Weil bei der Inskription am wenigsten Leute beim Schalter für Physik anstanden, entschloss sich Rudolf Schmidt kurzerhand für dieses Fach. Er sollte es nicht bereuen: Ab 1982 arbeitete er bei der europäischen Raumfahrtagentur Esa, wo er u. a. die Mission Mars Express leitete und zuletzt als Generalinspektor tätig war. Aufgrund seiner Expertise holte ihn US-Regisseur Ridley Scott als Berater für die Dreharbeiten seines Hollywoodfilms "Der Marsianer" (2015) an Bord. Seit er 2016 in den Ruhestand getreten ist, bastelt er statt Satelliten an seinem Bauernhof in der Steiermark. Vergangene Woche war er in Wien zu Gast beim Symposium "Kepler und der Rote Planet" der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

"Es wird Zeit, dass wir etwas anderes machen als die International Space Station", sagt Rudolf Schmidt. Die nächste große Reise der bemannten Raumfahrt müsse zum Mars gehen, um handfeste Beweise für Leben im All zu suchen. Aber: "Um das zu finanzieren, bräuchte es einen Super-Kennedy."
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STANDARD: Am 25. Dezember 2003 erreichte die Sonde Mars Express den Orbit des Roten Planeten. Wie haben Sie Weihnachten verbracht?

Schmidt: Heiligabend war eine brenzlige Phase. Wir haben von 24. Dezember in der Früh bis zum 25. am Abend im Esa-Kontrollzentrum in Darmstadt durchgearbeitet. Die deutsche Wissenschaftsministerin Edelgard Buhlmann kam mit Champagnerflaschen, die sie versteckte, damit sie ja nicht mit ihnen fotografiert wird, falls etwas schiefgeht. Als Mars Express dann um drei Uhr früh im Orbit war, knallten die Korken. Dabei stürmte noch ein Mathematiker herein mit der Schocknachricht, dass beim Einschuss in den Orbit viel zu viel Treibstoff verbraucht wurde. Es stellte sich aber heraus, dass er sich um eine Kommastelle verrechnet hatte. Der Treibstoff reichte also doch für 24 Jahre. Das heißt, wenn alles andere auch so lange hält, könnte Mars Express noch bis 2027 aktiv sein.

STANDARD: Haben Sie damit gerechnet, dass die Sonde so lange Daten liefert? Zuletzt wurden mit ihrer Hilfe riesige Wasservorkommen auf dem Mars entdeckt.

Schmidt: Entworfen und finanziert war das Projekt für zwei Jahre, aber wie üblich in Europa, wenn ein Projekt gut läuft, findet man immer noch irgendwo Geld dafür. Die Performance des Satelliten ist gut, Datenübertragung, elektrische Leistung, die Recheneinheiten an Bord funktionieren wunderbar. Und solange daraus gute wissenschaftliche Arbeiten resultieren, geht es auch weiter.

Mars Express kreist seit nunmehr 15 Jahren um den Planeten und hat zuletzt wieder Hinweise auf Wasservorkommen auf dem Mars geliefert.
Foto: Esa

STANDARD: In der Raumfahrt haben Sie nicht nur große Erfolge erlebt, sondern auch spektakuläre Flops. Ist das eine nicht ohne das andere zu haben?

Schmidt: Es gibt Projekte, die ein Riesenerfolg wurden, aber zwischendurch knapp am Desaster vorbeigeschrammt sind. Zum Beispiel das Hubble-Space-Teleskop: Bei der Linse wurden zwei Mikron zu viel weggeschliffen, das ist etwa ein Fünfzigstel eines Haares. Das hat ausgereicht, dass die Fotos ganz deutlich unscharf waren. Zwei Jahre später ist man mit dem Shuttle hingeflogen und hat es repariert. Auch bei Mars Express gab es ein gravierendes Problem: Es fehlte eine Drahtbrücke im Satelliten. Als sich kurz nach dem Start die Sonnensegel entfalteten, war klar, dass zu wenig elektrische Leistung auf den Segeln zustande kommt, sodass der Satellit es nie bis zum Mars schaffen würde. Also begannen wir nach Lösungen zu suchen. Wir haben umgeplant, optimiert und an vielen Rädchen gedreht, bis wir Schritt für Schritt so viel Energie einsparen konnten, dass am Ende für die Messungen mehr als genug Leistung zur Verfügung stand. Jetzt ist die Sonde 15 Jahre im Marsorbit.

STANDARD: Sie haben Regisseur Ridley Scott als wissenschaftlicher Berater beim Dreh von "Der Marsianer" unterstützt. Wie verlief die Zusammenarbeit?

Schmidt: Ein Nasa-Kollege hatte mich empfohlen, also landete eines Tages eine E-Mail seiner Sekretärin bei mir, ob ich Ridley Scott bei einem Film unterstützen würde. Ich dachte erst, es handelt sich um einen Trick, und dass ich als Nächstes Geld überweisen muss. Es hatte aber alles Hand und Fuß, und ich habe die Dreharbeiten am Set in Budapest von Anfang bis Ende begleitet. Scott hat meine Kommentare oft akzeptiert. Oft hat er aber auch Gebrauch von seiner künstlerischen Freiheit gemacht und etwa gesagt, er kann keine Schutzmaßnahmen für den Protagonisten treffen, weil sein Gesicht in Vollaufnahme zu sehen sein soll.

STANDARD: Waren Sie zufrieden mit dem Ergebnis?

Schmidt: Der Film ist sehr beeindruckend. Andy Weir, der Autor des Buches, auf dem der Film basiert, hat sich wirklich in die Materie hineingearbeitet und keinen Hasen aus dem Hut gezogen. In den allermeisten Fällen hat er chemisch und physikalisch richtige Lösungen gefunden.

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Matt Damon als Mark Watney in "Der Marsianer". Der Grazer Weltraumphysiker Rudolf Schmidt fungierte beim Dreh als wissenschaftlicher Berater.
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STANDARD: Sind Sie interessiert an Science-Fiction?

Schmidt: Ja, aber nur bis zu dem Grad, wo sie noch irgendwann einmal Realität werden könnte. Jede Mission ist am Anfang zunächst Science-Fiction. Die Wissenschaft will schließlich nie etwas schon Dagewesenes wiederholen. Jeder neue Wissenschaftssatellit hat die Grenzen des Machbaren überschritten. Das habe ich fast 40 Jahre lang gemacht.

STANDARD: Abgesehen von den Erfolgen – was war der größte Fehlschlag in Ihrer Karriere?

Schmidt: Es gibt nur einen, und der sticht heraus. Ich bin 1982 nach Holland zur Esa gekommen und wurde einige Monate später wissenschaftlicher Leiter des Clusterprojekts, das mit vier Satelliten das Erdmagnetfeld erforschen sollte. Es gab immer Geldmangel bei der Esa, irgendwo hat es immer gezwickt, also wurden immer billigere Wege gesucht. Dann endlich wurden 1996 die Satelliten nach Französisch-Guyana zum Start auf der ersten Ariane 5 geflogen. Gleich nach dem Start explodierte die Rakete. 13 Jahre Arbeit waren in 20 Sekunden kaputt. Es war ein Riesendrama, wir haben alle geweint. Das hat mir gezeigt, wie riskant unser Geschäft ist. Die Weltraumfahrt ist unverzeihlich. Wenn irgendwo eine Fehlermöglichkeit im System besteht, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Fehler tödlich wird. Bei Ariane 5 hat man Software vom Vorgänger wiederverwendet. Ariane 4 beschleunigt so gemächlich wie ein VW-Transporter, Ariane 5 ist wie ein Porsche. Die Steuerungssoftware kam damit nicht klar. Es gab dann mit Cluster 2 aber einen erfolgreichen Nachbau.

STANDARD: Sie haben immer mit Satelliten gearbeitet, wie stehen Sie zur bemannten Raumfahrt?

Schmidt: Es wird Zeit, dass wir etwas anderes machen als die International Space Station. Die Amerikaner schlagen einen Lunar Gateway vor, eine bemannte Kapsel im Bereich des Mondes. Sie könnte um Lagrange-Punkte kreisen, wo es Stabilität zwischen Erd- und Mondschwere gibt, oder um den Mond selber. So ein Gateway soll der erste Schritt sein, um von dort aus weiter zum Mars zu fliegen oder zu einem Asteroiden.

STANDARD: Die nächste große Reise soll zum Mars gehen?

Schmidt: Das ist die nächste große Herausforderung. Aber um das zu finanzieren, bräuchte es einen Super-Kennedy. Ich bin überzeugt, dass es technisch möglich ist, und auch geistig und körperlich sollten Astronauten eine Reise von drei Jahren hin und zurück aushalten. Heute ist es Elon Musk mit Falcon 9, der Druck macht. Am Ende wird auch Musk das Geld ausgehen, aber er könnte das Fass ins Rollen bringen. Die Regierungsbehörden Nasa und Esa, Chinesen, Inder, Japaner und Russen müssten alle zusammenarbeiten. Einer allein kann so eine Mission nicht auf die Beine stellen.

STANDARD: Was erwarten Sie von einer bemannten Marsmission?

Schmidt: Derzeit bekommt man bei der Suche nach Leben im All nur indirekte Hinweise. Die einzige Möglichkeit, handfeste Messungen zu machen, besteht darin, Menschen zum Mars zu schicken. Der Mars war vor Milliarden von Jahren ein Wasserplanet mit relativ angenehmem Klima. Da könnte sich schon einfaches Leben entwickelt haben. Experten können in Höhlen eindringen, Felsen umdrehen, dort Untersuchungen machen, wo es vielversprechend ausschaut. Das alles ist mit einem Roboter schwer zu bewerkstelligen. (Karin Krichmayr, 25. 12. 2018)