Eine Offenbarung oder doch nur Müll? An wenigem lässt sich die Trennlinie zwischen Fans und Nichtfans eines bestimmten Musikers so gut festmachen wie an dessen vermeintlichen Raritäten. In Juliet, Naked sind es Demoaufnahmen des fiktiven Singer-Songwriters Tucker Crowe, an denen sich die Geister scheiden. Den Collegedozenten Duncan, der dem verehrten Musiker eine eigene Website widmet, rühren sie zu Tränen. Seine Langzeitfreundin Annie findet die Songrohfassungen hingegen derart dürftig, dass sie ihrem Freund die mutmaßliche Schmach des Anhörens zunächst am liebsten ersparen würde.

Bild nicht mehr verfügbar.

In "Juliet, Naked" gerät eine Frau zwischen die Fronten von Idol und Fan: Ethan Hawke, Rose Byrne und Chris O'Dowd (v. li.).

Foto: AP / Alex Bailey

Phantom und Realität

Das Aufschlagen der Juliet, Naked betitelten Musikdemos in einer von den Obsessionen eines Musikfans stark mitgenommenen Beziehung gehört zu den schönsten Szenen der als Romantic Comedy angelegten Verfilmung des gleichnamigen Romans von Nick Hornby. Es ist auch der Ausgangspunkt für ein Beziehungstriangel, in dem aus einem Phantom Realität wird: Nach einer geharnischten Kritik, die Annie im Fanforum ihres Freundes postet, nimmt niemand anderer als der seit den 90er-Jahren von der Bildfläche verschwundene Musiker höchstselbst den Kontakt mit ihr auf.

Die Psychologie von Fans gilt als Spezialfach von Hornby. In seinem Debüt Fever Pitch (1992) war es ein Fußballfanatiker, in High Fidelity (1995) ein Musiksnob, den uns der britische Erfolgsautor aus autobiografischer Anschauung näherbrachte. In Juliet, Naked ist es erneut ein Musiknarr, der sich beharrlich weigert, erwachsen zu werden, obwohl er den anfänglichen Exotenbonus bei seiner Freundin längst verspielt hat. Chris O'Dowd und Rose Byrne erweisen sich als grundsympathische und glaubwürdige Idealbesetzung für ein Paar, das in einem britischen Küstenort hängengeblieben ist und erst durch eine unwahrscheinliche Begegnung aus seinen Routinen hinausfindet.

Trailer zu "Juliet, Naked".
Universal Pictures UK

Wie Hornby nützt auch der Regisseur Jesse Peretz die Verstrickungen seiner drei Figuren für treffsichere Situationskomik. Wie sehr kann man schließlich damit rechnen, dass einem die Freundin einen bewunderten Musiker am Strand vorstellt? Die Idyllik des typisch britischen Küstenortes im Hintergrund sorgt für reizvolles Lokalkolorit und funktioniert gleichzeitig als universelles Setting einer Provinzfalle.

Zwar bilden die Fan-Eskapaden Duncans auch im Film die erzählerische Klammer. Mehr als die Buchvorlage fokussiert die Verfilmung aber auf das romantische Kapital: Ethan Hawke bringt die notwendige, leicht verwahrloste Sexiness für einen Indie-Musiker, der bessere Tage gesehen hat, auf die Waage.

Ex-Musiker als Regisseur

Weil es mit den Frauen und den Kindern in den ersten Durchgängen nicht so recht geklappt hat, versucht der Musiker in freiwilliger Frührente zumindest bei seinem jüngsten Sohn und dem sich anbahnenden ersten Enkelkind wieder einiges gutzumachen. Eine Vergangenheit als Musiker hat übrigens auch der Regisseur der Filmadaption vorzuweisen: Peretz war Mitglied der Alternative-Rock-Band The Lemonheads – allerdings ausgerechnet bevor diese mit dem Album It's a Shame About Ray den Durchbruch schaffte.

Der Indie-Musiker in Juliet, Naked mag es nicht zu einem veritablen Star gebracht haben, befeuert aber selbst mit seinem Schweigen noch den Kult eingeschworener Fans. Der besondere Reiz der Geschichte liegt darin, dass er nicht bloße Projektionsfigur bleibt, sondern als Katalysator wirkt. Alle drei Hauptfiguren stehen letztlich vor denselben Fragen: Gibt es eine zweite Chance? Lohnt es sich, noch einmal aus der Deckung herauszukommen?

Wie oft bei Hornby ist es die Frauenfigur, in diesem Fall die bis zur Selbstaufgabe geduldige Annie, die sich den Herausforderungen am ernsthaftesten stellt. Duncan bleibt der ewige Träumer, dem man seinen vorgeschützten Veränderungswillen nicht so recht glauben mag. In einer irrwitzigen Konfrontation streitet er mit seinem Idol über dessen Musik. So lächerlich der Fan anfänglich wirken mag, in der entscheidenden Frage der Deutungshoheit behält er dann doch recht: Was letztlich zählt, ist, was er aus der Musik für sich selbst herausholt. Hier zeigt sich nicht nur das Herz für Fans, das in Hornbys Witz immer mitschlägt. Es ist gleichzeitig eine Szene, die Peretz' Adaption von Juliet, Naked als eine der bisher besten Nick-Hornby-Verfilmungen ausweist. (Karl Gedlicka, 21.12.2018)