Raphael von Hoensbroech zeigt in Führungsseminaren, wie Dirigenten das Orchester leiten, damit Gänsehautmomente im Publikum entstehen.

Foto: Jean-Pierre Geusens

Der einzige Musiker auf der Bühne, der keinen Ton von sich gibt, ist nicht wegzudenken: der Dirigent. Wie dieser mit dem Orchester arbeitet, wie dabei Gänsehautmomente entstehen und was für eine gute Führung hinderlich ist, das will Raphael von Hoensbroech in Seminaren für Chefs vermitteln.

Von Hoensbroech ist Intendant und Geschäftsführer des Dortmunder Konzerthauses, gelernter Dirigent, promovierter Musikwissenschafter, spielt Geige und war acht Jahre bei der Boston Consulting Group als Unternehmensberater tätig. Damals habe er viele Seminare für Führungskräfte miterlebt, die kaum zu Änderungen des Verhaltens geführt hätten, da dieses "besser in Verbindung mit emotionalen Erlebnissen statt über rein kognitive Erkenntnisse verändert werden kann".

Vor acht Jahren erfuhr von Hoensbroech von einem amerikanischen Dirigenten, der solche Seminare gibt. Das wollte er auch machen und integrierte die Workshops, bei denen Führungskräfte im Orchester sitzen, in seine Beratungen. Mittlerweile hält er die Seminare zusätzlich zu seiner Intendantentätigkeit. Kürzlich war er damit beim European-Foundation-for-Quality-Management-Forum in Wien.

Mehr als den Takt angeben

Anhand unterschiedlicher Führungstypen zeigt von Hoensbroech mit der Musikmetapher, welchen Unterschied diese Typen auf das Orchester, also die Mitarbeiter, haben. So mimt er etwa den sogenannten Micromanager. "Das ist ein Dirigent, der versucht, jeden Musiker einzeln zu führen, und der jede Note exakt vorgibt." Die Folge: Die Musiker halten das nicht lange aus, könnten sich nicht entfalten, versuchen, den Dirigenten auszublenden. "Das gelingt aber meist nicht", sagt er. Doch umgekehrt gar nicht musikalisch zu führen und nur den Takt zu schlagen, sei auch keine Option, weiß von Hoensbroech. Denn so verhindert der Dirigent, dass jemand innerhalb des Teams die Führung übernimmt, er "steht dem Orchester im Weg". Spielt ein Orchester nämlich ohne Dirigent, übernehmen zum Beispiel der Konzertmeister bzw. die einzelnen Stimmführer wie die erste Geige die Führungsrolle.

Wie muss der Dirigent also auftreten? "Damit wirklich Musik entstehen kann, braucht es eine Führung, die dem Orchester genug Freiraum lässt, aber auch klare Leitplanken vorgibt", sagt von Hoensbroech. "Zugleich sind die Noten ja nur ein schwaches Abbild der Musik, man kann sie auf so viele Arten interpretieren. Die Kunst des Dirigierens liegt darin, mit den Musikern gemeinsam etwas zu erarbeiten, woraus mehr wird als die Summe der einzelnen Musiker." Dabei müsse man berücksichtigen, dass die Musiker den Dirigenten in bestimmten Situationen, wie etwa bei Taktwechseln oder Soli, besonders brauchen würden, sagt von Hoensbroech. "Wenn ich ihnen im entscheidenden Moment Rückendeckung gebe, spielen sie freier, offener, musikalischer." Ist die Führungskraft also aufmerksamer und steht für ihr Team ein, mache das einen "enormen" Unterschied.

Keine Angst vor Fehlern

Auch die Fehlerkultur sei wichtig, erzählt der Intendant. "Wenn die Musiker Angst vor ihrem nächsten Fehler haben, kann kein Gänsehautmoment entstehen." Wenn die Führungskraft nicht konstruktiv mit Fehlern ihres Teams umgehe, sondern diese vor den Mitarbeitern vorführe, entstünde ein Klima des Misstrauens. Er bringt ein Beispiel: "Wenn der Flötist in seinem Solo einen falschen Ton spielt und der Fehler noch mal passiert, denkt vielleicht der zweite Flötist, dass er besser das Solo gespielt hätte. Da der erste Flötist das ohnehin weiß, ist hier die Maßregelung durch den Dirigenten absolut kontraproduktiv – auch für das Musikmachen."

Übertragen auf die Unternehmenswelt heißt das: "Führungskräfte dürfen nicht vergessen, dass sie unterschiedliche Perspektiven auf ihr Team haben. So, wie im Orchester jemand, der zwischen Cello und Kontrabass sitzt, die Musik tiefer hört als jemand zwischen Geigen und Flöten. Deshalb steht der Dirigent vorne und hat eine Perspektive, in der er das große Ganze hört", sagt von Hoensbroech. Diese Perspektiven zusammenzuführen sei die Verantwortung des Chefs. Verliere sich dieser aber nur in Details, sei die Firma "besser bedient, keinen zu haben und sich selbst zu führen".

Für die Seminarteilnehmer zeige sich gute Führung schließlich darin, ob man gepackt werde von der Musik, "sich Gänsehaut bildet oder sich Wasser von innen gegen die Augen drückt". (Selina Thaler, 30.12.2018)