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Theresa May vor ihrem Amtssitz in London: Sie kämpft mit ungewissen Erfolgsaussichten für den geordneten Brexit.

Foto: AP Photo/Alastair Grant

Die britische Premierministerin Theresa May hat also noch einmal überlebt. Die Konservative Partei im Unterhaus hat ihr mit einem alles andere als überzeugenden Ergebnis von 200 zu 117 Stimmen das Vertrauen ausgesprochen. Es fällt schwer, sich einen anderen britischen Premier ins Gedächtnis zu rufen, dessen Führung durch eine derart ununterbrochene Krise gekennzeichnet war.

Das britische Volk hat sich im Juni 2016 in einem Referendum mit der schmalen Mehrheit von 51,9 zu 48,1 Prozent für den Austritt aus der Europäischen Union entschieden. Nachdem es unter Berufung auf Artikel 50 des Vertrags von Lissabon seinen Austrittwunsch erklärt hat, sollte das Vereinigte Königreich nun am 29. März 2019 die EU verlassen. Doch die irische Frage, die Querelen unter den Konservativen und die Mehrheitsverhältnisse im Parlament haben dazu geführt, dass der Brexit-Prozess bisher alles andere als gradlinig verlaufen ist.

Das Vereinigte Königreich und die Republik Irland haben eine Landgrenze gemein, die Irland (das in der EU verbleiben wird) von Nordirland (das Teil des Vereinigten Königreichs ist) trennt. Nach dem Brexit befände sich Nordirland außerhalb der EU-Zollunion, und die Irische Republik befände sich in der Zollunion. Das ist der Grund für Mays qualvolle Bemühungen um eine Übereinkunft, die eine "harte" Grenze mit Zollkontrollen vermeidet.

Leben und Tod

Dies ist nicht bloß eine Frage wirtschaftlicher Bequemlichkeit. Es ist, im wahrsten Sinne des Wortes, eine Frage von Leben und Tod. Als Irland 1922 die Unabhängigkeit von Großbritannien erlangte, verblieben sechs überwiegend protestantische Countys im Rahmen eines Systems der politischen Selbstverwaltung bei Großbritannien. Zwei Hinterlassenschaften des alten, nun geschrumpften Vereinigten Königreichs blieben bestehen: der Freihandel und die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zwischen Großbritannien und dem irischen Staat.

Der unvollständige Sieg über Großbritannien hinterließ in der überwiegend katholischen Republik Irland einen bitteren Nachgeschmack; noch bis 1999 enthielt die irische Verfassung ein Bekenntnis zur Wiedervereinigung der Insel. Zugleich klammerte sich Nordirlands schrumpfende protestantische Mehrheit immer inbrünstiger an die britische Verbindung. Nach drei Jahrzehnten des gewaltsamen Konflikts zwischen irisch-nationalistischen und protestantischen Gruppen der Provinz mit über 3600 Toten schuf das Karfreitagsabkommen 1998 eine gemeinsame Exekutive aus Unionisten und Nationalisten in Nordirland. Jede Verfestigung der Grenze würde den zerbrechlichen Frieden gefährden, der durch das Karfreitagsabkommen geschaffen wurde.

Als wäre das nicht schlimm genug, ist das britische Parlament zwischen denjenigen gespalten, die aus der EU austreten wollen, und denjenigen, die das nicht wollen. Diese Kluft durchschneidet die Konservative Partei und die oppositionelle Labour Party.

Konstruktive Rolle

Die Remainer umfassen drei Gruppen: diejenigen der Linken, die den Ansatz der "sozialen Marktwirtschaft" der EU als Quelle des Schutzes für britische Arbeitnehmer sehen; Vertreter der Wirtschafts- und Finanzinteressen, die die wirtschaftlichen Kosten des Brexit betrachten; und Idealisten, die wollen, dass Großbritannien eine konstruktive Rolle bei der politischen Einigung Europas spielt.

Die Leaver umfassen ebenfalls drei Gruppen: Anhänger der Politik Margaret Thatchers, die Brüssel als "Superstaat" betrachten, der entschlossen ist, das freie Unternehmertum zu ersticken; eine sich hiermit teilweise überschneidende Gruppe, die sich Großbritannien als unabhängigen Teil eines globalen Freihandelssystems vorstellt; und die "Abgehängten", die kulturelle Identität bewahren und die Ausländer draußen halten wollen.

Die parlamentarische Arithmetik ist bedeutsam, weil May trotz des Referendums gezwungen war, dem Parlament das letzte Wort in Bezug auf jede von ihr ausgehandelte Einigung zuzugestehen. Dies macht den Remainern Hoffnung darauf, das Ergebnis von 2016 durch ein zweites "Bevölkerungsvotum" zu kippen.

Die Parlamentszusammensetzung spiegelt Mays katastrophale Entscheidung wider, 2017 vorgezogene Neuwahlen abzuhalten, die dazu führte, dass ihre Konservativen die Mehrheit verloren. Und die 317 konservativen Abgeordneten, die noch da sind, spalten sich im Verhältnis von etwa 2:1 in jene, die Mays vorgeschlagenen Brexit-Plan unterstützen, und jene, die einen britischen Austritt ohne Einigung wollen.

Die Unterstützung der Opposition – 257 Labour-Abgeordnete, 35 schottische Nationalisten und einige andere – für Mays Vereinbarung ist bestenfalls unsicher. In ähnlicher Weise sind die zehn Abgeordneten der nordirischen Democratic Union Party, auf deren Unterstützung die Regierung nun angewiesen ist, hin- und hergerissen zwischen ihrem Wunsch nach Freihandel mit dem Süden und ihrer Furcht, bei einem Ausscheiden des übrigen Vereinigten Königreichs aus der Zollunion von der Irischen Republik aufgesogen zu werden.

Zerstritten und gespalten

Angesichts der Spaltung ihrer eigenen Partei wird May gezwungen sein, sich auf Labour-Abgeordnete zu stützen, um ihre Vereinbarung durchs Parlament zu bringen. Niemand weiß, wie die Labour-Abgeordneten abstimmen werden. Einerseits würde eine Ablehnung mit den Leavern, um Mays Vereinbarung scheitern zu lassen, vermutlich zu Neuwahlen führen, die Labour gewinnen könnte. Andererseits hat Labour-Chef Jeremy Corbyn keine Lust, den Giftbecher anzunehmen, den May hinterließe.

Es ist ein Spiel mit dem Feuer, mit der Begründung, dass einem das Ergebnis der ersten Volksbefragung nicht gefalle und man daher eine zweite anstrebe. Und man sollte zudem ein weiteres Problem im Hinterkopf behalten: Die Leaver verabscheuen die EU stärker, als die Remainer sie lieben. Wenn die Remainer eine zweite Volksabstimmung gewinnen, wird die britische Politik noch auf Jahre hinaus von einer leidenschaftlichen Verbitterung vergiftet werden. Wir sollten also hoffen, dass May ihre gütliche Scheidung durchbekommt, wenn das Parlament im Jänner endlich darüber abstimmt. (Robert Skidelsky, aus dem Englischen: J. Doolan, Copyright: Project Syndicate, 21.12.2018)