Zeit mit Rosinen verbringen, auch das kann Achtsamkeit sein.

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Bernadette Redl beschäftigt sich von Berufs wegen mit Gesundheit. Manchmal ist sie selbst krank oder gestresst und probiert aus, was man dagegen tun kann.

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Wie schaut eigentlich eine Rosine aus? Weiß doch jeder! Ja eh, aber ich meine so richtig. Wie viele Rillen hat sie? Ist ihre Farbe eher apfelbutzenbraun oder rehrückenrötlich? Wie glatt ist ihre Oberfläche? Wie ist sie geformt? Wie viele Dellen sind drin? Was sieht man, wen man sie gegen helles Licht hält? Sind Rosinen durchsichtig? Und wie schwer ist eigentlich eine Rosine, wenn man sie in der Hand hält? Und wie klingt sie, wenn man sie ans Ohr hält und leicht zusammenquetscht?

Ich weiß das jetzt alles, denn ich war achtsam. Achtsam mit einer Rosine. Wie das geht, hat mir unser Arbeitspsychologe in einem einstündigen Kurs gezeigt. Minutenlang hat er meine Kollegen und mich angeleitet, uns im Hier und Jetzt, ohne Abschweife auf die im Kopf schwirrende To-do-Liste, nur mit einer Rosine zu beschäftigen.

Mein Fazit: Das ist weit schwieriger als gedacht. Ständig driften meine Gedanken ab. Ich muss mich auch stark konzentrieren, nicht laut loszulachen. Ich denke: "Wenn mich heut Abend jemand fragt, wie mein Tag war, erzähle ich einfach, dass ich mit zehn Erwachsenen in einem Raum gesessen bin und wir wortlos auf Rosinen gestarrt haben. Wie absurd!?"

Verschiedene Ebenen

Und genau hier mache ich schon alles falsch. Denn es gibt immer mehrere Arten, Dinge zu sehen – auf einer gedanklichen, körperlichen und emotionalen Ebene, erklärt der Experte.

Da ist einmal, was man über eine Sache denkt, wie man sie einschätzt und bewertet. Und dann gibt es die Kategorie, wie etwas tatsächlich ist, wie man sie fühlt. Der Arbeitspsychologe zeigt uns an einem Beispiel, was damit gemeint ist. Wir sollen ihm sagen, was wir über unsere Füße denken. Die Antworten sind "zu groß", "tun weh" oder "schwitzen". Dann schließen wir die Augen und fühlen in unsere Füße hinein, konzentrieren uns nur darauf, sind achtsam. Als wir die Augen wieder aufmachen, wissen wir tatsächlich, wie es unseren Füßen geht, und plötzlich sind eigentlich alle von uns im Reinen mit ihren Tretern.

Einfach akzeptieren

Diese unterschiedlichen Wahrnehmungsebenen gibt es auch in alltäglichen Lebenssituationen. "Leid = Schmerz x Widerstand" erklärt der Psychologe und meint: Je mehr man gegen eine Sache ankämpft und darüber nachdenkt, wie schlimm man sie findet, desto stärker wird das Leid. Etwa wenn man in der U-Bahn feststeckt und sich darüber aufregt, wird die Situation oft noch schlimmer. In sich hineinzufühlen, ergründen, wie es einem wirklich geht, hilft dabei, die Sache einfach zu akzeptieren.

Das nehme ich mir ab jetzt vor: In einer stressigen Reaktion kurz innehalten, mich auf mich selbst und meine Atmung konzentrieren. Mir überlegen: Wie schlimm ist die Lage gerade wirklich, und wie will ich nun darauf reagieren?

Bis jetzt klappt mein Vorsatz ganz gut. Aber wie alles, ist auch Achtsamkeit eine Übungssache. Eines steht für mich jedenfalls fest: Rosinen sind für mich nicht mehr das, was sie einmal waren. (Bernadette Redl, 30.12.2018)