Nio-Besitzer Zhang Xiaodong hat sich einen Nio gekauft. Fahren kann er allerdings damit nur eingeschränkt.

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Der Nio ES8 wurde rechtzeitig fertig. Ob und wann er nach Europa kommt, ist ungewiss.

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In China ist das Interesse da, nur an der Infrastruktur fehlt es noch.

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Zhang Xiaodong liebt neue Autos. Auch solche mit Alternativantrieb – wenn sie Pfiff haben. Der Transportunternehmer aus Jiamusi in Heilongjian hat sich einen siebensitzigen Elektro-SUV gekauft, einen ES8. Vom erst 2014 gegründeten Autobauer Nio, die Nachrichtenagentur Xinhua spricht stolz von "Chinas Tesla".

Der 51-jährige Zhang hat seinen Elektro-Sportvan im Oktober erhalten. Eine halbe Million Yuan (rund 600.00 Euro) hat er dafür bezahlt: "Ich bin jetzt Chinas nördlichster Besitzer eines Elektro-SUV." Aus dem Norden ist er extra zum Nio-Tag im Schanghaier Nio-Haus angereist. Dort präsentiert das einstige Start-up, das im September bei seinem Börsengang in New York mehr als eine Milliarde Dollar lukrierte, seinen Wagen im Foyer des 632 Meter hohen Shanghai Tower. Die Kunden lockt man auch mit einer Mitgliedschaft in einem an den Showroom angeschlossenen exklusiven Lifestyle-Klub.

Teil des Lebensstils

13 solcher Showrooms hat Nio in 14 Monaten in den Metropolen Chinas an den nobelsten Plätzen eröffnet und zahlt horrende Mieten dafür. Mehr als doppelt so viele Nio-Häuser sollen 2019 gebaut werden. Sie verkörpern die Philosophie des charismatischen Gründers und Vorstandschefs William Li. Sein E-Auto sei mehr als ein Fahrzeug, es ist Teil eines modernen Lebensstils. "In China gehen die Menschen nicht zu Starbucks, weil sie einen guten Kaffee trinken wollen, sondern auch, weil sie dort ihr Ambiente finden."

So wie Zhang hat Li am Wochenende mehrere Tausende ES8-Besitzer zum Happening nach Schanghai eingeladen. 1097 fuhren im eigenen Wagen vor. Am ersten Nio-Tag im vergangenen Dezember in Peking kündigte Li an, bis Ende 2018 die ersten 10.000 in China produzierten elektrischen Luxusboliden verkauft zu haben. Dafür wurde er belächelt. Nun konnte er nicht nur diese Zahl bestätigen, sondern stellte mit dem ES6 gleich das zweite Modell vor.

Fehlende Infrastruktur

Zhang ist nicht mit seinem ES8 zum Nio-Tag angereist, sondern mit einem anderen Luxuswagen. Wo hätte er auf der Autobahn von Nordostchina bis Schanghai sein E-Auto auch aufladen können? Im Norden gibt es weit und breit noch keine der Batteriewechselstationen, für die Nio bekannt ist. Sie sind eine Besonderheit. Die 600 Kilogramm schweren Batterien sind so am Wagen montiert, dass sie beim "Swap" in drei Minuten durch ein neues Batteriepack ausgetauscht werden können. Bis 2020 sollen in chinesischen Metropolen und entlang der Autobahnen 1100 solcher Stationen stehen. Achtzehn gibt es derzeit entlang der 2234 Kilometer langen Autobahn, die Peking mit dem südchinesischen Shenzhen verbindet. Auch die Verbindungen zwischen Peking und Schanghai und Shenyang bis zu Chinas Südküste werden derzeit bestückt.

Zhang, der zu weit abgelegen lebt, hat beim Kauf eine mobile Ladesäule geschenkt bekommen. Er kann seinen Wagen zu Hause in sieben bis acht Stunden über Nacht aufladen. Er fährt daher nur in der Stadt. Offiziell hat der ES8 eine Reichweite von mehr als 355 Kilometern. Zhang kommt auf 250 Kilometer. Wenn er dazu noch alle Dienstleistungen nutzt, bleiben ihm nur 150 Kilometer. Dennoch ist er zufrieden. "Zuerst wollte ich mir einen doppelt so teuren Tesla kaufen, aber die Innenverarbeitung war mir zu grob", sagte er. Tesla hätte ihm auch nicht das Service geboten, das seinem Sohn so gut gefällt. Die Rede ist von einem über dem Armaturenbrett montierten Roboter mit Punktegesicht und dem Namen Nomi (Know Me). Er steuert Dutzende Funktionen künstlicher Intelligenz zum Komfort im Innenraum. Auf Zuruf aktiviert das Helferlein auch eine Massagefunktion im Sitz. "Das ist doch cool."

Rasch zur Serienreife

Der neue ES6 wird Juni 2019 ausgeliefert. Es ist das zweite Elektrofahrzeug, das Nio in 20 Monaten zur Serienreife gebracht hat. Mit verbesserten 84 KW-Batterien, digitalen Finessen und mehr Reichweite. Nio hat sich arbeitsteilig international aufgestellt und kooperiert mit dem chinesischen Autobauer JAC in Hefei, einem Hersteller von Neue-Energie-Fahrzeugen (NEV) und mit Batteriehersteller CATL. Internationale, darunter auch viele deutsche Zulieferer wie etwa Bosch, sind mit von der Partie. Der nach Schanghai angereiste Nio-Deutschlandchef Hui Zhang sagte, dass in München 200 Fachleute für Nio im Design und im Branding arbeiten. Chinas Neuankömmling beschäftigt demnach weltweit mehr als 9.000 Mitarbeiter, davon 2.000 in der Produktion.

Wichtigste Rückendeckung für Nio-Gründer William Li sind 56 internationale Investoren, darunter Internetgiganten wie Tencent, Baidu, Xiaomi. "Ich habe Nio von Anfang an mit vielen Langzeitinvestoren breit aufstellen lassen" sagt er. Nur so kann er sich wohl seine gigantischen Verluste in den Anfangsjahren leisten, bis er mit sechsstelligen Produktionszahlen den Break Even erreicht.

Autos für Wohlhabende

Li setzt darauf, NEV-Fahrzeuge für den Prämiummarkt zu bauen. Er will nicht ein neues Auto für den Fahrer bauen, sondern eines für den Nutzer unter Einsatz digitaler Technologien und künstlicher Intelligenz. Nio arbeite zielgerichtet mit Herstellern von Fahrzeug-Hardware, smarter NEV- und Batterietechnologie zusammen. Dazu haben wir "neue Zulieferketten aufgebaut", sagt Nio-Vizechef Qin Lihong.

Nio fordert damit den viel erfahreneren, bekannteren und teureren Konkurrenten Tesla heraus, der in Schanghai gerade ein zwei Milliarden US-Dollar teures Werk aufbaut. Tesla spricht von einer Gigafabrik, seine erste außerhalb der USA und die erste in China, die ein ausländischer Automobilbauer ohne chinesischen Partner bauen darf.

Doch der US-Autobauer, der 2017 mehr als 17.000 Importwagen in China verkaufen konnte, geriet im Handelstreit zwischen den USA und China in Schwierigkeiten. Die von Peking auf 40 Prozent angehobenen Einfuhrzölle für US-Fahrzeuge ließen laut "Beijing Business Today" die Tesla-Verkäufe im dritten Quartal um 37 Prozent gegenüber dem Vorjahr einbrechen und um 70 Prozent im Oktober. Als Peking bekanntgab, seine US-Autozölle vorübergehend von 40 Prozent auf 15 Prozent zu verringern, senkte Tesla umgehend seine Verkaufspreise. Auch andere Startups wie Kantons XPeng, hinter dem die finanzkräftige Alibaba-Gruppe steht, greifen mit ihren A-Autos im Premiummarkt Tesla oder Nio an. Alle nutzen die "goldenen Zeiten 2018 und 2019", wie ein Nio-Mitarbeiter sagt, solange die dominanten deutschen Hersteller von Audi, BMW bis Mercedes ihre E-Autos noch nicht auf dem Markt haben. Vor diesen haben sowohl Tesla als auch Nio Respekt.

Automarkt unter Druck

Chinas traditionelle Automarkt steht dabei vor einer Wegscheide. Seit dem zweiten Halbjahr bricht er drastisch ein. Im November fiel der Absatz um 18 Prozent, nach minus 13 Prozent im Oktober. Erstmals seit 28 Jahren meldete der Automobil-Herstellerverband einen schrumpfenden Markt. Nio-Vizechef Qin Lihong warnt, dass auch der anhaltende Boom bei den NEV-Herstellern nicht nachhaltig ist. In fünf Jahren werde sich die Spreu vom Weizen trennen."Der Markt wählt aus, wer überlebt."

Vergangenen Sommer fragte die "Global Times", ob die hochsubventionierten und von Peking politisch und planmäßig geförderten Elektroautos nicht erneut zu Überkapazitäten auf dem Markt führen. Die Zahlen sprechen dafür. Zwischen 2015 bis Juni 2017 wurden mehr als 200 NEV-Projekte auf den Weg gebracht. Ihre angekündigten Produktions-Kapazitäten addierten sich auf mehr als 20 Millionen NEV-Fahrzeuge. Das sind zehn Mal soviel wie die zwei Millionen Neue Energie-Wagen, die der Pekinger Staatsrat in seiner Fünf-Jahresplanung für 2020 als Jahresproduktion vorgegeben hat. Da Peking zudem alle Autokonzerne zwingt, ab 2019 und 2020 einen bestimmten Anteil ihrer Produktion als NEV-Fahrzeuge herzustellen, wird der Boom künstlich angeheizt.

Bescheidene Realität

Trotz hoher Zuwachsraten sieht die chinesische Realität auf den Straßen bescheiden aus. Nach offiziellen Angaben waren bis September 2018 rund 2,21 Millionen NEV-Fahrzeuge auf Chinas Straßen zugelassen, darunter 1,78 Millionen E-Autos. Die Zahl der Benziner belief sich auf mehr als 220 Millionen.

Ein Lackmus-Test für die Zukunft von Nio ist, wann der Konzern bereit ist, mit seinen E-Luxus-SUV nicht nur Tesla herauszufordern. China habe Priorität, sagt Li. Doch die Reise könnte auch nach Europa gehen. Im Oktober seien man mit Norwegen ins Gespräch gekommen. Es ging um die Frage, wie Nio in den globalen Markt eintreten könnte. In Norwegen und in den Niederlanden sei die Akzeptanz für NEV-Fahrzeuge am höchsten in Europa.

Für Nio-Besitzer Zhang ist es dagegen viel wichtiger, wann Batteriepack-Tauschstationen auch zu ihm in den fernen Norden kommen. (Johnny Erling, 23.12.2018)