Theresa May dürfte Mitte Jänner erneut über den von ihr ausgehandelten Vertrag abstimmen lassen.

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Frau May hat das innerparteiliche Misstrauensverfahren überstanden. In den Medien wird dieses Ereignis als schräges Verhalten einer Partei gegenüber ihrer Vorsitzenden dargestellt. Die militant austrittswilligen Mitglieder der Konservativen seien schräge Vögel, die die großartigen Segnungen der Mitgliedschaft in der EU nicht erkennen wollen. Überhaupt sei der Austritt nur durch irreführende Kampagnen von Glücksrittern mit falschen Versprechen möglich geworden.

Einfach geschnitzte Erkenntnisse, gepfeffert mit den Argumenten der Propagandamaschinerie aus Brüssel. Das Problem ist wohl ein grundlegenderes. In Wirklichkeit steht anderes auf dem Prüfstand, nämlich die Frage, wie die EU mit der ohnehin stark reduzierten Souveränität ihrer Mitgliedstaaten umgeht. Den Briten ist der Anspruch aus Brüssel zu viel geworden, und das nicht zu Unrecht.

Dublin II wurde in einem britischen Fall durch den EuGH einfach ausgehebelt. Bei der Sanierung der zyprischen Banken haben Schäuble und Asmussen britische Pensionisten als Crash-Test-Dummies für ihren Erstversuch eines Bail-in-Konzepts, eines Systems, in dem die Sparer zur Sanierung herangezogen werden, für Banken benützt. Eine Maßnahme, die damals im Widerspruch zur Rechtslage der EU stand. Diese und viele andere Ereignisse waren ausschlaggebend, dass sich in UK die Überzeugung durchsetzte, in dem Club bleiben wir nicht.

Kommission, Parlament und der EuGH haben sich wenig vorteilhaft entwickelt, verfolgen Unternehmer, dehnen Gesetze, und der Gerichtshof verweigert überhaupt die Anwendung der Grundrechte in bestimmten Bereichen des Steuerrechts. Das wollen die Propagandisten der Idee nicht sehen. Hinzu kommt, dass der Binnenmarkt zum Völkerrechtssubjekt erklärt wurde, dessen Integrität unverletzlicher sein soll als jene eines Mitgliedstaates.

Nordirland-Erpressung

Wie der Trennungsprozess durch die Kommission und Rat vollzogen wurde, war ein Akt der Repression und hatte gar nichts mit "europäischen Werten" zu tun. Man hat die Briten einfach mit dem Nordirland-Problem erpresst, nicht mehr und nicht weniger. Und die Herren und Damen wussten, was sie taten. Die Grenze zwischen Nordirland und Irland offen zu halten ist angesichts der ohnehin komplexen Abkommen zwingend. Nur damit verbunden hätte es etwas anderes gebraucht als die dumpfe Idee des "backstop". May hatte diese auch geliefert mit dem vereinfachten Zollverfahren, welches keine Grenzkontrollen für den Warenverkehr notwendig gemacht hätte. Was war die Antwort der Kommission? Da würde die Integrität des Binnenmarkts verletzt werden und man könne nicht nur Rosinen picken wollen.

Blöder geht es wirklich nicht. Erstens ist der Binnenmarkt kein Völkerrechtssubjekt, er hat keine Integrität. Zweitens einem Land, das um 110 Milliarden mehr im Jahr den übrigen Mitgliedstaaten an Waren abnimmt, als es selbst dorthin ausführt, und damit mehr als 1,2 Millionen Arbeitsplätze unmittelbar auf dem Kontinent schafft und dessen Konsumenten mehr als 20 Milliarden an Steuern in die Kassen der anderen Staaten spülen, Rosinenpicken vorzuwerfen, müsste sofort alle Kapazitäten an Sachwaltern in der EU auf den Plan rufen.

Hinzu kommt, dass das Vereinigte Königreich der in Europa wichtigste Partner im Bereich der militärischen Sicherheit ist. Ohne den Schutz durch die Royal Army könnte der Rest Europas nicht die dummen Spielchen mit Russland im Zusammenhang mit der Ukraine treiben, die man "Nachbarschaftspolitik" nennt. Die verrosteten Radpanzer der Bundeswehr oder gar die Luftabwehr der Österreicher, die wahrscheinlich nicht einmal einen fiktiven Luftangriff der Liechtensteinischen Landpolizei mit Heißluftballons abwehren könnte, bieten keinen Gegenpol zu potenzieller russischer Aggression.

Die Kommission hat zu hoch gepokert, das House of Commons kann dem vorgelegten Vertrag nie zustimmen, weil mit der unterschiedlichen Behandlung von Nordirland und dem Rest die Integrität des Vereinigten Königreichs gefährdet wird. Im Übrigen wird der Binnenmarktimperialismus auch gegenüber der Schweiz angewandt, um ein Rahmenabkommen zu erzwingen. Nebenbei sei bemerkt, dass die EU in Zypern zwischen dem Norden und dem Süden ausdrücklich einen kontrollfreien Warenverkehr zulässt (VO 866/2004). Man kann es überspitzt so formulieren, Erdogan und Zypern bekommen etwas, was den Briten verwehrt wird.

DU statt EU

Vor diesem Hintergrund sind auch die Wahlen zum Europäischen Parlament von Bedeutung. Ein Deutscher an der Spitze der EVP mit dem Mandat, Kommissionspräsident zu werden, macht diese Partei nicht wählbar, weil Deutschland schon den Generalsekretär stellt und auch Spitzenbeamte, die den Vertrag mit UK versemmelt haben, Deutsche sind. Hinzu kommt noch, dass vielleicht ein Deutscher die Spitze der EZB übernehmen soll. Dann wird aus der EU eine DU. In der bliebe wahrscheinlich nicht einmal Herr Asselborn. (Gottfried Schellmann, 20.12.2018)