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Das hätte sich Steve Ballmer nicht erträumen lassen: Dass bei seinem Microsoft Linux einmal so eine wichtige Rolle einnehmen wird.

Foto: LUCY NICHOLSON / REUTERS

Die Verwandlung, die Microsoft in den vergangenen Jahren hingelegt hat, ist wahrlich beeindruckend. Vom Linux-Hasser ist das Unternehmen zu einem der weltweit aktivsten Entwickler von Open-Source-Software geworden. Längst vergessen sind die Zeiten, in denen der damalige Microsoft-Boss Steve Ballmer das freie Betriebssystem wahlweise als "Krebsgeschwür" oder "kommunistisch" abkanzelte. Spätestens unter der Leitung von Satya Nadella hat das Unternehmen die Vorzüge freier Software zu schätzen gelernt.

Kommt das Microsoft Linux?

Ein Umstand, der zu durchaus interessanten Gedankenexperimenten anregt. Könnte Microsoft künftig selbst zum Desktop-Linux-Anbieter werden? Eine Frage, die zunächst absurd klingen mag, die aber durchaus eine gewisse Berechtigung hat, wenn man sich die Entwicklungen der vergangenen Jahre ansieht.

Da wäre einmal der Umstand, dass Windows in der Microsoft-Strategie eine immer weniger wichtige Rolle einnimmt. Das aktuelle Wachstum des Unternehmens nährt sich vor allem aus der Service-Sparte (Office 365) sowie dem Cloud-Angebot Azure. Beides Bereiche für die Windows keine zwingende Notwendigkeit darstellt. Ob die Office-Anwendungen am Windows-Desktop oder unter Android und iOS eingesetzt werden, kann Microsoft herzlich egal sein. Und in der Cloud laufen selbst bei Azure mittlerweile mehrheitlich Linux-Systeme.

Verlust des Geschäftsmodells

Dazu kommt, dass der Preis, den man von Privatkunden für ein Betriebssystem verlangen kann, mittlerweile gegen null tendiert. Dafür haben Konkurrenten wie Google oder Apple gesorgt, wo man sich die Entwicklungskosten auf anderen Wegen zurückholt. Das weiß natürlich auch Microsoft, und so gab es schon die Updates auf Windows 10 weitgehend kostenlos. Der Umstand, dass das Unternehmen überhaupt noch versucht neue Monetarisierungswege – etwa über Werbung – zu finden, spricht eher für interne Eitelkeiten denn für eine ernsthafte Strategie. Denn in dem Moment, wo das Betriebssystem selbst immer unwichtiger wird, betreibt man mit solchen Maßnahmen maximal Nutzervertreibung – und beschleunigt ohnehin schon bestehende Trends.

Business bleibt

Um hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Das Geschäft mit Windows-Lizenzen wird noch auf viele Jahre hinaus ein äußerst einträgliches für Microsoft bleiben. Zu fest ist die Software in Betrieben und öffentlichen Verwaltungen verankert. Dem steht aber eben auch die Realität gegenüber, dass das Betriebssystem für sämtliche Zukunftsbereiche des Unternehmens keine unerlässliche Rolle mehr spielt – und das war in der Vergangenheit definitiv anders.

Linux, wo man hinsieht

Wer sehen will, wohin die Reise bei Microsoft geht, sollte einen Blick in die derzeit am stärksten wachsende Sparte des Unternehmens werfen: Die Cloud. Dort hat sich Microsoft nämlich längst den Realitäten der Branche angepasst. Anstatt die Linux-Dominanz sinnlos zu bekämpfen, akzeptiert man diese und unterstützt das Betriebssystem offensiv. Doch nicht nur das: Mit Azure Sphere hat das Unternehmen im Frühjahr erstmals ein eigenes Betriebssystem auf Linux-Basis veröffentlicht. Es ist nicht sonderlich schwer, sich hier den Nukleus für weitere Entwicklungen in diese Richtung vorzustellen.

Ein nächster logischer Schritt könnte eine eigene Microsoft-Linux-Distribution für den Server-Bereich sein. Immerhin hat das freie Betriebssystem auch hier über die Jahre immer stärkere Verbreitung gefunden und wird dabei gerade als Basis für Cloud-Dienste immer mehr zum Standard. Ein Desktop-Linux dürfte in der Prioritätenliste von Microsoft hingegen nicht gerade an oberster Stelle zu finden sein. Zu gering die Relevanz des freien Betriebssystems derzeit in diesem Bereich.

Foto: sum

Freilich könnte der Einstieg in diesem Bereich auch ein Nebeneffekt anderer Aktivitäten sein. Je wichtiger Linux für das Geschäft von Microsoft wird, desto größer wird auch die Chance, dass man sich einen prominenten Hersteller in diesem Bereich kauft. Nachdem Red Hat gerade an IBM gewandert ist, würden sich Canonical (Ubuntu) oder auch SUSE anbieten – und beide sind auch am Desktop umtriebig.

Dazu passt auch, dass Microsoft gerade erst sein Linux-Engagement weiter ausbaut. Mit der zweiten Version des Windows Subsystems for Linux wird künftig Windows 10 mit einem vollständigen Linux-Kernel ausgeliefert. Und zwar einem, den Microsoft selbst für die eigenen Bedürfnisse anpasst. Das heißt auch, dass der Bedarf für Know-How in diesem Bereich bei Microsoft immer stärker wächst.

Immer mehr Open Source

Doch selbst wenn es nicht zum Desktop-Linux aus Redmond kommt: Klar ist, dass Open Source eine entscheidende Rolle in der Zukunft von Microsoft spielen wird. Das zeigte gerade das Jahr 2019 eindrücklich: Hat doch Microsoft im Vorjahr mit Github die wichtigste Open-Source-Entwicklungsplattform der Welt übernommen. Und auch am Desktop soll freie Software bei Microsoft schon bald eine zentrale Rolle einnehmen: Der Browser Edge wechselt gerade auf die Basis des freien Chromium-Projekts.

Gerade letzteres macht klar: Microsoft wird in Zukunft Open Source überall dort nutzen, wo es strategisch – und kommerziell – Sinn ergibt. Dies hat man zwischenzeitlich von Google gelernt, das dieses Modell seit Jahren mit großem Erfolg praktiziert. Die freie Software dient dabei als Vehikel, um darauf aufsetzende, proprietäre Dienste zu befördern, die dann das Geld in die Unternehmenskasse spülen. Aus dieser Perspektive ist es geradezu irrational Plattformen nicht als Open Source freizugeben. Denn wo es rein finanziell nichts zu holen gibt, überwiegt der Vorteil der Kooperation mit anderen schnell gegenüber dem wohligen Gefühl ein eigenes Betriebssystem zu betreiben. Insofern ist es übrigens auch durchaus denkbar, dass Microsoft nach und nach Bestandteile von Windows zu Open Source macht – falls man den über die Jahrzehnte gewachsenen Quellcode je in einen präsentablen Zustand bringt.

Linux gewinnt

Vereinfacht gesagt könnte man sagen: Es ist eine Linux-Welt, und Microsoft lebt nur mehr darin. Doch was vor einigen Jahren noch wie ein akute Bedrohung für den Windows-Hersteller geklungen hätte, ist mittlerweile zu einer Realität geworden, mit der das Unternehmen sehr gut leben kann. (Andreas Proschofsky, 12.5.2019)