Dank des Samples in "Planet Rock" von Afrika Bambataa beeinflussten Ralf Hütter und Kraftwerk die Geschichte des Hip-Hops.

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Sabrina Setlur findet allerdings seit 1999 nicht ihre Gnade.

Die Geschichte beginnt 1997. Damals veröffentlichte die heute beinahe vergessene deutsche Rapperin Sabrina Setlur auf ihrem damaligen enorm erfolgreichen Charts-Album Die neue S-Klasse einen Track namens Nur mir. Dieser wurde ihr vom bis heute vor allem mit souligem deutschem Schlager erfolgreichen Frankfurter Hip-Hop-Produzenten und Solokünstler Moses Pelham maßgeschneidert und beschäftigt seit nunmehr 19 Jahren die deutschen und jetzt auch europäischen Gerichte.

Sabrina Setlurs "Nur mir" mit einem Kraftwerk-Sample.
3pTV

Pelham hatte eine zweisekündige Rhythmussequenz aus Metall auf Metall, einem Titel der deutschen Elektronikpioniere Kraftwerk vom 1977 erschienenen Album Trans Europa Express, ohne Erlaubnis beziehungsweise vorherige Zustimmung kopiert und als Endlosschleife unter den Song Nur mir gelegt. Ralf Hütter und Florian Schneider, die Köpfe von Kraftwerk, klagten wegen Urheberrechtsverletzung auf Unterlassung und Schadensersatz sowie auf Herausgabe und Vernichtung der Tonträger (das Internet war damals noch jung). Das an und für sich unbedeutende Stück durfte und darf seitdem immer wieder nicht verbreitet werden.

Das Original: "Metall auf Metall" von Kraftwerk.
Zwitter59

Moses Pelham, der übrigens bis 2013 an einer Agentur beteiligt war, die illegalen Downloadern im Internet mit Massenabmahnungen Geld entlocken wollte, klagte wiederum Kraftwerk gemeinsam mit anderen Produzenten und Musikern wegen Einschränkung seiner künstlerischen Freiheit. Ohne Sampling würde es Hip-Hop als eigenständige Kunstform gar nicht geben können.

Außerdem habe er das Stück Metall auf Metall gar nicht gekannt, sondern undatiert im Soundarchiv in seinem Studio gefunden. Eine reichlich eigenwillige Behauptung, immerhin zählen Kraftwerk seit beinahe einem halben Jahrhundert zur DNA der deutschen Popmusik.

2012 wurde vom deutschen Bundesgerichtshof entschieden, dass Pelham sehr wohl gegen das Urheberrecht verstoßen habe. Das Bundesverfassungsgericht hob das Urteil 2016 allerdings wieder auf. Im Hinblick auf die Kürze der gesampelten Sequenz von wenigen Sekunden sei die Kunstfreiheit nicht hinreichend berücksichtigt worden. Aufgrund europäischer Aspekte des Rechtsstreits wurde das Verfahren an den Europäischen Gerichtshof weiterverwiesen. Dieser sollte in den nächsten Wochen zu einer bindenden Entscheidung gelangen. Immerhin geht es urheberrechtlich gesehen um sehr viel.

Hommage oder Diebstahl

Zum einen wäre da die Frage, ob es sich bei Sampling egal welcher Länge ohne Zustimmung des ursprünglichen Klangschöpfers um eine Kopie, also um geistigen Diebstahl, handle, oder, positiv gesehen, um eine Hommage an den gesampelten Künstler, dessen Werk man als Ausgangspunkt für eine eigenständige künstlerische Kreation verwendet.

Zum anderen geht es natürlich um sehr viel Geld. Immerhin ist Hip-Hop seit seinem Aufkommen in den späten 1970er-Jahren nicht nur zum erfolgreichsten globalen Musikstil aufgestiegen. Aufgrund seiner Chartsplatzierungen und angesichts einiger guter bis dann auch wieder gar nicht so guter Hip-Hop-Acts wie Haftbefehl, Bushido oder RAF Camora kann Hip-Hop auch als kommerziell wichtigste deutsche Volksmusik nicht nur für kleinkriminelle Hosentaschengangster, sondern auch für die junge, noch vorhandene männliche Mittelklasse in der verlängerten Pubertät angesehen werden.

Kraftwerk-Vorstandsvorsitzender Ralf Hütter und seine (ehemaligen) Mitmusiker Florian Schneider, Karl Bartos und Wolfgang Flür jedenfalls beziehen ihre Einkünfte nicht nur aus spektakulären Liveshows. Zuletzt waren sie in Österreich 2014 im Wiener Burgtheater oder heuer im burgenländischen Steinbruch St. Margarethen zu erleben.

Ein wesentlicher Bestandteil der Einnahmen wird auch durch Lizenzen von Samples generiert. Aufgrund ihrer Vorreiterrolle in der elektronischen Popmusik spannt sich bei Kraftwerk der Bogen sehr weit. Er reicht von HipHop und dem frühen Sample des Rhythmus von Trans Europa Express, unternommen von Afrika Bambaataa für das den Hip-Hop selbst bereits 1982 entscheidend prägende Stück Planet Rock, über die DJs und Produzenten des Detroit-Techno bis hin zu Coldplays Schnulze Talk von 2005, die auf einem Sample von Kraftwerks Computerliebe beruht.

Afrika Bamabaataa & The Soulsonic Force mit "Planet Rock".
Tommy Boy

Bezüglich des Geldes für geistiges Eigentum ist Ralf Hütter nicht zimperlich. Die Toleranzgrenze reicht hier, wo ansonsten bei der bloßen Namenserwähnung Kraftwerks als Referenzpunkt schon mit Klagen gedroht wurde, bis zum aktuellen Ganzkörpersampling von Heino, durchexerziert aktuell 2018 anhand von Das Model.

Dass der nun zwei Jahrzehnte währende Rechtsstreit mit Moses Pelham wegen zwei Sekunden Metall auf Metall von beiden Seiten so vehement durchgefochten wird, hat wohl nicht so sehr damit zu tun, dass eventuell ein kanonisches Werk der Popgeschichte missbraucht wird, sondern auch damit, dass eine wesentliche Frage der Popmusik endlich endgültig geklärt gehört: Handelt es sich bei Sampling um künstlerische Freiheit oder künstlerische Faulheit? Weitere Frage: Wo geht man eigentlich hin, wenn einem das Urteil des Europäischen Gerichtshofs nicht gefällt? (Christian Schachinger, 20.12.2018)