1. Silvesterlauf

Es war, wenn wir mal nur vom Laufen reden, ein schönes, gutes und auch hartes Jahr. Und wenn Sie das hier lesen, ist es so gut wie vorbei: Auf Facebook, Strava & Co haben Sie, wenn Sie auf Statistiken stehen, wahrscheinlich längst Ihre Jahreskilometer mit denen Ihrer Freunde verglichen, haben Ihre persönlichen und Jahresbestzeiten durchdekliniert und sind vermutlich auch seit Monaten mit der Planung Ihrer großen und wichtigen Läufe für das kommende Jahr fertig. Gut so – bei mir ist das nicht anders.

Aber viel wichtiger als all diese Zahlenwixerei ist trotzdem eines: den Spaß und die Freude bei dem, was wir, falls Sie nicht nur lesen, sondern sich auch selbst bewegen, tun und lieben, nicht aus den Augen zu verlieren. Laufen kann viel sein. Eine Metapher für vieles, was im Leben tatsächlich wichtig ist zum Beispiel. Oder ein Türöffner. Zu sich selbst und in die Welt. Für mich war die Rennerei heuer genau das: ein wundervolles Werkzeug und eine fantastische Ausrede, viele wunderschöne Orte zu bereisen und zu erleben.

Mein "Best of 2018" ist deshalb kein Ranking, sondern ein Reisetagebuch. Und es beginnt mit einer Liebeserklärung. Unter anderem an die schönste Stadt der Welt: Wien. Der Silvesterlauf war – obwohl noch im alten Jahr – der perfekte Auftakt für alles, was dann kam. Und ganz nebenbei ist es noch nicht zu spät, sich für den diesjährigen Lauf anzumelden.

Foto: thomas rottenberg

2. Amsterdam

Das erste Highlight kam gleich im Jänner: ein Kurztrip in eine meiner absoluten europäischen Lieblingsstädte, Amsterdam. Dass man in der Stadt der Radfahrer auch ganz hervorragend laufen kann, ist nicht weiter überraschend. Allerdings sollte man tunlichst frühmorgens unterwegs sein: Tagsüber kommt man schon gehend oft nicht wirklich weiter. Nicht ohne Grund wird Amsterdam oft als Beispiel für das Schlagwort "Overtourism" herangezogen. Aber: Touristen sind natürlich immer nur die anderen.

Foto: thomas rottenberg

3. Kroatien

Weit weniger überlaufen war dann die nächste Traumlaufdestination: Im April ging es für drei heftige, aber wunderschöne Tage nach Istrien.

Die Valamar-Hotelgruppe hatte ein kleines Rudel an Rad- und Lauffreaks aus Österreich eingeladen, die Region zwischen Porec und Pula auf dem Rennrad und zu Fuß zu erkunden. In der Nebensaison ein absoluter Kurzreisetipp. Entweder einfach so oder um an den "100 Miles of Istria" teilzunehmen – einem der schönsten Trailläufe Europas (und keine Angst: Es gibt auch kürzere Spielarten als die vollen 160k).

Foto: thomas rottenberg

4. Cesenatico

Sollte ich je behauptet haben, dass irgendein Wettkampf oder Event "hart" oder "zaach" sei: Das war eine Lüge. Wirklich hart war in Wirklichkeit nämlich nicht einmal der Ironman-Bewerb in Klagenfurt (zu dem kommen wir noch), sondern der ganze Weg dorthin. Nicht dass ich einen einzigen Tag oder eine einzige Trainingseinheit davon missen möchte. Aber den Stunt, 14 bis 18 Stunden Training pro Woche in den Alltag und ins Privatleben zu packen, muss man einmal hinkriegen. Der Trainingstrip nach Cesenatico, in die Heimat von Marco Pantani, und der Abstecher danach an den Wörthersee waren da noch die einfachste Übung. Weil man da keinen Büroalltag mitdenken muss – und es wunderschön ist, bei so einem Trip zu erleben, wie aus an sich schon ziemlich besten Freunden eine Art Wahlfamilie wird.

Foto: thomas rottenberg

5. Achensee

Ja eh: Dass ich doppelt und dreifach privilegiert bin, weiß ich ohnehin. Einen Beruf zu haben, der selten nach Arbeit schmeckt, ist schon alles andere als selbstverständlich. Dann auch noch für Nebenjobs gebucht zu werden, bei denen man (Tacheles gesprochen) Geld dafür bekommt, an wunderschönen Orten mit gescheiten und sympathischen Menschen vor einem interessierten und intelligenten Publikum lange und (hoffentlich) spannende Gespräche zu führen, ist dann schon mehr, als ein Bonus. Das Ganze dann auch noch mit dem anderen Nebenjob, eben dem Laufen-und-darüber-Geschichten-Erzählen, kombinieren zu können (und auch noch den Lieblingsmenschen dabeizuhaben) ist beinahe schon unanständig grandios. Aber, he, soll ich deshalb absagen, wenn mich die Veranstalter der "Achensee Literatour" einladen? Und: Soll ich dann – noch dazu bei Kaiserwetter – tatsächlich NICHT über die Rennerei in einer der schönsten Berglandschaften Österreichs erzählen?

Foto: thomas rottenberg

6. Flandern

Mitte Juni war dann eine ganz andere Baustelle zu bespielen: Im Auftrag eines Reisefachmagazins nahm ich an einer Reise nach Flandern teil. Mechelen und Antwerpen standen auf dem Spielplan. Genauer: die Renaissance-Schönheiten der beiden Städte, ihr reiches kulturelles und architektonisches Erbe und die historisch-kulturellen Verbindungen nach Österreich – schließlich gibt es im Wiener Kunsthistorischen Museum neben dem aktuellen Bruegel-Trubel auch noch anderes zu bewundern. Und die Alten Meister laden ein, sich Mechelen und Antwerpen einmal genauer und vor Ort anzusehen.

Foto: thomas rottenberg

7. Klagenfurt

War da noch was? Na klar: Anfang Juli war dann der Ironman Austria. Klagenfurt. Der Klassiker – aber meine erste Triathlon-Volldistanz. Die "Reise" dort (3,8 Kilometer Schwimmen, 180 am Rad und dann noch ein Marathon drangehängt) ist an sich schon heftig: Ich treffe – in der Welt der Nichtausdauerspinner – immer wieder Leute, die nicht glauben wollen, dass das en bloc und nicht innerhalb von einer oder zwei Wochen abgewickelt wird. Und jetzt, mit ein paar Monaten Distanz, kann ich es mir selbst auch nicht wirklich vorstellen.

Aber die echte Reise dieser Nummer war die zu mir selbst. Die an und über die Grenze dessen, was ich mir selbst bisher zugetraut hatte – und die Erfahrung, dass es auch eine alles andere als Übelkeit erregende Möglichkeit gibt, den Satz "Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist" mit Leben zu erfüllen.

Aber dieser Trip war auch auf einer ganz anderen Ebene eine "Bildungsreise", die ich (es muss ja nicht gleich die volle Dröhnung sein) jedem und jeder ans Herz legen möchte: Die Langdistanz lehrt Demut. Und Respekt vor jedem Menschen, der sich an ein Projekt heranwagt, das nach allen Regeln der Vernunft zwei oder drei Nummern zu groß ist. Sie lehrt, dass es sich immer auszahlt, noch den idiotischsten Traum wahr machen zu wollen. Und sie lehrt Dankbarkeit. Denen gegenüber, die einen auf dem Weg dorthin begleiten, stützen und (er)tragen.

Foto: Distelberger

8. Schweden

Das Triathlontraining war zwar ein Traum und der Bewerb ein, wenn nicht der absolute Höhepunkt meines bisherigen sportlichen Lebens. Trotzdem fehlte da etwas: Obwohl ich viele, viele Stunden im Freien verbracht hatte, war die Natur immer nur Kulisse gewesen.

Wie wichtig mir das Rennen durch Wald und Wiesen, über Stock und Stein tatsächlich ist, merkte ich erst, als ich endlich wieder Traillaufen "durfte". Ich bin da alles andere als versiert – aber man muss ja wirklich nicht den Mont-Blanc- oder andere Kult- und Ultrabewerbe meistern, um zu spüren, wie großartig diese Spielart des Laufens ist.

Eine Einladung wie die des schwedischen Trailschuhherstellers Icebug zum legendären "Icebug Experience Westcoast Trail" auszuschlagen wäre ein Grund, einen Läufer besachwalten zu lassen.

Die drei Tage in der Region von Ramsvik gehören zum Schönsten, was ich läuferisch je erleben durfte (und ich bin da mehr als verwöhnt): Ich will dort wieder hin. Gerne auch als zahlender Gast.

Foto: thomas rottenberg

9. Chicago

Dann war da heuer natürlich noch Chicago. Evas erster Marathon. Und als wäre im Zuge der Vorbereitungen auf den Lauf bei Eva nicht ohnehin schon alles, was nur schiefgehen kann, auch schiefgegangen, war das Wetter beim Lauf selbst dann auch noch genau so, wie man es sich bei einem Marathon sowieso nicht und auch seinem schlimmsten Feind beim ersten Antreten über die 42k nicht wünschen würde: Eisiger Regen, der sich mit starkem, böigem Wind abwechselte. Dazu kam noch die US-Rennbürokratie, die uns in einen Startblock weit vorne zwang – was zu superfrustrierendem Dauerüberholtwerden auf den ersten 15 oder 20 Kilometern führte. Ich hätte, wäre das mein erster gewesen, aufgegeben. Eva nicht. Sie biss sich durch. #proudboyfriend ist noch eine dezente Untertreibung.

Foto: thomas rottenberg

10. Taipeh

Nach Chicago wäre es eigentlich vernünftig und normal gewesen, ein bisserl vom Gas zu gehen: Mehr als das, was dieses Laufjahr bis dahin gebracht hatte, kann man nicht erwarten. Oder gar verlangen.

Gut, den Wolfgangseelauf gönnt man sich da vielleicht noch. Und weil die Beine – und auch der Kopf – müde sind, eh nur in der kurzen, der 10-Kilometer-Version.

Ich wusste, dass ich leer war, und konnte trotzdem nicht Nein sagen, als mich die taiwanesische Eva Air einlud, in Taipeh einen Halbmarathon zu laufen, der – für uns Nestler ein bisserl bizarr – unter dem Titel "Marathon" ausgeschrieben war.

Ich kenne Taipeh. Ich mag Taiwan. Und der Lauf war – trotz oder gerade wegen seiner Andersartigkeit – in Wirklichkeit großartig. Trotzdem: So wirklich genießen konnte ich den Trip und den Lauf nicht. Aber das lag ausschließlich an mir. Ich war gierig geworden. Und hatte den Moment, in dem man "Danke, genug" sagen muss, schlicht und einfach übersehen.

Foto: thomas rottenberg

11. Addis

Noch dazu, wo das Jahr noch ein weiteres Highlight zu bieten hatte: den "Great Ethiopian Run". Den größten Straßenlauf Afrikas. Dort, wo wir alle herkommen. Weil die Natur und die Evolution uns Menschen hier, im Hochland von Äthiopien, über Jahrmillionen hinweg formte und perfektionierte, bevor wir uns aufmachten, uns den Planeten untertan zu machen – und ihn zu zerstören: Der "Great Ethiopian Run" findet jedes Jahr im Herbst in Addis Abeba auf 2.400 Metern Seehöhe statt – und auch wenn von den 47.000 Menschen, die daran teilnehmen, nur 2.000, maximal 3.000 wirklich die ganze Strecke laufen, ist das, was man hier sieht, erlebt und spürt, Laufen in seiner schönsten Form: ein Fest, bei dem es nicht ums Gewinnen geht. Sondern ums Lachen. Um die Freude am Leben.

Der "Great Run" ist ein Fest, bei dem sich alle Grenzen auflösen: Denn es ist egal, ob man alt, jung, schnell, langsam, Mann oder Frau, dick oder dünn ist. Die Frage, ob man weiß oder schwarz, von hier oder von ganz woanders ist, spielt allerdings eine Rolle. Kurz: Weil es wunderschön ist zu erleben, wie egal all das ist – wenn man einander auf Augenhöhe begegnet.

Dabei ist es doch nur Laufen. Aber manchmal ist Laufen auch mehr. Zum Beispiel eine Metapher. (Thomas Rottenberg, 26.12.2018)

Weiterlesen:

Auf der Facebook-Seite von Thomas Rottenberg lässt sich das Jahr in noch mehr Bildern rekapitulieren.

Foto: Markus Steinacher