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Paddy Ashdown verstarb nach kurzer, schwerer Krankheit, wurde am Samstag bekannt.

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Beim Interview blieb die Frageliste bald unbeachtet, zu groß war Paddys Ashdowns Energie. Fragen hatte er selbst genug, Antworten aber auch. Der Vorsitzende der britischen Liberaldemokraten sprühte damals, Mitte der 1990er Jahre, von Ideen – für bessere, an konkreten Projekten ausgerichtete europäische Zusammenarbeit, für die Zukunft des Balkans, für die Neuordnung der britischen Politik. Und der britische Patriot, der am Samstag im Alter von 77 Jahren verstorben ist, warnte seine Besucher vor kontinentaleuropäischer Überheblichkeit gegenüber der stolzen Insel.

Der älteste Sohn eines hochangesehenen britischen Offiziers der indischen Kolonialarmee und einer Krankenschwester wuchs in Nordirland auf, was ihm im englischen Internat den Spitznamen Paddy (nach dem irischen Nationalheiligen Patrick) einbrachte.

Wirtschaftliche Schwierigkeiten seiner Familie hinderten ihn am höheren Schulabschluss; stattdessen ging Ashdown zu den Royal Marines, diente in der Spezialeinheit SBS, machte sein Dolmetscher-Examen für Mandarin und führte später ein privilegiertes Leben als Spion Ihrer Majestät beim Geheimdienst MI6. Man habe ihn für verrückt erklärt, berichtete der spätere Politiker lachend, als er mit Ende 30 die schöne Beamtenkarriere an den Nagel hängte. Im Heimatwahlkreis seiner loyalen Frau Jane, mit der er zwei Kinder und drei Enkelkinder hatte, bewarb er sich für die liberale Partei um das Parlamentsmandat.

Ab 1983 Abgeordneter

Nach einem fehlgeschlagenen ersten Anlauf zog Ashdown 1983 tatsächlich als Abgeordneter für Yeovil (Grafschaft Somerset) ins Unterhaus ein. Er sei der einzige Parlamentarier, hieß es bald in bewundernden Artikeln, "der einen Gegner mit bloßen Händen umbringen kann". In Wirklichkeit machte sich der Liberale mit großer Energie daran, der Zusammenarbeit seiner alten Partei mit der Labour-Abspaltung SDP den Weg zu bereiten. 1988 übernahm Ashdown die fusionierten Liberaldemokraten, und quasi im Alleingang – manchmal schien es: mit bloßen Händen – zerrte er seine Partei aus der Ecke parlamentarischer Bedeutungslosigkeit ins Zentrum britischer Politik.

Das gelang ihm nicht zuletzt durch sein beharrliches Eintreten für Bosnien im blutigen Bürgerkrieg Ex-Jugoslawiens. Der Westen müsse seine Zögerlichkeit aufgeben und gegen die groß-serbischen Träume Belgrads notfalls auch zur Waffe greifen, argumentierte der Ex-Soldat. Zu Beginn des neuen Jahrhunderts – mittlerweile hatte der Liberale Parteivorsitz und Parlamentsmandat aufgegeben – konnte der frischgebackene Lord Ashdown auch seine diplomatischen Erfahrungen in den Dienst der Sache stellen: Von 2002 an diente er vier Jahre lang als Hoher Repräsentant der UN für Bosnien und Herzegowina und beeindruckte auch dort durch seine Tatkraft und Energie. Genau diese Charaktereigenschaften dürften ihm die Berufung in eine weitere internationale Rolle, die des UN-Repräsentanten in Afghanistan, verwehrt haben.

Beklagte Nationalismus und "Phase tiefer Verunsicherung"

Im Interview vor mehr als 20 Jahren beklagte Ashdown die damalige "Phase tiefer Verunsicherung" und den neuen Nationalismus in seinem Land. Beinahe prophetisch klingt im Nachhinein auch seine Mahnung, man könne die EU "nicht weiterentwickeln, indem wir auf die Ignoranz der Leute setzen oder gar gegen ihren Willen handeln". Ganz klar sah er den Platz seines Landes im politischen Europa, benannte auch Großbritanniens überragenden Wert für den Brüsseler Club: Ohne die Insel "würde die Gemeinschaft noch mehr zur Festung werden, und sie würde erheblich an globaler Perspektive einbüßen".(Sebastian Borger aus London, 23.12.2018)