu gesagt, andererseits habe er Verständnis für Selbstjustiz gezeigt. Als Motiv für den Mord hatte K. zunächst gesagt, er habe wissen wollen, wie es ist, jemanden zu töten.

K. habe auch dezidiert gesagt, dass er seit Jahren keine imaginären Menschen mehr sieht, erst beim dritten Treffen habe er erstmals von einem Kopf unter dem Besprechungstisch und Händen, die aus der Wand kommen, berichtet. Staatsanwältin Monika Gansterer macht Hofmann dann auf einen Widerspruch aufmerksam: Beim zweiten psychiatrischen Sachverständigen, Werner Gerstl, hatte K. noch erzählt, er sei mit einem Messer vor der schlafenden Mutter gestanden, nicht dem Vater. "Das kann damit zusammenhängen, dass man nicht mehr weiß, was man wem erzählt hat", will Hofmann nicht ausschließen, dass K. erst jetzt, unter dem Einfluss der ausgebrochenen Schizophrenie, die Vergangenheit verklärt.

Insgesamt sei bei K. eine narzisstisch-schizoide Persönlichkeitsstörung vorhanden gewesen, die ihn gefährlich macht, dennoch habe er gewusst, was er tut. "Es gibt auch böse Taten, für die man keine Schizophrenie haben muss."

Verteidigerin contra Sachverständige

Eine gute halbe Stunde lang versucht Verteidigerin Hirschbrich dann, wie zuvor bei Stella-Kaiser, die Glaubwürdigkeit Hofmanns vor den Geschworenen zu untergraben. Da sie dafür aber teilweise dieselbe Fragestellung dreimal nur leicht verändert wiederholt, führt das bereits zu Amüsement bei den Laienrichtern. Herausarbeiten kann sie schließlich, dass weder Stella-Kaiser noch Hofmann auf Kinder- und Jugendpsychiatrie spezialisiert sind, juvenile Schizophrenie aber generell extrem selten sei: Während ein Prozent der Gesamtbevölkerung daran erkrankt, sind es bei Kindern und Jugendlichen nur 0,04 Prozent.

Nach der Mittagspause tritt der zweite psychiatrische Sachverständige, der Linzer Kinder- und Jugendpsychiater Werner Gerstl, auf. Er hat K. fünf Monate nach Hoffmann begutachtet und kommt zu einem anderen Schluss: Der Teenager habe die Tat unter dem Einfluss seiner schon damals vorhandenen Schizophrenie begangen.

Er stützt sich vor allem auch auf Chats, die K. mit einer Freundin geführt hat. Schon im Dezember formuliert er da erstmals Mordfantasien: Er wollte eine Mitschülerin, bei der er abgeblitzt war, umbringen. Tatsächlich sei er mit dem Mädchen in der Nacht auch einmal spazieren gewesen, setzte seinen Plan dann aber nicht in die Tat um.

Kleines Mädchen mit roten Augen

K. schildert aber auch Figuren, vor denen er Angst hat – darunter ein kleines Mädchen mit blassem Gesicht, roten Augen und zerfetzten Kleidern. Gerstl gegenüber gab der Angeklagte in einem Gespräch auch an, die Augen der Siebenjährigen hätten sich verändert, als sie vor ihm auf der Couch stand.

Insgesamt ist die Expertise Gerstls aber etwas unentschlossen, wie sich bei Nachfragen von Rechenmacher und den Beisitzern Andreas Hautz und Alexandra Skrdla zeigt. Definitiv festlegen, ob bei K. am 11. Mai schon das Vollbild der Schizophrenie vorlag, will er sich doch nicht; er sieht nur eine große Wahrscheinlichkeit. Er sei sich auch sicher, das K. die Stimmen teilweise simuliere, Gerstl kann aber nicht schlüssig erklären, wie er simulierte und echte Stimmen dann unterscheidet. Außerdem muss er zugeben, dass die Krankheit sich zwischen den Befunden von Hoffmann und ihm deutlich verschlechtert hat – und der Jugendliche sich die Stimmen in der Vergangenheit ex post einbildet. Im Endeffekt sei es einfach die Frage, ob man K. glaube oder nicht.

Obergutachten wird von Berufsrichtern abgelehnt

Sowohl Anklägerin als auch Verteidigerin wollen das Dilemma der sich widersprechenden Einschätzungen durch die Bestellung eines Obergutachters lösen. Ein dritter Psychiater solle K. nochmals befunden und die Einschätzungen seiner beiden Vorgänger in sein Gutachten einfließen lassen. Etwas überraschend lehnen die drei Berufsrichter diesen Antrag aber ab. Rechenmacher begründet, dass laut Rechtslage einander widerstreitende Einschätzungen von Experten eine derartige Expertise nicht begründen.

Die Geschworenen sehen den Angeklagten für schuldfähig an und verurteilen ihn – nicht rechtskräftig – wegen Mordes zu 13 Jahren Haft. (Michael Möseneder, 19.12.2018)