Tanne oder Fichte sl Weihnachtsbaum? Eine oft hart umkämpfte Frage.

Foto: Armin Karner

"Stille Nacht" oder "Jingle Bells"?

Auch ohne meinen persönlichen Bezug zu Stille Nacht, heilige Nacht würde ich dieses Lied wählen, da seine Stimmung und Aussage den Charakter von Weihnachten am besten widerspiegeln. Die Komposition ist von meinem Urururur-Großvater Franz Xaver Gruber. Sie und der Text von Josef Mohr beschreiben Ruhe und Harmonie der besinnlichen Tage und tragen den Friedensgedanken in sich.

Die Entstehungsgeschichte ist einfach: Als damals vor 200 Jahren in der St. Nicola Kirche in Oberndorf die Orgel kaputt ging, bat Josef Mohr meinen Urururur-Großvater darum, eine Melodie für sein Friedensgedicht zu komponieren, um es mit der Gitarre bei der Christmette aufführen zu können.

Als Kinder war uns noch nicht bewusst, warum wir dieses Lied jedes Jahr singen. Bis unsere Mutter es uns erklärte. Allen voran verbinde ich das Lied mit schönen Momenten des Beisammenseins mit der Familie.

Franz Xaver Gruber war der Sohn eines Leinwebers, ein Lehrer erkannte sein musikalisches Talent. Trotz aller Widrigkeiten ging mein Urururur-Großvater jeden Tag zu Fuß mehre Kilometer von Hochburg nach Burghausen, um das Orgelspielen zu erlernen. Als selbstständiger Musiker kann man sich dies heute, da man ein Instrument fast per YouTube-Kurs erlernen kann, kaum noch vorstellen. Diese Passion für die Musik zeigt mir, dass man alles erreichen und schaffen kann, wenn der Wille und Glaube daran stark genug sind.

Foto: Arne Mueseler

Dame alias Michael Zöttl ist Rapper und Urururur-Enkel von F. X. Gruber ("Stille Nacht").

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Raimund oder Nestroy?

Also das kommt natürlich ganz darauf an, wer inszeniert! Aber auf Anhieb würde ich Johann Nestroy sagen, weil er so unglaublich anarchisch ist.

Als ich erstmals Helmuth Lohner in einem Nestroy-Stück spielen sah, war’s um mich geschehen. Diese kaltschnäuzige Interpretation war beeindruckend. Sowohl den Talisman als auch den Zerrissenen mag ich sehr. In die Vorweihnachtszeit passen beide Autoren, Ferdinand Raimund vielleicht noch mehr wegen seines märchenhaften Figurenarsenals. Seine Stücke sind ja Märchen für Erwachsene.

Zu Weihnachten will das Publikum gerne Ensemblestücke sehen, barockes, saftiges, fülliges Theater, das scheint irgendwie ein Naturgesetz zu sein. Viele Menschen auf der Bühne!

Ich beobachte auch, wie sehr im Dezember das Theatergehen zum Familienereignis wird. Da kommen ganze Verbände, von Opa und Oma mit den Enkelkindern bis zu den Tanten mit ihren Nichten und Neffen, auch Eltern natürlich.

Die stampfen mit den Füßen vor Begeisterung, etwa neulich in unserer Inszenierung von Die Rote Zora und ihre Bande. Im Winter scheint das Gemeinschaftserlebnis noch wichtiger zu sein als sonst, da rückt man familiär näher zusammen. Das bringt uns dann oft neues und eventuell auch weniger geübtes Publikum ins Haus, das ganz gierig nach Figuren und ihren Malheurs ist. Haben wir! Können wir jederzeit liefern!

Foto: APA

Anna Badora ist Regisseurin und Direktorin des Volkstheaters Wien.

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Karpfen oder Truthahn?

Warum ausgerechnet die Überwindung alles Irdischen und Zeitlichen, die mit der Geburt des Erlösers gefeiert wird, den meisten Christen Anlass ist, ihre Biomasse in Gelagen mit floralen Kohlehydraten und faunischen Fetten zu beschweren? Weil man dem Seelenheil einen profanen weihnachtskeksschwangeren Bauch entgegenhalten will?

Bei meinen Eltern gab es so wie schon bei deren Eltern und Großeltern am Heiligen Abend immer ein frugales Mahl: Nudelsuppe und Würsteln. Zu den Feiertagen wurden dann gefüllte Gänse, gespickte Rehrücken und glacierte Fasane aufgetischt. Zwischendurch, weil die damals als Delikatesse galten: Aquarienfilter in Sauce, also Muscheln aus der Dose, mit Karotin und Antibiotika gemästete Fettfische aus Norwegen, dazu Störeier und Supermarktsekt.

Mein Schwiegervater hat auf die Frage, was er sich als Weihnachtsessen wünscht, immer geantwortet: "Wurst, solange es Karpfen mit Erdäpfelsalat ist." Mir ist das einerlei, solange man sich am Lebkuchen nicht die Zähne ausbeißt. Heuer gibt es aber ganz etwas anderes: frittierte Bananen, Ceviche (Fischsalat), in Palmblätter gefüllte Fleisch-Käse-Mischungen (Tamales) und zum Abschluss Natilla (Pudding mit Vanilleschoten). Dazu Chicha und Cocalikör. Ungewöhnlich? Ja, aber diesmal bin ich dem Weihnachtstrubel nach Kolumbien entflohen. Mit den Vanillekipferln wird es schwer, aber dafür überlebt ein Baum.

Foto: APA

Franzobel ist Schriftsteller. Ende Jänner erscheint sein neues Buch "Rechtswalzer".

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Fichte oder Tanne?

Die Fichte sticht, die Tanne nicht. Gelatin ist weder bei Fichte, noch bei Tanne. Im Atelier haben wir Weihnachten mit einer Kokospalme gefeiert. Geschmückt war sie mit lauter Ildefonso-Würfeln. Das Besondere an diesem Baum ist, dass er aus einem Hintern herauswächst, der sich in die Höhe reckt – also quasi dem Christbaumständer. Die Palme ist ein Modell für einen Kreisverkehr, ihr Stamm ist aus Bewehrungseisen, die Blätter sind aus Stoff und Filz gemacht. Später soll natürlich eine echte Kokospalme im Kreisverkehr stehen.

Einen besonders schönen Baum hatten wir 2010. Der stand jedoch nicht in unserem Atelier, sondern war für die barocke Sala Terena des Oberen Belvedere. Der war aus rosa Latex und Styropor. Sexspielzeug? Nein, das war kein Sexspielzeug! Das war ein Gelatin-Weihnachtsbaum! Es gibt halt gewisse Ähnlichkeiten zwischen einem Butt-Plug und einem Weihnachtsbaum. Inzwischen gehört der Baum einem Berliner Sammler.

Privat hab ich schon ein Nadelbäumchen, da kauf ich den schönsten – das ist doch immer eine Tanne, oder? – beim bewährten Händler ums Eck. Was ich weiß, ist, dass er heuer aus Melk kommt. Ein Traditionsbaum wie man ihn aus Kindertagen erinnert. Bei uns geht’s ums Feuer: Viele, viele Kerzen und schöne alte Christbaumkugeln. Schmücken tut ihn die Freundin. Klare Aufgabenverteilung? Nein. Es wird eher jedes Jahr darum gekämpft und gestritten, wer den Baum holen darf.

Foto: Maria Ziegelböck

Wolfgang Gantner ist Mitglied des österreichischen Künstlerkollektivs Gelatin.

(DER STANDARD, 24.12.2018)